Das Elend des derzeitigen Liberalismus

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Podium / Alle Fotos: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die Friedrich-Naumann-Stiftung hatte zu einer Tagung eingeladen: „Freie Kirche im Freien Staat. Der deutsche Liberalismus und die Konfessionsfrage“. Der Titel versprach einen Bezug auf Friedrich Naumann und der Kooperationspartner der Tagung, die Humanistische Akademie Deutschlands, einen interessanten Nachmittag. Das Ergebnis war das Gegenteil, eine kirchennahe Selbstvergewisserung der FDP.

Der Saal im Gebäude des Verlags des Tagesspiegels in Berlin war gut besucht, das (gefühlte) Durchschnittsalter der Zuhörer lag oberhalb der Pensionierungsgrenze und die anwesenden Jüngeren (mit Krawatte, Gel in den Haaren und Businessanzügen) vorwiegend die Karriere-Nachwuchswissenschaftler der Friedrich-Naumann-Stiftung und ihr nahe stehender Institute.

Die Begrüßung erfolgte durch Bundesministerin a.D.  Dr. Irmgard Schwaetzer, Mitglied im Vorstand der Naumann Stiftung (und seit 2004 Vorsitzende des Domkirchenkollegiums am evangelischen Berliner Dom und seit Januar 2009 Mitglied der Synode der EKD).

Eines der Schwerpunktthemen der Stiftung bis 2015 sei der Themenbereich „Liberalismus und Religion“, wobei Liberalismus für Toleranz stehe, die Basis der Programmatik der FDP. In einem kurzen historischen Rückblick streifte sie den Status der verfassten Kirchen und deren Machtpotential durch Einfluss auf Sitten, Werte durch Verfasstheit. Aber es gab auch (ab 1870) den Kulturkampf und sie betonte, dass Liberalismus auch immer die Skepsis gegenüber den Kirchen hinsichtlich ihres Einfluss und ihrer Kompetenzen sei.

Als aktuellen Bezugspunkt zitierte sie den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer der in den 1940er Jahren konstatiert hatte: „Der Mensch ist mündig geworden, auch von der Religion.“ Daraus folge die Trennung der Sphären von Staat und Religion, denn die Ansprüche der Kirche auf Mitbestimmung der Welt seien obsolet geworden. Die Gläubigen würden, wie alle anderen auch, am Diskus der Gesellschaft teilnehmen.

Damit keine Missverständnisse aufkamen versicherte sie, dass die FDP aber trotz des „Kirchenpapiers von 1974“ nicht kirchenfeindlich sei, sondern für die Pluralität verschiedenster Religionen und Weltanschauungen eintrete und den Staat in seiner Kirchenpolitik als „fördernde Neutralität“ sehe.

Die drei Vorträge zum Themenkreis „Liberalismus und Konfession in der Geschichte“ befassten sich dann mit Friedrich Naumann, die Rolle der FPD im Parlamentarischen Rat und das FDP-Kirchenpapier von 1974. Abschließend war eine Podiumsdiskussion angekündigt.

Friedrich Naumann

Dr. Jürgen Frölich, Referent im Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach, skizzierte Stationen aus dem Leben Naumanns, der aus einer sächsischen Landpfarrerfamilie stammte und selber Theologe wurde.

Sein Hauptaugenmerk als Pfarrer sei das soziale Elend seiner Zeit gewesen, seine „Hilfe zur Selbsthilfe“ führte auch zu Konflikten mit der Kirchenleitung, die zu einer Lebenswende führten, in der er den Kirchendienst verließ, Publizist wurde und sich schließlich dem organisierten Links-Liberalismus anschloss. Naumann sei ein Suchender gewesen, „Das ganze Leben (und auch die Theologie) sind ständig im Fluss der Veränderung.“ Aber es habe, beteuerte der Referent,  keinen Bruch mit der Kirche gegeben. Naumann sei ein Kulturprotestant gewesen, d. h. mit einer eindeutigen religiösen Bindung.

