WALLIS. (hpd) Im Klassenzimmer des Lehrers Valentin Abgottspon hing ein Kruzifix. Das hängte er ab. Daraufhin wurde er fristlos entlassen. Abgottspon berief sich auf Grundrechte und die Verfassung, auf die Anwendung eines entsprechenden Bundesgerichtsurteils, er klagte – und bekam nun vor dem Walliser Kantongericht Recht.
hpd: Valentin, am Donnerstag, 15. November 2012 erging das erfreuliche Gerichtsurteil des Walliser Kantongerichts: Du wurdest zu Unrecht entlassen. Was war dem vorausgegangen?
Valentin Abgottspon: Eine lange juristische Auseinandersetzung vor diversen staatlichen Stellen. Beispielsweise hatten sowohl Staatsrat (die Regierung des Kantons Wallis) als auch das Kantonsgericht entschieden, dass es in Ordnung sei, dass meiner Beschwerde direkt ihre aufschiebende Wirkung entzogen wurde. Zudem hatte der Staatsrat entschieden, dass ich zu Recht fristlos entlassen wurde. Dazu lieferte die Regierung teils recht abenteuerliche Begründungen inklusive echter Verdrehungen von Fakten. Das Kantonsgericht hat jetzt die Entscheidungen der regionalen Schulbehörde und des Staatsrates kassiert. Das freut mich natürlich, wenngleich ich natürlich weiß, dass das Kantonsgericht diesen Entscheid vor allem wegen einer Abwägung so fasste: Es galt zu entscheiden, ob es von der Walliser Politik kritisiert werden wollte, oder ob es sich vor der ganzen Schweiz bloßstellen wollte, wenn dann später sein Entscheid vom Bundesgericht aufgehoben würde.
hpd: Du hast in den Medien erwähnt, dass du mit der Medienmitteilung des Kantonsgerichts und Teilen des Urteils nicht zufrieden seist.
Abgottspon: In der Medienmitteilung vollzieht das Kantonsgericht einen Kniefall vor der Politik und einen Versuch, vor der katholisch-konservativen Politik das Gesicht zu wahren. Die Medienmitteilung tut so, als ob ich mir einiges vorzuwerfen hätte, dass diese «Verfehlungen» jedoch halt nicht ganz zur Begründung einer fristlosen Kündigung reichen würden. Auch im Urteil selber wird an einigen Stellen behauptet, ich hätte provoziert und sogar unanständig formuliert. Der Briefwechsel ist mittlerweile im Netz zugänglich. Meine Forderungen wurden stets in anständigem Ton vorgebracht. Auch waren sie gut begründet.
hpd: Die Regionalschule rechtfertigte deine fristlose Entlassung ja mit angeblichem Fehlverhalten, unter anderem mangelnden Respekts gegenüber den Vorgesetzten sowie fehlender Qualifikationen. Wie beurteilte das Gericht diese Aussagen?
Abgottspon: Das Kantonsgericht hat durchaus erkannt, worum es sich bei diesen so genannten «Rechtfertigungen» handelte: Es waren Schutzbehauptungen und Vorwände. Hätte sich die Schulbehörde ihrer nicht bedient, hätte das Urteil wohl bereits vor einer früheren Instanz anders ausfallen müssen. Die Forderungen an die Schulbehörde und Schulleitung waren keineswegs respektlos, sondern sehr legitime Forderungen, welche man an einen laizistischen Staat und dessen Schulen stellen darf. Es ist meiner Meinung nach sogar geboten, dass aufrechte Staatsbürger staatliche Stellen anhalten, solche mangelhafte Zustände zu korrigieren. Leider ist es in Teilen des Wallis’ halt so, dass die Forderung, sich an Bundesgerichtsurteile zu halten, säkularer zu werden, die Neutralitätspflicht besser einzuhalten usw. bereits als Beleidigung und Zumutung aufgefasst wird, als fast schon impertinente Majestätsbeleidigung.
Dass gewissen Politikern, denen das Konzept der Trennung von Staat und Religion komplett fremd ist, einige meiner Forderungen respektlos erscheinen mögen, kann ich zwar nachvollziehen, trotzdem ist es eine schlichte Fehleinschätzung von ihnen. Dass ich als Klassenlehrperson beispielsweise keine Schüler in die katholischen Messen begleiten will und nicht bestimmen will, welche meiner Schülerinnen und Schüler denn Messdiener- und Lektorendienste verrichten, scheint mir eine selbstverständliche Forderung zu sein. Ich halte im Gegenteil für recht befremdend, dass die lokale Politik davon ausging, dass jede Lehrperson diese Aufgaben einfach so zu übernehmen habe. Dass das Vertrauen in mich gestört sei und meine Qualifikationen nicht ausreichten, war auch nur ein Vorwand. Das wird nur allein schon dadurch widerlegt, dass ich an einer anderen Schule im Oberwallis einen Job gefunden habe und dort keinerlei Anlass zu Beanstandungen vorhanden sind. Im Gegenteil, mittlerweile ließ sich sogar der Staatsrat in den Medien verlauten, dass er vernommen habe, ich sei ein außerordentlich guter Lehrer. Im Kantonsgerichtsurteil steht’s ja jetzt ebenfalls: «Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der gute Ruf des Beschwerdeführers als Lehrer unbestritten war und ist.»
hpd: Was meinst du selbst dazu?
