Spammen zahlt sich aus

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Wien, Luftaufnahme (c) TU Wien

WIEN. (hpd) Ist Atheismus eine Religion? Der Konsens innerhalb der humanistischen Szene ist: Nein. Eine Splittergruppe aus Wien weiß es besser. Und verschafft ihren Thesen zum schlechtest möglichen Zeitpunkt Gehör.

Atheismus ist für Wilfried Apfalter, Präsidiumsmitglied der „Atheistischen Religionsgesellschaft“, ein theologisches Modell und sollte staatlich gefördert werden. Das verkündet er in einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard: „Mir hat noch niemand erklären können, inwiefern das ein Widerspruch sein soll. Das Gegenteil von Atheismus wäre in meinen Augen Theismus, und das Gegenteil von Religion wäre Nichtreligion. Wenn einer religiös ist, ist das Gegenteil von ihm oder ihr jemand, der nicht religiös ist.“

Atheismus auch nur eine Religion – aus dem Munde eines Atheisten? Für Atheisten, Agnostiker und Humanisten auf der ganzen Welt ist das harter Tobak. Auch die politischen Forderungen sind nicht ohne. Zitat aus dem Artikel: „Langfristig geht es der Atheistischen Religionsgesellschaft um eine Gleichberechtigung mit anderen religiösen Anschauungen. Eine solche gesetzliche Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft und in weiterer Folge als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts würde den Atheisten Möglichkeiten der öffentlichen Teilhabe eröffnen.“ Nach Ironie klingt das nicht.

Wenn dieser Artikel etwas beweist, sind es zwei Dinge. Atheist zu sein ist nicht gleichbedeutend mit überdurchschnittlicher Reflexionsfähigkeit.

Dauerspammer in Online-Foren

Die zweite Erkenntnis: Spammen zahlt sich aus. Dass der Artikel im Standard erscheint, ist kein Zufall. Seit Jahren tummeln sich in den Online-Foren dort ein, zwei Aktivisten der Splittergruppe und tun ihre Meinung zu allem und jedem kund. Hauptsache, man kann es grammatikalisch so hinbiegen, dass sich der Link zur Gruppe irgendwo unterbringen lässt. Und sei es, dass man zu einem Artikel, der mit Religionen oder Atheismus nicht das geringste zu tun hat, schreibt: „Und was würde die www.atheistische-religionsgesellschaft.at dazu sagen?“

Mit der Zeit haben sich etliche User über den Dauerspam beklagt. Zuletzt wurde es etwas besser. Die Aufmerksamkeit der Redaktion hatte sich die Splittergruppe mit seiner keinerlei Peinlichkeiten scheuenden Hartnäckigkeit gesichert.

Gerade 150 Mitglieder

Das dürfte auch der einzige Erfolg der kleinen Schar sein. In den vergangenen drei Jahren hat man es auf gerade 150 Mitglieder gebracht. Nach eigenen Angaben. Das reicht nicht mal, um eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft in Österreich anzumelden. Auch nach dem Artikel wird Apfalters Truppe dem Ziel 300 Mitglieder vermutlich kaum näherkommen. Mediale Aufmerksamkeit ist auch nicht alles. Die Spams im Standard-Forum kommen sicher bald wieder.

Der Stammtisch darf wieder regieren

In den Augen vieler Aktivisten der ernstzunehmenden Vereine und Organisationen der säkularen Szene (einen, wenn auch nicht vollständigen, Überblick findet man unter www.konfessionsfrei.at) machen Apfalters krude Thesen Jahre der Überzeugungsarbeit zunichte. Weg vom selbstreflexiven und sektiererischen „Wir gegen die Welt“, hin zu einem breiten Diskurs über die Rolle von Religion in der Gesellschaft – diese Parolen kann man sich abschminken.

Apfalter redet all jenen das Wort, die den Atheismus mit Parolen wie „Ist ja auch nur eine Religion“ oder „Die wollen ja auch nur Privilegien“ diskreditieren. Der Stammtisch darf wieder regieren. Jedem, der dagegen argumentiert, können die Diskreditierer Apfalters Thesen um die Ohren werfen. Unschwer sich die Freude in erzkatholischen Kreisen über diesen Artikel auszumalen.

Auftritt schadet Volksbegehren

Das mag lästig sein. Ungleich schwerer wiegt, dass das mediale Strohfeuer um die „Atheistische Religionsgesellschaft“ in eine kritische Phase für Österreichs Säkulare fällt. Das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien liegt in wenigen Wochen in allen österreichischem Gemeindeämtern zur Eintragung auf (der hpd berichtete). Die Initiatoren kämpfen im Vorfeld um öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Anliegen: Die Abschaffung der üppigen Religionsprivilegien im Land.

Dass Apfalter diese Privilegien offenbar ironiefrei für seine Splittergruppe einfordert, bringt Sand ins Getriebe der Anstrengungen. Nach außen wirkt das, als seien sich nicht mal die Atheisten unter den Säkularen einig, ob Religionsprivilegien etwas Gutes seien oder nicht. Dass die „Atheistische Religionsgesellschaft“ eine eher erratische Randerscheinung der Szene ist, wird der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sein. Zumal Österreichs Medien ohnehin gerne pro-religiöse Standpunkte einnehmen und vor dem einen oder anderen Foul gegenüber der säkularen Szene nicht zurückschrecken. Außerdem: Für Recherchearbeit hat man ohnehin keine Zeit. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte sich Apfalter nicht aussuchen können, um seine Thesen vor der Öffentlichkeit auszubreiten.

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht

Mag sein, dass die Splittergruppe der gut gemeinte Versuch ist, die Religionsprivilegien als absurd bloßzustellen. Allein, gut gemeint ist bekanntermaßen das Gegenteil von gut gemacht. Sollte das Apfalters Strategie sein, geht sie gründlich daneben. Das schadet dem Rest der Szene, der – im Gegensatz zur „Atheistischen Religionsgesellschaft“ einiges an Arbeit und vereinzelte erste Erfolge vorzuweisen hat. Im Moment braucht man das, wie man hierzulande sagt, wie einen Kropf.

Christoph Baumgarten