(hpd) Der israelische Historiker Moshe Zuckermann veröffentlicht in „Wider den Zeitgeist. Bd. I“ Aufsätze und Gespräche. Dabei kritisiert der Autor die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs zur Immunisierung vor Kritik, berücksichtigt aber nicht intensiv genug die Existenz von antisemitischen Mentalitäten hinter bestimmten Einwänden.
Über die Themen „Antisemitismus“, „Israel“ und „Nahost-Konflikt“ wird in Deutschland in besonders emotionalisierter und polarisierter Form debattiert. Mitunter beteiligen sich an diesen Kontroversen auch israelische Intellektuelle, die der Regierungspolitik ihres Landes besonders kritisch gegenüberstehen. Neben Uri Avnery dürfte Moshe Zuckermann der bekannteste Protagonist dieser in sich nicht homogenen Gruppe sein. Der Historiker und Soziologe lehrt als Professor an der Universität Tel Aviv und leitete dort das Institut für Deutsche Geschichte. Zuckermann ist bekennender Marxist, allerdings nicht in einem dogmatisch-orthodoxen Sinne.
In dem ersten Band „Wider den Zeitgeist“ findet man - so der Untertitel - „Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahostkonflikt und Antisemitismus“ versammelt. Die längeren Beiträge erschienen zuvor in deutschsprachigen Sammelbänden und Zeitschriften, die kürzeren Texte wurden erstmals in der Tageszeitung „Junge Welt“ gedruckt. Insofern besteht auch immer ein inhaltlicher Deutschland-Bezug.
Bereits im Vorwort klagt Zuckermann über die undifferenzierte Dimension der Debatte: „Es mag daher mehr als verwundern, mit welcher Unbekümmertheit man inzwischen diese Gleichsetzung von Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik vollzieht ...“ (S. 13).
Inhaltlich behandeln die 15 Artikel und drei Interviews die unterschiedlichsten Aspekte: Es geht um die Besonderheiten des palästinensischen und zionistischen Nationalismus und den Rassismus-Kontext des Zionismus ebenso wie um die „Shoah-Kodierung“ Deutschlands in Israel und den Außenminister Avigdor Lieberman als Symptom von Demokratieverdrossenheit.
Immer wieder zieht sich durch die Texte auch die Kritik an einer Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs bei der Kommentierung des Nahost-Konflikts, wobei Zuckermann zu polemischen Überspitzungen neigt: „Zuweilen scheint es sogar, als könne der politischen Klasse Israels nichts Besseres widerfahren als ein periodisch auftretender Antisemitismus, vorzugsweise in Europa“ (S. 62f.).
Bezogen auf die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikt heißt es: „Der Rückzug aus den besetzten Gebieten, mithin die Zweistaatenlösung, ist in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase – bei allen damit einhergehenden Konflikten, Zerrissenheiten und kollektiven Verlustängsten – unabdingbar“ (S. 81). Die Ursachen bestünden in konkurrierenden Besitzansprüchen um bestimmte Gebiete, nicht in einem entwickelten Antisemitismus. Insofern seien einschlägige Vorwürfe, die in Deutschland etwa von der „Antideutschen Linken“ erhoben würden, völlig unangemessen: „Diese Leute haben doch keine Ahnung davon, wie die vermeintliche ‚existenziell notwendige Sicherheitsideologie’ zu einer rabiaten Ideologie barbarischer Okkupationspolitik verkommen ist; wie ‚Auschwitz’ zum Fetisch entartet ist, der mit Auschwitz und seinen Andenken nichts mehr zu tun hat“ (S. 148).
Besondere Kritik richtet Zuckermann aber auch gegen die Partei „Die Linke“, die aus opportunistischen Gründen einen „Rückzieher“ bei ihrer Israel-Kritik gemacht habe.
Bezogen auf formale Aspekte können zunächst zwei kritische Bemerkungen gemacht werden: Zuckermann nähert sich seinen Aussagen immer etwas umständlich, was das Lesevergnügen durchaus mindert. Gleiches gilt für das Fehlen von Erläuterungen darüber, in welchem inhaltlichen Kontext die jeweiligen Texte erstmals erschienen.
Hinsichtlich der inhaltlichen Komponente verdienen die kritischen Kommentare zur innenpolitischen Entwicklung in Israel wie zur Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs besondere Aufmerksamkeit. Hier muss aber auch eine einseitige Perspektive und inhaltliche Übertreibung kritisiert werden: Es gibt auf palästinensischer Seite insbesondere bei der Hamas sehr wohl einen Antisemitismus, er ist nicht nur „gern ideologisch hochgespielt“ (S. 26). Und bei allen demokratietheoretisch notwendigen Einwänden gegen innenpolitische Entwicklungen in Israel darf die Rede von einer „zunehmenden Faschisierung“ (S. 100) doch als maßlos überzogen gelten. Zurecht fordert Zuckermann Differenzierung ein – er sollte sich aber auch selbst an das Gebot halten.
Armin Pfahl-Traughber
Moshe Zuckermann, Wider den Zeitgeist. Bd. I: Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahostkonflikt und Antisemitismus, Hamburg 2012 (Laika-Verlag), 206 S., 21 €.