Ich halte derlei Vorbringungen für beleidigend

hpd: Was steht denn tatsächlich im Urteil?  

Abgottspon: Es sei nicht beweisbar, dass das religiöse Symbol schon alleine eine unangebrachte Beeinflussung darstelle und in die Rechte der Eltern (und Kinder) eingreife. Die Präsenz eines Kruzifixes alleine stelle also keinen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention dar. Zudem sei in dieser Frage jedes Land befugt, seine eigenen Regelungen in den Schranken der Grundrechte zu formulieren. Das Symbol an sich wurde also nicht als derart gravierend angesehen, dass in die einzelstaatliche Souveränität hätte eingegriffen werden müssen.  

hpd: Das Kantonsgericht argumentierte mit einem EGMR-Urteil von 2011? Deine fristlose Entlassung war doch im Jahr 2010? 

Abgottspon: Tja, die Politik und der Staatsapparat im Wallis sind in gewissen Dingen Jahrzehnte hinten drin. Da wird man dem Kantonsgericht wohl verzeihen dürfen, wenn es sich um ein einziges Jahr in der Chronologie irrt. Aber Spaß beiseite. Es mutet schon recht seltsam an, dass so getan wird, als ob die Regionalbehörde 2010 nicht ganz klar wissen konnte, dass sie sich auf dem Holzweg befindet. Das Urteil von 2011 kam ja eher überraschend. Zum Zeitpunkt der Entlassung war also sehr klar, dass man eine Lehrperson nicht dazu zwingen kann, ein Kruzifix wieder aufzuhängen. Und es war auch sonnenklar, dass es nicht rechtens sein kann, ihm über Nacht zwei Mal ein solches über die Wandtafel zu hängen.  

hpd: Zurück zur Situation in der Schweiz: Wie ist die aktuelle Rechtslage denn beschaffen? 

Abgottspon: Für die Schweiz gilt also immer noch und uneingeschränkt das Urteil des Bundesgerichts von 1990 im Fall Cadro. Das heißt: Spätestens, wenn Beteiligte die Entfernung des Kreuzes oder Kruzifixes verlangen, ist dieser Forderung ohne Aufhebens Folge zu leisten. Für die Schweiz ist die Rechtslage also nicht irgendwie umstritten. Schade ist halt, dass es immer wieder Mut braucht, dieses Recht als Eltern, religionsmündige Schülerin oder Schüler, als Lehrer auch einzufordern. Man hat ja jetzt leider gesehen, was dann passieren kann. Daher bin ich dafür, dass (auch im Wallis) die staatlichen Räumlichkeiten grundsätzlich religionsneutral gestaltet werden und nicht erst auf Verlangen hin. Es muss staatliche Aufgabe sein, korrekte Zustände herzustellen, man darf da nicht auf die Staatsbürger abstellen, welche diese Forderung dann einbringen. Denn diese setzen sich gerade in ländlichen, konservativeren Gegenden einem ziemlichen Risiko aus, wenn sie fordern, was eigentlich von Staates wegen garantiert sein sollte.

Das EGMR-Urteil argumentierte ja, es handele sich beim Kruzifix um ein «passives Symbol, welches nicht mit einem didaktischen Vortrag oder mit der Teilnahme an einer religiösen Handlung» zu vergleichen sei. Gerade im Wallis sind jedoch dieser didaktische Vortrag und die Teilnahme an religiösen Handlungen omnipräsent. Es geht also darum, dass man den Religionsunterricht korrekt gestaltet, die konfessionellen Rituale außerhalb der Schulzeit organisiert, dass kein Schulgebet stattfindet und so weiter. An meiner früheren Schule war es zweifelsohne so, dass der Schulbetrieb insgesamt katholisch durchtränkt war, es war mitnichten so, dass es sich um eine säkulare Schule handelte, an der halt einfach nur noch einige Kruzifixe herumhingen. Wenn sich Politiker also hier einseitig auf das europäische Urteil aus dem Jahre 2011 berufen, so picken sie nur das ihnen Genehme heraus.  

 

hpd: Es hat auch politische Vorstöße im Zusammenhang mit deinem Fall gegeben?

Abgottspon: Ja, die Schweizerische Volkspartei Wallis wollte in jedem Schulzimmer des Kantons ein Kruzifix obligatorisch machen. Dieses Postulat wurde im Kantonsparlament jedoch abgelehnt. Es gab jedoch auch positive Interpellationen, was die Frage von Trennung von Kirche und Staat betrifft. Das Bewusstsein, dass hier noch Dinge im Argen liegen, ist im Wallis ganz bestimmt stärker geworden. Auf eidgenössischer Ebene wollte eine Nationalrätin gewissen religiösen Symbolen einen Sonderschutz zukommen lassen. Auch dies wurde von der Politik abgelehnt.

hpd: Ich nehme an, du hast das Urteil gebührend gefeiert?  

Abgottspon: Ein wenig, ja. Aber noch nicht allzu sehr. Ich bin im Moment mit Elterngesprächen, Bürokratie und mit diversen Vereinsaktivitäten stark ausgelastet. Ich freue mich jedenfalls schon besonders auf das Bierchen (und das zweite und dritte), welches ich mit einem meiner liebsten Kollegen, der an der Klosterschule Einsiedeln unterrichtet, stürzen werde.   

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Fiona Lorenz

 

Valentin Abgottspon ist Sektionspräsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz. Er schreibt regelmäßig für news.ch und betreibt eine eigene Website. Die Karikatur, die der hpd dankenswerter Weise übernehmen durfte, stammt von Gabriel Giger, das Foto aus Abgottspons Privatbestand.