Ist das Anthropozän ungerecht?

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Dipesh Chakrabarty / Foto: Bernd Schwabe (CC BY-SA 3.0)

BERLIN. (hpd) Die in Millionen Jahren entstandene fossile Energie wird binnen kurzer Zeit erschöpft sein. Dabei haben wir wenig bedacht, inwieweit die fossile Energie mit der Idee der menschlichen Freiheit verbunden ist. So Dipesh Chakrabarty, der aus Indien stammt, im Rahmen des Anthropozän-Projektes im Haus der Berliner Kulturen der Welt.

Der Energieverbrauch der Menschen wird nicht nur die nächsten 100 Millionen Jahre der Erdgeschichte verändern, sondern zunächst einmal, wie wir leben werden. Auf dem Spiel steht nach Dipesh Chakrabarty , Mitbegründer der Postcolonial Studies, eine Idee von Freiheit, die in den letzten 50 bis 60 Jahren entstanden ist, denn die früheren großen Zivilisationen basierten auf erzwungener billiger Arbeit.

Doch die neue Freiheit für die Menschen hat bedenkliche Folgen für die Natur. Die Ausbreitung des Menschen ohnehin. „Mehr als 90 Prozent allen Pflanzenwachstums findet in Systemen statt, die der Mensch beeinflusst, 90 Prozent der Biomasse aller lebenden Säugetiere werden vom Menschen und seinen Haustieren gestellt, und mehr als drei Viertel der eisfreien Landoberfläche sind nicht mehr im ursprünglichen Zustand“, so der Geobiologe Reinhold Leinfelder, einer der Mitinitiatoren des über die nächsten zwei Jahre im Berliner Haus der Kulturen der Welt laufenden Veranstaltungsschwerpunkts „Anthropozän“ mit Round-table-Gesprächen, Ausstellungen, Filmen und Musik.

Das Haus will unter anderen zusammen mit dem Deutschen Technikmuseum und der Max-Planck-Gesellschaft die Bedeutung eines Begriffs ausleuchten.  Der wurde bereits 1873 von Antonio Stoppani erahnt. Der italienische Geologe sprach 1873 erstmals vom Menschen als einer neuen tellurischen Macht. Seit den Veröffentlichungen des niederländischen Meteorologen und Chemie-Nobelpreisträgers Paul Crutzen zu Beginn dieses Jahrhunderts bewegt das Paradigma eines Antropozäns über Fachkreise hinaus die Öffentlichkeit.

Crutzens These: Nach dem Holozän, das die seit zehntausend Jahren klimatisch relativ stabile Periode nach der letzten Eiszeit bezeichnet, bestimmt der Mensch seit dem Beginn des 19. Jahrhundert und der Industrialisierung das Gesicht und den Stoffwechsel der Erde. Indikatoren sind: landschaftliche Veränderung und Übersäuerung der Ozeane. Methan- und Kohlendioxidkonzentrationen nehmen zu. Das Ozonloch über der Antarktis wächst, und Binnengewässer wie der Aralsee versalzen und verschwinden. Weitere Aspekte sind die Artenwanderung und das Verschwinden vieler Tier- und Pflanzenarten. Nach fünf großen Artensterben in den letzten 500 Millionen Jahren ist der Mensch dabei, eine neue globale Reduktion der Arten zu bewirken, hauptsächlich durch Monokulturen.

Ist der Mensch im Begriff, eine Apokalypse auszulösen? Ist er Gegner oder Teil der Natur, und sind damit auch die Veränderungen, die er in Gang setzt, ein Stück Natur? Das fragen Wissenschaftler im Rahmen des Anthropozän-Projektes in Diskussionen in Berlin. Wird auf unheimliche Weise der biblische Satz „Macht auch die Erde untertan“ doch noch wahr? Müssen wir anders auf und mit der Erde wirtschaften, und gibt es Alternativen, das sind die Fragen.

Natur gibt es nicht mehr

In Berlin werden sie unter so irritierenden Devisen verhandelt wie: „Ist das Anthopozän gerecht?“, „Ist das Anthropozän schön?“ Die neuen Prozesse von geophysikalischer Dimension, werden nach menschlich ethischen und ästhetischen Gesichtspunkten untersucht, denn schließlich wurden sie durch menschliches Handeln in Gang gesetzt. Natur gibt es nicht mehr, so lautet die schockierende Prämisse. Nun wird in öffentlichen Workshops erkundet, wie die Natur human im moralischen Sinne mitgestaltet werden kann, wenn wir schon nicht anders können, als sie gravierend zu verändern.

