WIEN. (hpd) Ein Fußballfan outet sich auf offener Straße als Rechtsextremist. Ein persönliches Erlebnis offenbart die hässlichen Seiten der Wiener Seele. Und lässt die Vermutung plausibel erscheinen, dass manche Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.
Ein Vormittag in einem Wiener Arbeiterbezirk. Die Hunde beschnuppern sich. Wir Besitzer führen ein Smalltalk über Hunde. Wie unter Hundebesitzern üblich. Ich will weiter. Der Besitzer des zweiten Hundes, einem Weibchen, sucht offenbar Anschluss und geht eher ungefragt mit. Meinen Hund scheint’s zu freuen. Er hüpft ihm vor Freude rauf. Der Besitzer reagiert einigermaßen freundlich, aber versucht mir klarzumachen, dass er nicht ganz begeistert ist: „Das ist meine neue Thor-Steinar-Jacke“.
Seine Markenwahl irritiert mich. Ich kann nur sagen: „Nicht mein Ding“ und bin sonst eher ratlos, was ich mit einem Menschen anfangen soll, der stolz ist, eine Thor-Steinar-Jacke zu besitzen. Thor Steinar ist wahrscheinlich DIE Neonazimarke im deutschsprachigen Raum. Ich will irgendwie weg, denke ich mir. Nützt wenig. Er geht weiter neben mir her und macht einen leicht verwahrlosten Eindruck. Ein Mann Ende Dreißig, mit Ausnahme der Jacke wirkt die Kleidung etwas abgetragen. Die Zähne sind in schlechtem Zustand, was man unter seiner Kappe von den Haaren sieht, wirkt ungewaschen.
Die Erzrivalen
Unvermittelt fragt er mich: „Bist du Rapidler oder Austrianer?“ Wahrheitsgemäß antworte ich, im engeren Sinn keins von beiden, aber wenn, eher Rapidler. „Bist ein klasser Typ“, sagt er, offensichtlich hocherfreut. Er fällt mir um den Hals, bevor ich irgendetwas unternehmen kann und unternimmt so etwas wie einen kleinen Freudentanz.
Stolz zeigt er auf seine Buttons: „Da siehst: Tod und Hass dem FAK“ (FAK ist das Vereinskürzel für Austria Wien, Anm.) Ein Spruch, den man bei Rapid Ultras und anderen radikalen Fan-Vereinen von Rapid hört. Ihre Mitglieder sind immer wieder für Ausschreitungen nach Matches verantwortlich, Schlägereien inklusive. Youtube-Videos zeigen, wie beliebt der Spruch ist.
Das könnte man als Irrlichtern übereifriger Fans abtun. Das kann im Fußball mal vorkommen. Rivalitäten zwischen zwei großen Klubs einer Stadt sind beileibe keine Seltenheit. Die Rivalität zwischen Austria und Wien ist legendär. Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Auch zwischen den Fans der großen Belgrader Klubs Crvena Zvezda (Roter Stern) und Partizan geht es nicht zu wie im Mädchenpensionat.
„Gegen die Juden verlieren wir“
Allein, in Wien geht’s im radikalen Sektor nicht ab ohne Rechtsextremismus. „Gegen Salzburg gewinnen wir, wirst sehen. Aber gegen die Juden verlieren wir“, erzählt mir mein zunehmend ungewollter Begleiter. Ich bringe kaum mehr zustande als möglichst unfreundlich dreinzuschauen. Eine Diskussion mit ihm wäre sinnlos. Ihn werde ich nicht überzeugen können. Und rund um uns herum niemand, den man mit einem deutlichen Einspruch hätte überzeugen können, dass offener Antisemitismus nicht tolerierbar ist. Außerdem, wer sagt mir, dass ein überzogener Rapid-Fan mit offenkundigen Neonazi-Sympathien nicht zuschlägt, wenn man ihm widerspricht? Einschlägige Erfahrungen mit seinesgleichen hatte ich schon gemacht. Es gibt Situationen, in denen Zivilcourage nur zu Selbstbeschädigung führt. Dann ist sie fehl am Platz.
NS-Kampfbegriff
Die Austria als jüdische Mannschaft. Ein Topos aus der Ersten Republik, Kampfbegriff der Nazis und anderer Deutschnationaler. Nach dem Anschluss 1938 wurde die Austria verboten. Mit dem ausdrücklichen Verweis auf die „nichtarische“ Vereinsführung. Nachdem eine NS-nahe Führungsriege installiert wurde, durfte der Verein weiterspielen. Nach einer kurzen Unterbrechung als FC Ostmark sogar als Austria. Was übrig blieb von Klub und Spielern arrangierte sich. Erzrivale Rapid war nicht weniger opportunistisch und schaffte es gar zum Deutschen Meister.
