„Trotzki. Eine Biographie“

(hpd) Der britische Historiker Robert Service legt eine ausführliche Lebensbeschreibung des russischen Revolutionärs Leo Trotzki vor. Zwar liefert er trotz einer gewissen Einseitigkeit einige tragfähige Argumente zur „Entmythologisierung“ von Trotzki, in der Gesamtschau weist das Buch aber zu viele Mängel von einer fehlenden historisch-politischen Einbettung bis zu häufigen sachlichen Fehlern auf.

Leo Trotzki hatte auch in der westlichen Literatur vor 1990 einen „guten Namen“. Er galt als gescheiterter Revolutionär, der die Sowjetunion wohlmöglich auf einen besseren Weg gebracht hätte. Gelegentlich beschrieb man den ehemaligen Mitstreiter Lenins sogar als „demokratischen Kommunisten“. Anlass für derartige Einschätzungen gaben einerseits sein intellektuelles Profil als Analytiker und Kritiker, andererseits seine Ermordung im Auftrag Stalins.

Doch wie angemessen waren bzw. sind die damit einhergehenden Einschätzungen? Allein von daher verdient eine neuere Biographie auf Basis des aktuellen Forschungsstandes Interesse, wenn sie fern von jeder ideologischen Einseitigkeit weder zu Apologie noch zu Verdammung neigt. Der britische Historiker Robert Service, der als Professor des St. Antony’s College, Oxford russische Geschichte lehrt und durch eine gelungene Lenin-Biographie bekannt geworden ist, will sie mit seinem Werk „Trotzki“ präsentieren. Es erschien 2009 bereits in englischer Sprache und liegt nun in deutscher Übersetzung vor.

Historisch-chronologisch beschreibt der Autor darin das Leben von Trotzki, der 1879 als Lew Dawidowitsch Bronstein geboren wurde, in der sozialistischen Bewegung des seinerzeitigen Russland aktiv war, erst 1917 die Nähe zur Bolschewiki und Lenin suchte und in der Russischen Revolution und im folgenden Bürgerkrieg eine wichtige Rolle bei der Etablierung des ersten sozialistischen Staates spielte. Nach dem Tod Lenins wurde Trotzki in der Folge eines Machtkampfes von Stalin aus all seinen Ämtern verdrängt, aus der Sowjetunion ausgebürgert und musste vor den Häschern des Diktators fliehen bis ihn dann doch 1940 der Tod nach dem Anschlag eines seiner Agenten ereilte.

Insgesamt zeichnet Service dabei ein ambivalentes Bild: Einerseits sei Trotzki „ein außergewöhnlicher und komplizierter Mensch“, ein „brillanter Organisator und Redner“ (S. 622) gewesen. Andererseits habe er sich „im Rahmen des kommunistischen Autoritarismus“ (S. 619) bewegt und sei in „seinem Denken häufig schematisch und starr und in seiner Praxis extrem gewaltsam“ (S. 622) gewesen.

Wie diese Einschätzung veranschaulicht, handelt es sich bei der Biographie von Service keineswegs um eine pauschale Schmähschrift, wie manche Rezensenten unterstellten. Vielmehr beanspruchte der Autor eine Art „Entmythologisierung“ vorzunehmen. Denn: „ ... Trotzki war ... kein Engel. Im Bürgerkrieg gierte er unverhohlen nach Diktatur und Terror“ (S. 19). Darüber hinaus habe er sich mit seiner Eitelkeit und Selbstgewissheit häufig genug selbst im Weg gestanden.

Zwar hätte Service diese Einschätzungen genauer belegen können, gleichwohl stützt seine Biographie solche Wertungen durchaus. In der Gesamtschau neigt er aber allzu sehr dazu, Trotzki auch bei der Hervorhebung von „außergewöhnlichen Qualitäten“ (S. 18) allzu einseitig-negativ darzustellen. Er betont sogar: „Hätte statt Stalin Trotzki die oberste Führung innegehabt, wäre die Gefahr eines Blutbades in Europa dramatisch gestiegen“ (S. 17f.). Dies mag ja so sein, aber hier hätte man sich doch schon eine genauere Begründung für eine solche Einschätzung gewünscht.

Indessen verdient der Ansatz einer kritischen Betrachtung von Trotzkis Leben und Wirkung durchaus Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Dies gilt für die gesamte Biographie leider nicht: Bereits die englischsprachige Originalausgabe enthielt ein Fülle von Fehlern von falschen Nennungen von Namen über schiefe Einordnungen von Personen bis zu unkorrekten Daten für Ereignisse. Zwar sind in der deutschen Ausgabe die gröbsten Mängel beseitigt worden, aber dies gilt nicht für alle Fehler. Darüber hinaus bettet Service die geschilderten Ereignisse – insbesondere in der Umbruchzeit von 1917 – nicht genügend in den historisch-politischen Kontext ein. Der Hinweis auf die seinerzeitige Gewaltdimension entschuldigt nicht Trotzkis Terror-Politik, macht sie aber im Kontext der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verständlich. Der Suhrkamp-Verlag wirbt für das Buch mit einem Zitat aus dem „Daily Telegraph“, wonach es sich um die beste Trotzki-Biographie handele, und es keinen Grund für eine neue gebe. Dem kann man aber leider überhaupt nicht zustimmen.

Armin Pfahl-Traughber

Robert Service, Trotzki. Eine Biographie. Aus dem Englischen von Friedrich Griese, Berlin 2012 (Suhrkamp-Verlag), 730 S., 34,95 €.