Wem gehören unsere Kinder?

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Jesper Juul (Foto: K. Micada)

BERLIN. (hpd) Der dänische Familientherapeut Jesper Juul und Autor z.B. von „Das kompetente Kind“ stellte am 13. November 2012 in Berlin seine neue Streitschrift vor: „Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst?“ (Beltz-Verlag) Zudem beantwortete er Fragen eines Journalisten und aus dem Publikum.

Zu Juuls Streitschrift

Kinderkrippen dienten den Bedürfnissen von berufstätigen Eltern nach Versorgung und dem Bedürfnis des Staates nach Aufzucht von zukünftigen Erwerbstätigen, die mit der internationalen Konkurrenz mithalten können. Aber sie seien nicht eingerichtet, um die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen.

Den politisch Verantwortlichen gehe es beim Thema Kitas statt um Ethik um Geld und Bildung.

Die Kita diene dazu, funktionierende Menschen zu machen, aber nicht, das Kind in seinen Eigenheiten und Fähigkeiten zu unterstützen.

Juul plädiert dafür, die natürliche Kompetenz des Kindes anzuerkennen und zu fördern. Beispielsweise sollen Kinder in Kitas nicht dazu gezwungen werden, zu bestimmten Zeiten und in der großen Gruppe zu essen, sondern selbstbestimmt nach Appetit und mit freier Wahl des Ortes.

Das Erziehungspinzip, Gehorsamkeit und Folgsamkeit zu belohnen, sei falsch und manipulativ. Juul hält von dem Konzept „Jedem Kind einen Krippenplatz“ nichts, weil hier Quantität vor Qualität gehe und die Eltern selbst die Qualifikation der Erzieherinnen überprüfen müssten. Die Erzieherausbildung hält er für unzureichend. Größter Mangel bei den Erzieherinnen sei die Konzentration auf die Defizite des Kindes anstatt auf das Entfaltungspotenzial. Die „Definitionsmacht“ führe zu einem  Abstempeln einzelner Kinder.

Diskussion im Kino Babylon

Den etwas flapsigen Fragen des taz-Journalisten Christian Füller stellte sich Juul im ersten Teil der Diskussionsrunde im gut gefüllten Babylon-Kino in Berlin-Mitte.
Ergänzend zu seinem Buch erläuterte er die Problematik der Definitionsmacht der Erzieherinnen. 22 % der Jungen in Kitas würden als Problemkinder gesehen und dadurch ausgegrenzt.

Auch gäbe es in Kitas grundsätzlich viel zu wenig Platz.

Er kritisiert, dass unempathische Kinder von den Erzieherinnen abgewertet werden, anstatt ihnen mit Empathie zu begegnen. Aus seiner Erfahrung heraus lösen sich die Probleme mit Aggressivität von Kita-Kindern in über 80 Prozent der Fälle durch zuwendende Kommunikation und gleichzeitiges Vermeiden destruktiver Kommunikation (Abwertung, Moral). Aggressivität sei stets ein Hilferuf. Zu einfach machten es sich Erzieherinnen mit der Regel „Wir schlagen nicht in der Kita“.
Als Ursache für Gewalt in der Schule sieht Juul einen Mangel an Führung. Wobei er sicherlich nicht autoritäre Führung meint, sondern zuwendende Kommunikation. Einer seiner Leitsätze lautet daher auch „Rede mit dem Kind!“

Seine Grundregeln für die Kitas:

• Kinder brauchen Fürsorge, Sicherheit und Anregung
• Nie mehr als 4 Kinder pro Erwachsener
• Keine Ausgrenzung einzelner Kinder
• Neue Art der Kooperation mit den Eltern

Im zweiten Teil des Abends ging Juul auf Fragen aus dem Publikum ein. Da kein genauer eingegrenztes Thema vorgegeben war, gab es eine bunte Mischung zu vielerlei Themen wie Homescooling, Schulpflicht, freiwillige Hausaufgaben, Erzieherausbildung.

Juul vermutet, dass die Ganztagesschule bald auch in Deutschland kommen werde.
Er spricht sich für das Betreuungsgeld aus, weil die Eltern dann eine Wahl haben. Da es daraufhin keinen Protest im Publikum gab, wurde das Thema auch nicht weiter erörtert.

Konsequent gemieden wurde von allen Beteiligten das Thema Gewalt im Elternhaus, das eigentlich hier nicht ausgeklammert werden dürfte und die Ursache für viele der angesprochenen sozialen Probleme wie Aggressivität und Empathielosigkeit darstellt.

Katharina Micada