(hpd) Die US-amerikanische Sozialphilosophin Martha C. Nussbaum kritisiert in ihrer Schrift „Nicht für den Profit. Warum Demokratie Bildung braucht“ die Ökonomisierung von Schulen und Universitäten. Überzeugend weist die Autorin darauf hin, dass die Ausrichtung von Bildung an der Wirtschaft aus autonomen Bürgern letztendlich passive Marktteilnehmer macht und somit letztendlich auch Demokratie selbst gefährdet.
„Leistung definiert sich heute immer mehr als etwas, was eigentlich eine gut programmierte Maschine besser kann, als der Mensch“, meinte der Erziehungswissenschaftler und Philosoph John Dewey. Und weiter bemerkte er: „Das Hauptanliegen der Erziehung, nämlich dem Menschen zu einem gelingenden und sinnerfüllten Leben zu verhelfen, bleibt dabei auf der Strecke.“ Diese Sätze, die vor gut hundert Jahren geschrieben wurden, stehen am Beginn eines neuen Buchs der US-amerikanischen Sozialphilosophin Martha C. Nussbaum. Die Professorin für Ethik und Rechtswissenschaften an der Universität von Chicago gilt als Anhängerin eines „sozialdemokratischen Aristotelismus“ und veröffentlichte insbesondere Beiträge zu einer modernen Gerechtigkeitstheorie. In ihrem neuen Buch „Nicht für den Profit! Warum Demokratie Bildung braucht“ erörtert sie den Kontext von „Bildung“, „Demokratie“, „Erziehung“ und „Wirtschaft“, wobei ihre Betrachtungen im Sinne eines Manifestes gegen die Ökonomisierung von Bildung an Schulen und Universitäten gerichtet sind.
Ausgangspunkt von Nussbaums Betrachtungen ist das Konstatieren einer „lautlosen Krise“, wozu es heißt: „Getrieben vom Gewinnstreben der eigenen Volkswirtschaft vernachlässigen Gesellschaften und ihre Bildungssysteme genau die Fähigkeiten, die benötigt werden, um Demokratien lebendig zu halten. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden die Nationen überall auf der Welt bald Generationen von nützlichen Maschinen produzieren statt allseits entwickelter Bürger, die selbständig denken, Kritik an Traditionen üben und den Stellenwert der Leiden und Leistungen anderer Menschen begreifen können. Die Zukunft der Demokratie steht weltweit auf der Kippe“ (S. 16). Denn die Autorin sieht durch die geschilderten Entwicklungen wichtige Fähigkeiten verloren gehen, welche aus den Geisteswissenschaften und Künsten erwachsen: die Fähigkeit zum kritischen Denken, die Fähigkeit zur Empathie für Notleidende und die Fähigkeit zu Reflexionen in einem universellen Sinne. Gerade die damit gemeinten Kompetenzen machten aber erst eine moderne Demokratie aus.
So dominieren Ausführungen zur Bildung für Demokratie, zu moralischen Emotionen, zu einer sokratischen Pädagogik und zur Förderung von Geisteswissenschaften und Kultur die Kapitel des Buchs. Letztere leisteten viel Wertvolles: Sie ließen erst eine lebenswerte Welt entstehen, in welcher Menschen andere als vollwertige menschliche Wesen mit eigenen Gedanken und Gefühlen betrachteten, die Empathie und Respekt verdienten. Erst Geisteswissenschaften und Kultur ließen Nationen entstehen, die Angst und Misstrauen zugunsten eines vernunftgeleiteten und verständnisvollen Diskurses überwinden. Bilanzierend heißt es: „Demokratien haben ein großes Potential an Rationalität und Fantasie. Gleichzeitig sind sie nicht gegen Denkfehler, Provinzialismus, übereiltes Handeln, Nachlässigkeit, Egoismus und Engstirnigkeit gefeit. Eine Bildung, die hauptsächlich auf Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt ausgerichtet ist, vergrößert diese Defizite. Sie produziert habgierige Beschränktheit und technisch gebildete Gefügigkeit“ (S. 167).
Nussbaum liefert somit einen Beitrag zur Kritik einer Ökonomisierung der Lebenswelt, hier bezogen auf Bildung und Erziehung, letztendlich aber auch auf Demokratie und Zukunft. Dabei zeigt sie, dass die viel geschmähten „nicht-marktkonformen“ Studienfächer sehr wohl einen konstitutiven Beitrag für die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft autonomer Individuen leisten. Die Autorin macht auch deutlich, wie stark der Kontext von „Demokratie und Erziehung“ ist, worauf bereits der einleitend zitierte Dewey in seinem gleichnamigen Buch verwies. Insofern hat man es gar nicht so sehr mit neuen Erkenntnissen, sondern mit fortwährenden Problemen zu tun. Nussbaum macht dessen Bestehen anhand von Beispielen aus Indien und den USA deutlich und nennt Alternativmodelle im Bereich der Bildung. Mancher Rückgriff auf problematische Klassiker wie Rousseau wäre dabei verzichtbar gewesen. Dieser Hinweis schmälert aber nicht die Notwendigkeit zur Beachtung ihrer Warnung von Folgen für die Demokratie wie auch die Wirtschaft.
Armin Pfahl-Traughber
Martha C. Nussbaum, Nicht für den Profit! Warum Demokratie Bildung braucht, Überlingen 2012 (TibiaPress), 180 S., 14,95 €