Abgottspon: Ich halte derlei Vorbringungen für beleidigend. Das ganze Oberwallis wusste eigentlich, dass der entsprechende Politiker es mit der Wahrheit diesbezüglich nicht allzu genau nahm. Dass der Staatsrat diese Punkte nicht durchschauen wollte, ist für mich ziemlich bedenklich. Aber auch das Kantonsgericht konnte oder durfte sich nicht dazu durchringen, herauszustreichen, wie gerechtfertigt und angebracht meine Forderungen und Feststellungen denn waren. Es wird behauptet, ich hätte mich bisweilen «im Ton vergriffen». Die Schulbehörde hätte freilich lieber gehabt, ich hätte geschwiegen. Ich zitiere hier die «schöne Stelle» aus einem Gutachten zum Fall, welches Prof. Markus Schefer erstellt hat: «Wird das Ansehen der Schule aber dadurch in Frage gestellt, dass auf verfassungswidrige Praktiken der Schulbehörden hingewiesen wird, liegt das rechtmässige Mittel zum Schutz des Ansehens nicht in der Einschränkung entsprechender öffentlicher Äusserungen, sondern in der Herstellung verfassungskonformer Zustände.» Das Gutachten ist übrigens sehr lesenswert. Es äußert sich nicht nur über die Kruzifixfrage und meinen Fall, sondern auch zur Neutralitätspflicht staatlicher Schulen im Allgemeinen und die Meinungsäußerungsfreiheit sowie Treuepflicht von Lehrpersonen.
hpd: Welche Konsequenzen hatte die Entlassung 2010? Gemäß Personalgesetz hast du ja – so das Kantonsgericht – keinen Anspruch auf Weiter- oder Wiederbeschäftigung.
Abgottspon: Die fristlose Entlassung war ein harter Schlag in die Magengrube. Solche Maßnahmen sind normalerweise nur üblich, wenn sexueller Missbrauch, Gewalttaten oder Ähnliches vorliegen. Der Regionalbehörde schien jedoch gereicht zu haben, dass ich mich für Grundrechte und Verfassung, für die Anwendung eines Bundesgerichtsurteils einsetzte. Ich war über längere Zeit arbeitslos und musste mich mit Nebenjobs durchschlagen. Das war finanziell nicht sehr angenehm und brauchte auch viel Energie. Ich fand dann auf das Schuljahr 2011/12 hin an einer anderen Schule im Oberwallis wiederum Arbeit, musste jedoch einen viel längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen. Mittlerweile bin ich auch umgezogen.
Dass ich keinen Anspruch auf Weiter- oder Wiederbeschäftigung habe, ist halt ein Fakt, welcher sich aus der Rechtslage ergibt. Es ist trotzdem stoßend, dass ein Gericht die Missbräuchlichkeit der Entlassung feststellen kann, die Entscheidung jedoch nicht rückgängig gemacht werden kann. Ich bin am neuen Arbeitsort jedoch sehr zufrieden, die Schulleitung ist sehr gut, die Behörden schätzen die Arbeit unseres Lehrerteams und meine Lehrerkollegen sind hilfsbereit und engagiert. Ich fühle mich dort sehr wohl. Was mich am Ganzen jedoch immer noch sehr stört: Die Mitglieder der Behörde werden für eine allfällige Entschädigung an mich ihr Portemonnaie nicht öffnen müssen. Ihre fehlerhafte Einschätzung und Überreaktion wird von der Allgemeinheit bezahlt werden müssen.
hpd: Hast du mit dem Urteil des Walliser Kantongerichts gerechnet?
Abgottspon: Jein. Ich hatte eher damit gerechnet, dass das Kantonsgericht vielleicht mit dem Schulgesetz argumentieren würde, das den staatlichen Schulen vorschreibt, sie habe die Schülerinnen und Schüler auf ihre «Aufgabe als Mensch und Christ» vorzubereiten. Oder dass es die fristlose Kündigung anderswie zurechtbiegt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Kantonsgericht so entschieden hat, weil das Medieninteresse doch recht groß war und ich zudem auch öffentlich immer wieder bekannt machte, dass ich einen allfälligen negativen Entscheid vor Bundesgericht anfechten würde.
hpd: Der Hauptstreitpunkt, ob ein Lehrer ein Kruzifix in einem Schulzimmer abhängen darf, wurde durch das Gericht nicht geklärt...
Abgottspon: Das Kantonsgericht hat diesbezüglich seinen Kopf kunstfertig aus der Schlinge zu ziehen vermocht. Es argumentiert vorwiegend damit, dass es für eine fristlose Entlassung schwer wiegender Gründe bedarf und spricht fast gar nicht zum Thema Schule und Religion. Es wird sogar behauptet, dass die rechtliche Lage umstritten sei und zitiert das Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Lautsi vs. Italien. Die Kleine Kammer selbigen Gerichts entschied 2009 einstimmig, dass Kruzifixe in Schulgebäuden nicht mit dem Gebot staatlicher Neutralität in Einklang zu bringen seien. Daran schloss sich eine wohl beispiellose Serie von Lobbying und staatlichen Interventionen an. Im März 2011 revidierte die Große Kammer (mit 15 zu 2 Stimmen, der Schweizer Richter war übrigens unter den 2 Gegenstimmen) dieses Urteil. Das Kantonsgericht hat allerdings etwas verkürzt dargestellt bzw. zitiert, und behauptet, das EGMR habe behauptet, Kruzifixe in Schulen stellten kein Problem dar und seien einfach so erlaubt.