BERLIN. (hpd) Mehr als 50 Abgeordnete des Deutschen Bundestages aus den Fraktionen der SPD, der Grünen und der Linken haben in dieser Woche einen Gesetzentwurf zur Regelung der „Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung“ vorgelegt. Damit ist der von der Bundesregierung vor einigen Wochen beschlossene Gesetzentwurf, der am Donnerstag kommender Woche erstmals im Bundestag behandelt werden wird, nicht mehr alternativlos.
Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf verbietet nicht etwa Beschneidungen minderjähriger männlicher Kinder generell, sondern formuliert einen Kompromiss, mit dem alle Seiten durchaus leben können, wenn sie tatsächlich kompromissbereit sind.
Ebenso wie der Regierungsentwurf sieht auch dieser alternative Gesetzesentwurf die Einfügung einer neuen Regelung im Recht der elterlichen Sorge vor. Ein neuer Paragraph 1631d BGB soll folgenden Inhalt haben:
„Beschneidung des männlichen Kindes
Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des männlichen Kindes einzuwilligen, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat, einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zugestimmt hat und diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet ist.“
Damit soll mit diesem Gesetzentwurf eine Beschneidung von Knaben aufgrund elterlicher Einwilligung ab dem 14. Lebensjahr möglich gemacht werden, zuvor jedoch (wenn keine medizinische Indikation vorliegt) generell verboten bleiben. Allerdings werden weitere Voraussetzungen (neben dem Alter) zu beachten sein: Eine ausdrückliche Zustimmung des Knaben ist erforderlich, der zudem einsichts- und urteilsfähig sein muss. Die Durchführung der Beschneidung muss „nach Regeln der ärztlichen Kunst“ vorgenommen werden, und zwar ausschließlich von Ärzten, wobei der beschneidende Arzt zusätzlich die Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie haben muss.
Beschneidung nur mit ausdrücklicher Zustimmung des einsichts- und urteilsfähigen Knaben ab 14 Jahren
Dieser Gesetzentwurf nennt als Mindestalter für Beschneidungen das 14. Lebensjahr, ein Alter somit, in dem ein Kind nach geltendem Recht auch religionsmündig wird. Nach wie vor begegnet diese Altersregelung allerdings erheblichen Bedenken, da die Beeinflussbarkeit eines Kindes durch die Familie und das engere soziale Umfeld im 14. Lebensjahr noch außerordentlich groß ist und entsprechendem Druck nur schwer begegnet werden kann. Die Berichte von Beschneidungsgegnern aus Israel, aber auch Berichte Betroffener aus Deutschland haben deutlich gemacht, welch massivem sozialen Druck die Knaben bzw. deren Eltern ausgesetzt sind, wenn eine Beschneidung abgelehnt wird.
Allerdings wird jedoch die Stellung des Knaben in einem vorbildlichem Maße gestärkt: ausdrücklich berücksichtigt wird das etwa vom Deutschen Ethikrat geforderte Vetorecht des Kindes. Von ganz wesentlicher Bedeutung für die rechtliche Wirksamkeit einer elterlichen Beschneidungseinwilligung soll sein, dass der Knabe (ausdrücklich) zustimmt und dass er - was die Beschneidung angeht - einsichts- und urteilsfähig ist. Fehlt es trotz einer Zustimmung an dieser Fähigkeit, so bleibt eine elterliche Einwilligung rechtlich unwirksam und eine Beschneidung hat zu unterbleiben. Die Beschneidung des Minderjährigen bleibt dann eine verbotene und strafbare Körperverletzung. Das Vetorecht des Kindes, ursprünglich als bloßes Ablehnungsrecht diskutiert, bei dem unklar war, welche Art von ablehnenden Äußerungen (und ab welchem Alter) beachtlich sein sollte, wird zum Erfordernis einer ausdrücklich erklärten Zustimmung ausgestaltet.
Außerdem sind Aufklärung und Beratung wesentliche Erfordernisse, die dieser Entwurf berücksichtigt und in den Vordergrund der praktischen Handhabung rückt. Damit wird die Rolle des betroffenen Knaben erheblich gestärkt - auf seine Zustimmung kommt es maßgeblich an. Das Kind selbst rückt in den Mittelpunkt des Geschehens um seinen Körper. Durch die Stärkung der Stellung des Betroffenen, durch Aufklärung und Beratung steigen auch erheblich die Chancen, dem sozialen Druck zur Beschneidung zu widerstehen. Wichtig wird die institutionelle Ausgestaltung und die praktische Handhabung des Vetorechts sein, damit eine freie Entscheidung des Knaben möglich ist. Es sollte hierbei auch nicht übersehen werden, dass die öffentliche Diskussion dieses Themas nach dem Kölner Landgerichtsurteil auch in den muslimischen und jüdischen Communities das Bewusstsein für die Problematik des Beschneidungseingriffs geschärft hat und dass die vorgesehene Regelung auf einen Diskussionsprozess setzt.
