Ein reeller Kompromissvorschlag

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Reichstagsgebäude / Foto: Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Mehr als 50 Abgeordnete des Deutschen Bundestages aus den Fraktionen der SPD, der Grünen und der Linken haben in dieser Woche einen Gesetzentwurf zur Regelung der „Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung“ vorgelegt. Damit ist der von der Bundesregierung vor einigen Wochen beschlossene Gesetzentwurf, der am Donnerstag kommender Woche erstmals im Bundestag behandelt werden wird, nicht mehr alternativlos.

Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf verbietet nicht etwa Beschneidungen minderjähriger männlicher Kinder generell, sondern formuliert einen Kompromiss, mit dem alle Seiten durchaus leben können, wenn sie tatsächlich kompromissbereit sind.
Ebenso wie der Regierungsentwurf sieht auch dieser alternative Gesetzesentwurf die Einfügung einer neuen Regelung im Recht der elterlichen Sorge vor. Ein neuer Paragraph 1631d BGB soll folgenden Inhalt haben:

„Beschneidung des männlichen Kindes
Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des männlichen Kindes einzuwilligen, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat, einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zugestimmt hat und diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet ist.“

Damit soll mit diesem Gesetzentwurf eine Beschneidung von Knaben aufgrund elterlicher Einwilligung ab dem 14. Lebensjahr möglich gemacht werden, zuvor jedoch (wenn keine medizinische Indikation vorliegt) generell verboten bleiben. Allerdings werden weitere Voraussetzungen (neben dem Alter) zu beachten sein: Eine ausdrückliche Zustimmung des Knaben ist erforderlich, der zudem einsichts- und urteilsfähig sein muss. Die Durchführung der Beschneidung muss „nach Regeln der ärztlichen Kunst“ vorgenommen werden, und zwar ausschließlich von Ärzten, wobei der beschneidende Arzt zusätzlich die Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie haben muss.

Beschneidung nur mit ausdrücklicher Zustimmung des einsichts- und urteilsfähigen Knaben ab 14 Jahren

Dieser Gesetzentwurf nennt als Mindestalter für Beschneidungen das 14. Lebensjahr, ein Alter somit, in dem ein Kind nach geltendem Recht auch religionsmündig wird. Nach wie vor begegnet diese Altersregelung allerdings erheblichen Bedenken, da die Beeinflussbarkeit eines Kindes durch die Familie und das engere soziale Umfeld im 14. Lebensjahr noch außerordentlich groß ist und entsprechendem Druck nur schwer begegnet werden kann. Die Berichte von Beschneidungsgegnern aus Israel, aber auch Berichte Betroffener aus Deutschland haben deutlich gemacht, welch massivem sozialen Druck die Knaben bzw. deren Eltern ausgesetzt sind, wenn eine Beschneidung abgelehnt wird.

Allerdings wird jedoch die Stellung des Knaben in einem vorbildlichem Maße gestärkt: ausdrücklich berücksichtigt wird das etwa vom Deutschen Ethikrat geforderte Vetorecht des Kindes. Von ganz wesentlicher Bedeutung für die rechtliche Wirksamkeit einer elterlichen Beschneidungseinwilligung soll sein, dass der Knabe (ausdrücklich) zustimmt und dass er - was die Beschneidung angeht - einsichts- und urteilsfähig ist. Fehlt es trotz einer Zustimmung an dieser Fähigkeit, so bleibt eine elterliche Einwilligung rechtlich unwirksam und eine Beschneidung hat zu unterbleiben. Die Beschneidung des Minderjährigen bleibt dann eine verbotene und strafbare Körperverletzung. Das Vetorecht des Kindes, ursprünglich als bloßes Ablehnungsrecht diskutiert, bei dem unklar war, welche Art von ablehnenden Äußerungen (und ab welchem Alter) beachtlich sein sollte, wird zum Erfordernis einer ausdrücklich erklärten Zustimmung ausgestaltet.

Außerdem sind Aufklärung und Beratung wesentliche Erfordernisse, die dieser Entwurf berücksichtigt und in den Vordergrund der praktischen Handhabung rückt. Damit wird die Rolle des betroffenen Knaben erheblich gestärkt - auf seine Zustimmung kommt es maßgeblich an. Das Kind selbst rückt in den Mittelpunkt des Geschehens um seinen Körper. Durch die Stärkung der Stellung des Betroffenen, durch Aufklärung und Beratung steigen auch erheblich die Chancen, dem sozialen Druck zur Beschneidung zu widerstehen. Wichtig wird die institutionelle Ausgestaltung und die praktische Handhabung des Vetorechts sein, damit eine freie Entscheidung des Knaben möglich ist. Es sollte hierbei auch nicht übersehen werden, dass die öffentliche Diskussion dieses Themas nach dem Kölner Landgerichtsurteil auch in den muslimischen und jüdischen Communities das Bewusstsein für die Problematik des Beschneidungseingriffs geschärft hat und dass die vorgesehene Regelung auf einen Diskussionsprozess setzt.

Hohe medizinische Anforderungen

Medizinische Risiken werden nach dem Gesetzesentwurf durch die zu berücksichtigenden Qualitätsanforderungen an den tätig werdenden Arzt, der über Spezialkenntnisse hinsichtlich Beschneidungen verfügen muss, weitgehend minimiert. Dass selbstverständlich kein Nichtmediziner, kein nichtärztlicher Beschneider, mehr tätig werden darf, ergibt sich schon aus dem Wortlaut der vorgesehenen Regelung. Der Entwurf geht davon aus, dass eine effektive Schmerzbehandlung erforderlich ist, was sich bereits aus der Formulierung von „den Regeln der ärztlichen Kunst“ ergibt. Durch die Festlegung des Mindestalters auf 14 Jahre werden zudem die bei Säuglingen vorhandenen erheblichen gesundheitliche Risiken etwa aufgrund einer „Bluterkrankheit“, die vor der Beschneidung nicht festgestellt wird, ausgeschlossen. Eine Traumatisierung durch den Eingriff bei einem erst wenige Tage alten Kind, welches den Schmerz des Abtrennens der zu diesem Zeitpunkt noch fest mit der Eichel verklebten Vorhaut zwar verspürt, jedoch nicht verarbeiten kann, ist mit dieser vorgesehenen Regelung ausgeschlossen.

Einschränkung von Risiken gegenüber dem Regierungsentwurf

Ebenso wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung lässt auch dieser Entwurf jegliche Beschneidungen aus medizinisch nicht erforderlichen Gründen, somit prinzipiell aus jeglichem Grunde zu. Satz 2 des § 1631d BGB-E regelt, dass trotz Vorliegens sämtlicher Erfordernisse einer Beschneidungseinwilligung der Eltern unwirksam sein kann, wenn unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls („unter Berücksichtigung ihres Zwecks“) des Kindeswohl gefährdet wird. Nach dem Regierungsentwurf ist keinerlei Kontrolle des Zwecks der Beschneidung vorgesehen, dieser muss vor der Beschneidung nicht einmal (auch nicht der beschneidenden Person) genannt werden, so dass jeglicher elterlicher Willkür Tür und Tor geöffnet ist (bis hin zu Beschneidungen als Bestrafung oder um Masturbation zu unterbinden). Diesen Risiken begegnet der Entwurf der Bundestagsabgeordneten dadurch, dass der Knabe ausdrücklich zustimmen und dass zusätzlich seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Beschneidung gegeben sein muss, was eine (ausführliche) Kommunikation mit ihm erfordert.