Nach Dipesh Chakrabarty, Historiker und Professor an der University of Chicago, zeigt vor allem die Klimaveränderung die Kollision dreier Geschichten: der Erdgeschichte, der des Lebens beziehungsweise der Evolution und der menschlichen Geschichte mit der Industrialisierung. Wir alle haben Teil an einer großen anderen Geschichte, deren möglichen Verlauf wir mit dem Wort  „riskant“, das aus dem Bereich des Marktes und der Zirkulation des Geldes stammt, falsch beschreiben. Die Veränderungen der Erde vollziehen sich in vorhersehbaren Schritten. Dennoch hat die vom Menschen beeinflusste Klimaveränderung nicht nur messbare Ursachen. Genauso wenig sind die Folgen einer Erderwärmung von vier Grad wirklich zu prognostizieren. Chakrabarty sagt: „Wir alle werden immer mehr Generalisten“, und fordert, „wir müssen aber immer mehr ins Detail gehen.“

Die drei Geschichtsstränge fügen sich für ihn nicht zu einer großen Erzählung der Geschichte von Mensch und der Erde. Wir stehen vor der Aufgabe, die Erdgeschichte und das Leben auf ihr zusammenzudenken, doch sie sind nicht identisch mit der Geschichte der Menschheit, denn Fragen der Gerechtigkeit gehen in sie nicht ein. „Die Erderwärmung hat eine Logik, die mit Fragen der Gerechtigkeit nichts zu tun hat“, betont Chakrabarty in seinem Vortrag „Die Geschichte auf vergrößerter Leinwand. Der Aufruf des Anthropozäns“: „Die Armen nehmen Teil an der Veränderung wie die Reichen. Wobei vor allem die Armen die Folgen einer Entwicklung der Reichen auszuhalten haben werden.“

Teilnahme am Konsum als Hauptlegitimierung

Das Versprechen der Teilhabe am Konsum war lange Zeit die Hauptlegitimierung der Regierungen. Und Kohle war die billigste Energie. Sie ist heute noch die Hauptenergie der armen Länder und macht 40 Prozent der derzeit verbrauchten Energie aus. Bis 2035 wird der Kohleverbrauch voraussichtlich um 50 Prozent steigen. Von der billigen Energie in der einen oder anderen Form hing der Aufstieg unserer Zivilisation ab. So taucht die von Chakrabarty in den Raum gestellte Frage auf, was aus unserer Zivilisation ohne sie werden wird. Wir wissen es nicht.

Chakrabarty, der auch gelernter Physiker ist, erinnert daran, dass die Erdbesiedelung lange vor Entstehen des Kapitalismus begonnen hat „und die Bevölkerung lange gebraucht hat, bis die Bevölkerung der Erde zum Thema wurde“. Er prognostiziert, dass der Mensch wie alle Lebewesen versuchen werden, durch Migration zu überleben. Er erwartet  eine neue politische Einheit und insistiert doch, dass Veränderungen mit Praktiken und Institutionen und der Kritik an Institutionen beginnen. 

Erd- und Menschheitsgeschichte zusammenzudenken, erweist sich als nicht so einfach. Denn bei der Betrachtung gelten unterschiedliche Kategorien. Eine Art der Geschichtserzählung lieferten die Religionen. Für die Muslime gilt, ruft Chakrabarty ins Gedächtnis: “Die Natur ist gut, weil sie gut zum Menschen ist“ Aber: „Ob die Natur selbst gut ist, das ist eine zu große Frage.“ Anstatt sich mit ihrer Beantwortung abzumühen, stellt Chakrabarty folgendes Postulat auf: „Wenn du die Gesundheit der Erde betrachten willst, unterlasse es, uns zuerst zu betrachten.“

Wie man es auch wendet, Chakrabarty gesteht zwar dem Begriff des Anthropozän eine große rhetorische Kraft zu, aber uns auf diese Weise als nun neu auftretende Hauptakteure der Erdgeschichte zu sehen, damit tut der Wissenschaftler sich nicht leicht.

Das Publikum in Berlin strömt in Scharen zu den Veranstaltungen des Anthropozän-Projektes im Haus der Kulturen der Welt. Ob das nur Indiz eines neuen Problembewusstseins ist? Uns selbst auf eine ganz andere Weise wieder als Hauptakteure des Geschehens der Erde zu sehen– und sei es, eines fatal der Katastrophe zustrebenden – dieser Gedanke fasziniert offenbar auch.

Simone Guski

Das Anthropozän-Projekt“ ist eine Initiative des Hauses der Kulturen der Welt in Kooperation mit Max-Planck-Gesellschaft, Deutschem Museum, Rachel Carson Center for Environment and Society, München und Institute for Advanced Sustainability Studies, Potsdam.