Hohe medizinische Anforderungen
Medizinische Risiken werden nach dem Gesetzesentwurf durch die zu berücksichtigenden Qualitätsanforderungen an den tätig werdenden Arzt, der über Spezialkenntnisse hinsichtlich Beschneidungen verfügen muss, weitgehend minimiert. Dass selbstverständlich kein Nichtmediziner, kein nichtärztlicher Beschneider, mehr tätig werden darf, ergibt sich schon aus dem Wortlaut der vorgesehenen Regelung. Der Entwurf geht davon aus, dass eine effektive Schmerzbehandlung erforderlich ist, was sich bereits aus der Formulierung von „den Regeln der ärztlichen Kunst“ ergibt. Durch die Festlegung des Mindestalters auf 14 Jahre werden zudem die bei Säuglingen vorhandenen erheblichen gesundheitliche Risiken etwa aufgrund einer „Bluterkrankheit“, die vor der Beschneidung nicht festgestellt wird, ausgeschlossen. Eine Traumatisierung durch den Eingriff bei einem erst wenige Tage alten Kind, welches den Schmerz des Abtrennens der zu diesem Zeitpunkt noch fest mit der Eichel verklebten Vorhaut zwar verspürt, jedoch nicht verarbeiten kann, ist mit dieser vorgesehenen Regelung ausgeschlossen.
Einschränkung von Risiken gegenüber dem Regierungsentwurf
Ebenso wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung lässt auch dieser Entwurf jegliche Beschneidungen aus medizinisch nicht erforderlichen Gründen, somit prinzipiell aus jeglichem Grunde zu. Satz 2 des § 1631d BGB-E regelt, dass trotz Vorliegens sämtlicher Erfordernisse einer Beschneidungseinwilligung der Eltern unwirksam sein kann, wenn unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls („unter Berücksichtigung ihres Zwecks“) des Kindeswohl gefährdet wird. Nach dem Regierungsentwurf ist keinerlei Kontrolle des Zwecks der Beschneidung vorgesehen, dieser muss vor der Beschneidung nicht einmal (auch nicht der beschneidenden Person) genannt werden, so dass jeglicher elterlicher Willkür Tür und Tor geöffnet ist (bis hin zu Beschneidungen als Bestrafung oder um Masturbation zu unterbinden). Diesen Risiken begegnet der Entwurf der Bundestagsabgeordneten dadurch, dass der Knabe ausdrücklich zustimmen und dass zusätzlich seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Beschneidung gegeben sein muss, was eine (ausführliche) Kommunikation mit ihm erfordert.
Berücksichtigung von Menschenrechten, Tatsachen und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen statt Ideologie
Dieser Gesetzesentwurf unterscheidet sich deutlich (positiv) von dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung.
In der Begründung des Entwurfs legen die Abgeordneten im einzelnen die verschiedenen Gründe für Beschneidungen dar. Ausführlich werden „Aufbau und Funktion der Vorhaut“ dargestellt und erörtert, so dass deutlich wird, was deren Bedeutung in gesundheitlicher und sexueller Hinsicht ist. Dargestellt werden die Durchführung der Vorhautentfernung selbst, deren medizinische Risiken und die gesundheitlichen, psychischen und sexuellen Folgen.
Dieser Gesetzentwurf geht somit nicht von ideologischen Leitbildern, sondern von der Realität aus, von dem, was ist und welche Bedeutung es hat. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass auch berücksichtigt wird, dass „Männer, die erst als Erwachsene beschnitten wurden und aus diesem Grund sexuelle Erfahrungen vor der Zirkumzision hatten, … über fühlbare Einschränkungen ihres sexuellen Lustempfindens“ berichten. Die Erfahrungen von Betroffenen werden thematisiert.
Der Entwurf der 53 Abgeordneten erörtert die rechtlichen Rahmenbedingungen von Beschneidungen und verweist insbesondere darauf, dass Elternrechte lediglich treuhänderische Rechte sind, die im Interesse und zum Wohl des Kindes auszuüben sind, wobei auch das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 GG) von seinen Eltern im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung treuhänderisch wahrgenommen wird. Es wird hervorgehoben, dass im Zusammenhang mit der Schaffung eines Kinderrechts auf gewaltfreie Erziehung vor einem Jahrzehnt der Gesetzgeber auch deutlich gemacht habe, dass ein Kind „als Person mit eigener Würde und als Träger von Rechten und Pflichten die Achtung seiner Persönlichkeit auch von den Eltern verlangen kann“. Die Abgeordneten formulieren in der Begründung des Entwurfs deshalb eindeutig, dass ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht mehr allein an die Entscheidung der Eltern gebunden sei, sondern die Zustimmung des betroffenen Knaben voraussetze, und dass nur dann dieser Eingriff - im Gegensatz zu einem medizinisch indizierten - akzeptiert werden könne.