Aber dennoch trat Naumann, in einer Zeit des evangelischen Staatskirchentums, entschieden für die Trennung von Staat und Kirche ein, war gegen jede Form des Klerikalismus wie Konfessionsschulen, Religionsunterricht an Schulen, etc.  Er kämpfte gegen die Staatskirche und die „vorgeschriebene Religion“. Als Mitglied der Mehrheitsfraktion in der Nationalversammlung konnte er nach 1918 politisch gestaltend aktiv werden. Naumann: „Die Abschaffung des Staatskirchentums ist ein Freudentag!“ Die Artikel 135 bis 141 der Weimarer Reichsverfassung tragen seine Handschrift.

Die Darstellung dieses Referates im Tagungsbericht der Stiftung durch den Moderator der Tagung, Prof. Dr. Ewald Grothe, ist dann aber recht eigenartig: „Der bisher einzige liberale Parteivorsitzende mit theologischem Hintergrund sei zunächst Verfechter einer strikten Trennung von Kirche und Staat gewesen. Nach 1918 habe er aber die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen höher eingeschätzt und an der Entstehung der bis heute gültigen Kirchenparagraphen der Weimarer Reichsverfassung entscheidend mitgewirkt.“

Die Anteile Naumanns sind eindeutig für die institutionelle und finanzielle Trennung von Staat und Kirche, und dass die Unterhöhlung und Nichtbeachtung der bis heute gültigen Verfassungsartikel durch Parteien und Parlamente nicht durch Naumann kritisiert oder verhindert werden konnte, hat eine einfache Erklärung: Friedrich Naumann starb bereits im August 1919.

Parlamentarischer Rat

Der zweite Referent, Dr. Michael F. Feldkamp, nur als Historiker im Bundestag vorgestellt, ergänzte diese Vorstellung dann noch mit „katholisch, CDU“. Sein Thema war das Verhalten der kleinen FDP-Fraktion im Parlamentarischen Rat, von deren Mitgliedern insbesondere Theodor Heuß (der spätere Bundespräsident, ein Schüler Friedrich Naumanns, auf dessen Bestreben die FDP-Stiftung den Namen seines verehrten Lehrers erhielt) und Thomas Dehler.

Von den vier Religion berührenden Themen des Grundgesetzes war die Religionsfreiheit unumstritten, sie gehört zur Grundausstattung jedes liberalen Verfassungsstaates. Beim Gottesbezug in der Präambel, die CDU wollte auf der Welle eines religiösen Optimismus sogar eine „Invocatio Dei“ im Grundgesetz sehen, schlug Theodor Heuß dann „…in seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“ vor, das war für die Mehrheit von CDU („Gott“) und SPD („Menschen“) hinreichend und so blieb es dabei. In der Eidesformel  war ebenfalls Kompromiss, dass sie auch ohne religiöse Beteuerung korrekt ist. Beim vierten Feld jedoch, dem Elternrecht, kam es zu heftigen Kontroversen, insbesondere zwischen CDU und FDP. Der „Schutz von Ehe und Familie“ wurde auch von den Liberalen begrüßt, aber, so Heuß: „Die Familie ist keine Staatsangelegenheit!“. Auch die Liberalen akzeptierten die freie Wahl der Schulen, wollten jedoch, so wiederum Heuß: „Keine konfessionellen Zwergschulen!“ Und in der Weitergeltung des Reichskonkordats, mit seiner Bestimmung des konfessionell gebundenen Religionsunterrichts, charakterisierte Thomas Dehler das Reichskonkordat, als „Privatvertrag mit einem verbrecherischen System.“

Als Zusammenfassung: Von den Religions- und Kirchenthemen war keines von der FDP angestoßen worden. Das Wort von Theodor Heuß hatte bei CDU/CSU und SPD Gewicht. In der Regel war die FDP kein Mehrheitsbeschaffer, da CDU/CSU und SPD ein Grundgesetz auf breiter Basis wollten. Die FDP stimmte gegen alle Eingaben und Vorschläge der Kirchen. Und, obwohl Thomas Dehler selber Katholik war, stemmte die FDP sich (damals) gegen den politischen Katholizismus.

