Vor kurzem wurde das Missbrauchsgutachten präsentiert, das ein Historiker der Universität Passau im Auftrag der Diözese erstellt hat. Bischof Stefan Oster bittet in einem Videostatement mit "großer Hilfslosigkeit" um Verzeihung. Allein die Fakten machen sprachlos: Seit 1945 wurden im Bistum von kirchlichen Amtsträgern weit über 672 Kinder und Jugendliche sexuell und körperlich missbraucht. Das Versagen der Kirche ist historisch – und moralisch verheerend.
Der Historiker Marc von Knorring wurde 2022 beauftragt, den "sexuellen Missbrauch von minderjährigen Schutzbefohlenen durch katholische Kleriker im Bistum Passau 1945–2020" aufzuklären. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse der Studie zeigen, wie gigantisch die Dimension der Verbrechen ist – und wie unermesslich das Leid der Betroffenen war und bis heute ist.
Die Fallzahlen sind schockierend. In dem 400-seitigen Missbrauchsgutachten konnten 672 Kinder und Jugendliche identifiziert werden, die Opfer sexueller Straftaten wurden. Die tatsächliche Zahl ist weitaus höher anzusetzen, da häufig auch von ganzen Gruppen wie Ministranten oder Schulklassen in der Mehrzahl gesprochen wird. Wie bei sexuellem Missbrauch üblich, ist die Dunkelziffer immens. Die Studie benennt auch klar, dass die Opfer meist Kinder "mit sozialer Hilfsbedürftigkeit" waren, deren Schutzlosigkeit gezielt und unter Berufung auf kirchliche Autorität ausgenutzt wurde.
Jeder zwanzigste Priester ein Täter
Als Täter konnten 187 Personen identifiziert werden, von denen 86 Prozent sich mehrfach an Kindern und Jugendlichen vergangen hatten. Hochgerechnet bedeutet das: Mindestens jeder zwanzigste Priester, der seit 1945 in der Diözese tätig war, ist ein Sexualstraftäter gewesen.
Die Verantwortlichen im Bistum Passau wussten von vielen Straftaten, aber sie haben nichts unternommen, um die Täter ordnungsgemäß vor Gericht zu stellen. Um das Ansehen der Institution Kirche nicht zu beschädigen, ging man nicht aktiv gegen die Täter vor – und ließ damit die Kinder im Stich. Es gab laut Studie viele sogenannte "Bystander", also Personen, die von den Verbrechen wussten, darunter Pfarrhaushälterinnen, Gemeindemitglieder oder Politiker. Sie alle schwiegen und machten sich dadurch ebenfalls strafbar. Besonders bitter: "Ausreichend kirchenfreundliche Staatsanwälte und Richter standen offenbar zur Verfügung", heißt es im Gutachten. Ein "deutschlandweites Phänomen" – begünstigt von bayerischen Gerichtssälen, in denen bis heute Kreuze hängen.
Ohne die umfangreiche Forschungsarbeit der an der Missbrauchsstudie beteiligten Autoren schmälern zu wollen, fällt dennoch ihre Kirchennähe auf. Der verantwortliche Historiker Marc von Knorring promovierte mit einer Arbeit über "Die Hochstiftspolitik des Passauer Bischofs Wolfgang von Salm" – ein klassisch innerkirchliches Thema. Auch der Sprachstil irritiert: In der Studie werden Bischöfe beispielsweise durchgehend mit Vornamen als "Bruder Stefan" oder "Bruder Wilhelm" bezeichnet, wie in einer katholischen Welt üblich, wo der Bischof der oberste Hirte ist, so eine Bezeichnung und Herangehensweise ist jedoch für eine wissenschaftliche Arbeit völlig fehl am Platz.
Bischof Oster: Betroffenheit ohne Konsequenzen
In einem Videostatement hat Bischof Stefan Oster vor wenigen Tagen seine Betroffenheit zum Ausdruck gebracht und "mit 'großer Hilfslosigkeit' um Verzeihung" gebeten. Eine persönliche Schuld kann Oster nicht erkennen, obwohl er seit 2014 im Amt ist und viel früher zur Aufklärung hätte beitragen können. Die Dimension des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche ist seit 2010 allgemein bekannt.
Unglaublich ist zudem, dass Oster versucht, die Straftaten zu relativieren, indem er erklärt: "das war jeder zwanzigste Priester. Und jeder einzelne ist zu viel, viel zu viel – auch dann noch, wenn Fachleute sagen, dass solche Zahlen auch für die übrige Bevölkerung gelten würden." Eine steile Behauptung – und schlicht falsch. Ohne jede Quellenangabe verbreitet der Bischof damit einen Mythos, um sich und seine Organisation dahinter zu verstecken. Statistiken zeigen klar: Es stimmt nicht, dass jeder zwanzigste deutsche Mann in seinem Leben eine Sexualstraftat begeht.
Fakt ist: Der Anteil pädophiler Straftäter unter Priestern liegt deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Männer mit pädophilen Neigungen fühlen sich von der Institution Kirche in besonderem Maße angezogen – und finden dort ein Machtgefälle, das ihnen ihre Taten erleichtert. Stefan Oster vermeidet jedoch jede klare Aussage hierzu. Dass die Studie nicht in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, sondern lediglich über Osters Videobeitrag, wirkt wie eine bewusste Strategie: keine kritischen Rückfragen, keine Diskussion über Verantwortlichkeiten. Vor allem aber fehlt eine klare Ansage, wie und wann die vielen noch lebenden Opfer entschädigt werden sollen. Es entsteht der Eindruck, der Passauer Bischof wolle sich auch hier aus der Verantwortung stehlen.








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GeBa am Permanenter Link
So sieht es in Wahrheit hinter Klostermauern aus, viele Pädophile wählen bewusst den "Beruf" in einem Kloster oder einer Kirchengemeinde aus um ihre abartigen sexuellen Gelüste ungestraft ausleben zu können,
Diese Art von Menschen sollten ein Vorbild für die Gläubigen sein und befriedigen dabei nur ihre perversen Neigungen an den ihnen anvertrauten Kindern, dies zeigt eindeutlich die Verlogenheit der Kirchen und deren Personal.
Erst wenn die Menschheit von allen verlogenen Kirchen jeglicher Couleur befreit ist, hat die Menschheit einen großen Schritt in Richtung Realität gemacht.