Fanschals mit „Rapid Deutscher Meister“ und „Tod und Hass dem FAK“ gibt es im Online-Handel problemlos zu kaufen. Die entsprechende Google-Suche dauert 0,29 Sekunden. Ganz abgerissen ist die antisemitische Tradition bei den Feinden der Austria offenbar nie. Und so rein als Subkultur ist sie auch nicht abzutun. Antisemitismus ist im österreichischen Fußball nichts ungewöhnliches, wie ein Bericht des Fußballmagazins Ballesterer aus dem Jahr 2009 zeigt. Übrigens kommt er auch bei Austria-Anhängern vor, die offenbar die Vereinsgeschichte nicht so genau kennen. Erst Ende des Vorjahres gab es größere Aufregung um antisemitische Pöbeleien am Rande eines Matches.
Dass es in manchen Kreisen der radikaleren Rapid-Fans ein grassierendes Neonaziproblem gibt, ist seit längerem bekannt. Die Vereinsführung bemüht sich nach Kräften, etwas dagegen zu tun. Der Erfolg der Initiativen scheint überschaubar zu sein.
Wie komme ich zu der „Ehre“?
Mein ungebetener Begleiter beginnt, von sich zu erzählen. Hundetrainer sei er, meint er. Und fragt mich unvermittelt ob ich „etwas zum Rauchen“ haben möchte. Er meint nicht Tabak. Ich lehne dankend ab. Für mich wär’s gratis gewesen, meint er. Er wirkt enthusiasmiert. Unwillkürlich ertappe ich mich beid em Gedanken, ob der Mensch nicht ein bisschen viele Klischees auf einmal erfüllt. Hardcore-Rapid-Anhänger, antisemitische Sprüche, keine geregelte Beschäftigung, fährt ab auf Neonazi-Kleidung.
Offensichtlich erwartet er von jedem anderen, dass er diese Leidenschaften teilt oder zumindest versteht. Warum protzt er vor mir mit Thor Steinar? Der Konnex ist auch nur denen bekannt, die sich aus welchen Gründen bzw. ideologischen Ausgangspunkten auch immer, mit der Neonazi-Szene befasst haben. Vielleicht liegt’s daran, dass ich blond bin. So genau will ich’s dann doch wieder nicht wissen.
Wir mögen allein sein (und ich wäre gerne noch viel alleiner in diesem Moment), aber warum lässt er antisemitische Sprüche auf offener Straße ab? So etwas bekommt man vielleicht in der Westkurve des Hannapi-Stadions zu hören oder am entsprechenden Stammtisch, wenn Bier die Zungen lockert. Aber hier, am hellichten Tag? Vor einem Menschen, den man nicht kennt?
Rassismus ist Mainstream
Mein ungebetener Begleiter hatte offensichtlich keinen Genierer. Damit ist der nicht allein. Sein offener Antisemitismus mag außerhalb radikalisierter Fußballfans (noch) weitgehend tabu sein. Vergleichbare Aussagen über andere Bevölkerungsgruppen sind es längst nicht mehr. „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“ stand erst im vergangenen Jahr auf Wahlplakaten der FPÖ 2010 ließ die gleiche Partei wienweit plakatieren: „Mehr Mut für unser Wiener Blut. Zu viel Fremdes tut niemandem gut“. (Allein heuer hat es nach öffentlicher Aufregung eine Serie von Rücktritten in dieser Partei gegeben. Den Betroffenen waren Nähe zu Neonazi-Organisationen bzw. zu NS-Gedankengut nachgewiesen worden.)
Im Wirtshaus hört man (ungefragt) Automechaniker, die über das Integrationspotential von Muslimen philosophieren und zu wenig schmeichelhaften Urteilen über „die Türken“ kommen. Der jährliche Report der Organisation ZARA zeigt Erschreckendes auf. Rassismus ist Mainstream in Österreich. Wer nicht zumindest latent rassistisch ist, kann sich mit einigem Recht als Außenseiter bezeichnen.
Darf man sich wundern, wenn sich Menschen mit Sympathien für NS-Gedankengut immer offener aufzutreten trauen?
Die Flucht gelingt
Das wandelnde Klischee, das mich weiter ungebeten begleitet, gibt mir mittlerweile glücklicherweise nur mehr Ernährungstipps. Wir kommen an einer Straßenecke an. Ich biege in die nächste Trafik ein. Glücklicherweise braucht er keinen Tabak. Ich bin froh, ihn los zu sein. Er verabschiedet sich freundlich.
Eine halbe Stunde später sehe ich ihn aus der Ferne mit seiner Hündin. Ich ziehe die Kappe tiefer runter und schaue zu Boden, in der Hoffnung, er möge mich nicht sehen.
Er bemerkt mich nicht. Wahrscheinlich denkt er gerade an Rapid. Oder an seine neue Thor-Steinar-Jacke. Hoffentlich nicht laut.
Christoph Baumgarten