Kirchenpapier von 1974

Die „Entstehung und Wirkung des Kirchenpapiers von 1974“, für die aktuelle Diskussion naheliegend, wurde dann von der Kirchenhistorikerin und Pfarrerin zur Anstellung, Dr. Tabea Esch, vorgetragen. In einer Präambel und 13 Thesen wurde (Anmerkung: in der Tradition Friedrich Naumanns) die Trennung von Staat und Kirche gefordert.

In diesem so genannten Kirchenpapier „Freie Kirche im Freien Staat“ (Beschlossen auf dem Bundesparteitag in Hamburg vom 30. September - 2. Oktober 1974) waren fünf Thesen besonders umstritten, die These 2. („Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten….“), die These 5. („Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen…“) die Nummer 8. („Die auf Gesetz, Vertrag oder Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind abzulösen. Soweit Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber anderen gemeinnützigen Institutionen steuer-und gebührenrechtliche Sondervorteile besitzen, sind diese aufzuheben.“), 9. („Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben. Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, muß gewahrt werden -allerdings ohne Vorrangstellung. (….) Soweit Einrichtungen der freien Träger öffentlich gefördert werden, müssen sie allgemein zugänglich sein; Andersdenkende dürfen keinerlei Benachteiligungen oder Zwängen ausgesetzt sein.“) sowie die These 10 („Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Der Religionsunterricht ist nach der Verfassungslage ordentliches Lehrfach. Alternativ wird ein Religionskundeunterricht angeboten.“).

Diesem Papier, so die Referentin, schlug Ablehnung entgegen, auch parteiintern. Es erfolgten auch keinerlei politische Umsetzungen oder daraus abgeleitete Gesetzesinitiativen. Es muss, so die Referentin, als gescheitert betrachtet werden. Allerdings habe dieses Papier („Neuer Kulturkampf!“) der FDP den Ruf einer kirchenkritischen Partei eingebracht.

Bevor jedoch jemand auf die Idee kommen konnte, zu fragen, ob denn die FDP damals von Sinnen gewesen sei, wusste die Referentin gleich die Schuldigen zu benennen: es war von außen an die Partei herangetragen worden, von den Jungdemokarten. (Eine Darstellung, der der anwesende Wolfgang Lüder, FDP und Bürgermeister a.D. in Berlin, anschließend eindeutig widersprach, denn die Jungdemokraten seien integraler Bestandteil der Partei gewesen.) In ihrem Papier „Liberalismus und Christentum“ (1973) hatten sie 17 Forderungen aufgestellt und eine Präambel, in der es heißt: „Zwischen Liberalismus und Religion besteht ein Widerspruch.“ Diese antikirchliche und antireligiöse Ansichten seien als Ausdruck des Zeitgeistes und „Ruck nach links“ der Parteijugend zu ideologiekritischen Forderungen zu verstehen. Religion und Kirchen wurden als Ausdruck der Fremdbestimmung angesehen.

Wieso das? Die Jungdemokarten hatten mit der kirchenkritischen Humanistischen Union zusammengearbeitet, denen es allerdings eher um die Begrenzung des kirchlichen Einflusses ging und nicht um die Ideologiekritik, die eher aus zeitgenössischen Quellen wie den Schriften Joachim Kahls gespeist wurde. Es drohte die Annahme des Papiers durch den Landesparteitag NRW.

Die Reaktion der FDP-Parteispitze waren „Unangemessen!“ und „Unzeitgemäß!“. Der FDP-Generalsekretär sagte, diese Thesen seien „uralt“ und kritisierten eine Kirche, die es nicht mehr gibt. Entsprechend gab es insgesamt zehn „Kirchenkommissionen“ der FDP, die sich u.a. aus Jungdemokraten und Kirchenvertretern zusammensetzten und Schritt für Schritt die ursprüngliche Thesen umformulierten. Entfernt wurde u.a. die Forderung nach Abschaffung des Religionsunterrichts und der Theologischen Fakultäten. Die Präambel des FDP-Papers „Freie Kirche im Freien Staat“ wurde schließlich von einem katholischen Moraltheologen formuliert. Dennoch ließ die FDP das Papier in der Schublade der unbequemen Parteitagsbeschlüsse verschwinden, obwohl seine Wirkung als Kirchenkritik erhalten blieb.