Eine Beschränkung der Glaubens- und Religionsfreiheit des Knaben durch die Erfordernisse seiner eigenen ausdrücklichen Zustimmung zur Beschneidung in einsichts- und urteilsfähigem Zustand wird richtigerweise verneint. Wie könnte ein Grundrecht durch eigenständige Wahrnehmung auch eingeschränkt werden? Ebenso leuchtet jedem unvoreingenommenen Betrachter auch ohne weiteres ein: Ohne Berücksichtigung einer ausdrücklichen Zustimmung des Kindes dürfen Eltern allenfalls über solche religiöse Riten allein entscheiden, deren Gehalt sich auf einen rein symbolischen Akt beschränkt. (Jüdische Beschneidungsgegner fordern bekanntlich auch eine rein symbolische Maßnahme bei Minderjährigen.)
Die zutreffende Stellung einer Vorschrift zur Einwilligungsberechtigung von Eltern in Beschneidungen ihres Sohnes wird von den Abgeordneten - in Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - im Recht der elterlichen Sorge gesehen. Es soll keine Differenzierung nach der Motivation der Eltern vorgenommen werden, da ein „Sonderrecht“ lediglich für religiös motivierte Beschneidungen den unterschiedlichen Zwecksetzungen von Beschneidungen nicht gerecht werde. Der Sache nach wäre eine solche Regelung allerdings wohl im Gesetz über die religiöse Kindererziehung zu treffen, denn es handelt sich in der Tat - was jedem bekannt ist - um ein (religiöses) Sonderrecht für muslimische und vor allem jüdische religiöse Rituale. Dies kann angesichts der öffentlichen Debatte der letzten Monate kaum verkannt werden.
Deutlich zu erkennen ist, dass mit dem alternativen Gesetzesentwurf die Rechte des betroffenen Knaben wesentlich gestärkt werden - im Sinne der bisherigen Entwicklung der Kinderrechte in Deutschland. Der Entwurf formuliert ausdrücklich: „Es gilt künftig der Grundsatz: Keine Beschneidung ohne vorherige Zustimmung des männlichen Kindes“.
Kompromiss: Orientierung auf Rechtsfrieden
Es handelt sich, dies muss betont werden, um einen Kompromissvorschlag, der die Debatte der letzten Monate und die darin geäußerten Positionen aufgreift. Muslime und Juden haben immer wieder betont, dass für sie das Wohl und die Gesundheit der Knaben an erster Stelle stehen. Jetzt haben sie Gelegenheit, ihren Worten Taten folgen zu lassen, indem sie sich öffentlich für diesen Gesetzesentwurf einsetzen. Die Muslime haben erklärt, dass aus ihrer Sicht Beschneidungen durch Ärzte vorzunehmen seien, und eine starre Altersgrenze existiert bei ihnen ohnehin nicht. Die Juden wiederum wissen genau, dass jeder Jude ist, der eine jüdische Mutter hat. Auch ein unbeschnittener Jude gehört zur religiösen Gemeinschaft, wie sich am Beispiel der aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden jüdischen Männer zeigt, die unbeschnitten sind und auch bleiben - und gleichwohl in den jüdischen Gemeinden akzeptiert sind. Bekanntlich sind unbeschnittene jüdische Männer lediglich von der Teilnahme an bestimmten Ritualen ausgeschlossen (etwa beim Vorlesen aus der Tora). Jüdische Knaben üben allerdings keine solchen Rituale vor dem 14. Lebensjahr aus. Erst ab dem 13. Geburtstag (Bar-Mizwa) entfaltet die Beschneidung eine Bedeutung für deren Rolle in der Gemeinde. Zur Festlegung auf den 13. Geburtstag existieren allerdings unterschiedliche Bräuche. Ein Grund, diesen Brauch nicht um ein Jahr zu verschieben, ist nicht ersichtlich und auch niemals von Juden vorgetragen worden.
Der alternative Gesetzesentwurf geht von den Tatsachen, dem Wohl des betroffenen Knaben und dessen Menschenrechten aus und orientiert sich an modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er passt in die heutige Zeit und stellt einen akzeptablen Kompromiss dar. Deshalb: Mit etwas gutem Willen kann jetzt ein von allen Seiten akzeptierter Kompromiss zustande kommen, der auch den Rechtsfrieden in Deutschland wiederherstellt. Jetzt sind die Muslime und die Juden am Zug.
Was wird mit den Mädchenbeschneidungen?
Äußerst problematisch bleibt allerdings, dass mit einer gesetzlichen Regelung der Beschneidung von Knaben auch das Tor zur Beschneidung von Mädchen (jedenfalls in der mildesten Variante) wieder geöffnet werden könnte. Schon werden erste Stimmen hierzu laut. In einer Veröffentlichung aus dem Oktober dieses Jahres fordert der Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Menofiya (Ägypten), Dr. Mohamed Kandeel, eine Änderung der Positionen zur Mädchenbeschneidung, was er mit deren Unbedenklichkeit (hinsichtlich Typ I), mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Religionsfreiheit der Eltern (!) begründet.
Es dürfte somit noch einiges auf die deutsche Gesellschaft und den Gesetzgeber zukommen. Die Debatten sind noch lange nicht zu Ende.
Walter Otte