100 Jahre Pfusch

So hat die IGGiÖ nur knapp 150.000 Mitglieder, Kleinkinder eingerechnet. Andere Schätzungen, etwa des Innenministeriums, gehen von bis zu 500.000 Muslimen in Österreich aus. Wobei unklar ist, ob hier die angeblich 60.000 Aleviten mitgerechnet wurden oder nicht. Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2001 gaben nur 340.000 Menschen an, muslimisch zu sein.

Die IGGiÖ, nach ihrem Selbstverständnis alleinvertretungsberechtigt für alle Muslime, gibt auf ihrer Homepage mittlerweile nicht einmal mehr eine Zahl muslimischer Österreicher an. Fuat Sanac, Präsident der IGGiÖ, beklagt in diesem Chaos auch noch ernsthaft, der Islam werde benachteiligt. Kinder muslimischer Eltern würden leider nicht automatisch als Muslime gezählt. Die Eltern müssten sie extra registrieren lassen. So wie das das österreichische Recht für Angehörige aller Religionsgemeinschaften ausnahmslos vorsieht. Alles andere würde das Erziehungsrecht der Eltern verletzen. Die Religionsfreiheit des Kindes bleibt bei beiden Vorstellungen außen vor.

Zersplitterter Islam

Nicht besser wird es, wenn man die Klagen zahlreicher Organisationen bedenkt, die offizielle Vertretung der Muslime nach außen werde von der ATIB, dem Österreich-Ableger der türkischen Religionsbehörde, dominiert und biete der radikalen Milli-Görüs-Bewegung eine Plattform. Die heimischen Muslime sind nicht nur entlang zahlreicher konfessioneller Grenzen zersplittert, auch nationale Befindlichkeiten spielen eine große Rolle. Eine türkische Dominanz bleibt unvermeidlich, sunnitische Araber dürfen ein wenig mitmischen, Bosnjaken organisieren sich weitgehend an der „Alleinvertretung“ vorbei. Kurden schwanken zwischen Areligiosität und Aleviten, der Rest zerfällt in Sunniten und Shiiten, ein paar religiöse Fanatiker gibt’s neuerdings auch. Im Wesentlichen fühlen sich sowieso alle dem Gebetshaus oder der Moschee ihrer Wahl verbunden. Sofern sie überhaupt ihre Religion praktizieren. Was die IGGiÖ sagt oder was sich der Gesetzgeber unter einer islamischen Religionsgemeinschaft vorstellt, ist ihnen egal. Sie zahlen ihre Geistlichen ohnehin selbst.

Die Zersplitterung lässt es zweifelhaft erscheinen, ob es möglich ist, eine Vertretungsgemeinde für den Islam gesetzlich zu organisieren. (Abgesehen von der Absurdität, das überhaupt für irgendeine Religionsgemeinschaft zu wollen). Eine hierarische Struktur, auch eine nach außen hin demokratische und eine extrem dezentrale Basis passen nicht zusammen. Nicht einmal nach den Hauptströmungen wird differenziert. Als ob man alle christlichen Kirchen unter einem Dach zusammenfassen wollte. Das ist dem Gesetzgeber egal. Dem schwebt eine islamische katholische Kirche vor. Er hält am Islamgesetz fest, das immer noch der Logik der politischen Situation von 1912 folgt und hält das ernsthaft für ein Vorbild für den Rest Europas. Das ist ein intellektuelles und politisches Armutszeugnis der Sonderklasse. Man kann nicht anders, als das als Pfusch zu beschreiben. Erschwerend kommt hinzu, dass auch das nächste VfGH-Urteil zum Islamgesetz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Umdenken bringen wird.

Umdenken nicht in Sicht

Geschuldet ist das nicht zuletzt der seltsamen österreichischen Religionspolitik. 14 Religionsgemeinschaften sind gesetzlich anerkannt und genießen umfangreiche Privilegien. Objektive Kriterien gibt es für die meisten nicht. Das Islam-Gesetz ist nur ein Beispiel, dass es häufig um politische Überlegungen geht, ab wann man eine Religion an die staatlichen Futtertröge lässt. Bei den Mormonen war es nicht viel anders. Um Religionsfreiheit ging es hier nie und geht es auch nach der Pseudo-Objektivierung der Anerkennungskriterien für neue Religionsgemeinschaften im „Bekenntnisgemeinschaftengesetz“ nicht. Dafür bräuchte man kein System, das zentrale Vertretungsgemeinschaften erzwingt. Das macht nur Sinn, wenn man den Religionsprivilegien festhalten will.

An diesem Festhalten wird sich in absehbarer Zeit wenig ändern. Die wenigsten politischen Parteien hinterfragen die Idee der Religionsfreiheit als bürokratisch zu verwaltendem Akt. Wer sich kritisch äußert, bekommt garantiert zwei Sachen vorgesetzt. Caritas. Und Islamgesetz.

Christoph Baumgarten