„Geschichte ist immer das, was man über sie erzählt“

Die Zusammensetzung des abschließenden Podiums war eigentlich vielversprechend: Dr. Tabea Esch (die zur Vertreterin der Evangelischen Kirche mutierte), Dr. Stefan Ruppert (MdB, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der FDP-Bundestagsfraktion), Dr. Karl Jüsten (Katholisches Büro des Kommissariats der deutschen Bischöfe), Wolfgang Lüder (FDP und ehemaliger Bürgermeister von Berlin), sowie Dr. Horst Groschopp (Direktor der Humanistischen Akademie Deutschland).

Gérard Bökenkamp vom Liberalen Institut leitete die Abfrage der auf dem Podium Sitzenden, wobei schon die Positionierung der beiden Humanisten - Lüder und Groschopp saßen rechts und links außen - und der Kirchenvertreter -beide saßen innen neben dem zentralen Fragesteller -, die inhaltliche Positionierung verdeutlichte. Diskussion? Von wegen. Einzelne, relativ unverbundene Antworten auf Fragen. Auf die Frage an die evangelische Vertreterin, wie sie das Verhältnis Staat und Kirche in Deutschland betrachte, antworte sie „Gut“ und der Vertreter der katholischen Kirche, Prälat Jüsten, meinte zur Forderung der Trennung von Staat und Kirche: „Längst realisiert“.

Die Versuche von Wolfgang Lüder auf die immer noch fehlende Trennung von Staat und Kirche zu verweisen, auf die immer noch gezahlten abzulösenden Staatsleistungen, u.a.m. fanden kein allzu großes Interesse.

Und Horst Groschopp, der zu den Referaten ironisch anmerkend meinte: „Geschichte  ist immer das, was man über sie erzählt“, brachte es mit einer Anmerkung auf den Punkt: „Als der Humanistische Verband 1997 seine Humanistische Akademie gründete und wir bei der Senatsverwaltung um vergleichbare finanzielle Beihilfen wie für die katholische und evangelische Akademie anfragten, bekamen wir als Antwort: Da kommen sie zweihundert Jahre zu spät. Das wurde bereits in der Nachfolge 1803 entschieden.“ Und: Das politische Problem, das immer relevant war und ist, lautet: „Wie gehe ich mit den Konfessionslosen um?“

Beispielbild
Podium: (v.l.n.r.) Dr. Horst Groschopp, Dr. Stefan Ruppert, Dr. Tabea Esch, Dr. Gérard Bökenkamp, Dr. Karl Jüsten, Wolfgang Lüder

 

 

 

 

 

 

 

Diese Tagung hat wieder einmal gezeigt, dass in der FDP - und in der Friedrich-Naumann-Stiftung -, seit einiger Zeit Politiker das Sagen haben, die das liberale Erbe von Friedrich Naumann und Theodor Heuß entweder nicht mehr kennen oder es missachten und die anscheinend keine Vorstellung mehr davon haben, was eine „freie Kirche in einem freien Staat“ für die Religion bedeutet, sondern die einem verkapptem Staatskirchentum anhängen. Es sind offensichtlich Politiker, Kirchenfunktionäre und Nachwuchskarrieristen denen der Ausruf Friedrich Naumanns in der Nationalversammlung 1918 völlig fremd geworden ist: „Was wir aber als Mitglieder der Kirche nicht mehr haben wollen, ist die Bezahlung der kirchlichen Oberbeamten durch den Staat. Die Kirche muß sagen können: Wir wollen uns unsere Konsistorialräte selbst bezahlen.“

Dieser Stolz einer selbstbestimmten Kirche und einer Partei, die früher das Prinzip der Selbstbestimmung des Einzelnen vertrat und dadurch ein klares, wählbares  Profil hatte, ist mittlerweile, an den ‚staatlichen Fleischtöpfen‘ sitzend, anscheinend verloren gegangen.

Carsten Frerk.