BERLIN. (hpd) Im Bundestag wurde am vergangenen Donnerstag der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen in erster Lesung behandelt. Ein facettenreiches Armutszeugnis für den Parlamentarismus in Deutschland, dessen Protokolle nun schriftlich vorliegen.
Ein Bericht und Kommentar von Carsten Frerk.
Vor genau einem Jahr hatte die Fraktion DIE LINKE im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen in den Bundestag eingebracht. Damit soll ein Verfassungsauftrag umgesetzt werden, der seit 1919 besteht (Artikel 138,1 der Weimarer Reichsverfassung), der auch in das Grundgesetz übernommen wurde (Art. 140 GG).
Die Beiträge der Bundestagsabgeordneten liegen nun auch als geschriebenes Protokoll vor (Bundestag, 225. Sitzung, TOP 7).
Ein Beobachter meinte einmal, wenn man sich mit einem politischen Problem beschäftige, solle man sich die fünf dümmsten Antworten für die Lösung ausdenken und kann sich dann sicher sein, dass mindestens drei davon von Politikerinnen und Politikern in der Debatte genannt werden. Diesmal waren es sogar mehr.
Schriftlich zu Protokoll gegeben
Vier der acht auf der Tagesordnung als Redner stehenden Bundestagsabgeordneten haben ihre Beiträge nur schriftlich zu Protokoll gegeben. Begründung: Krankheit? Dienstliche Andersverpflichtung? Plötzliche familiäre Notfälle? Nein, nichts von dem. Sie sitzen in der katholischen St. Hedwigs-Kathedrale im zeitgleichen Dankesgottesdienst für den zurückgetretenen Papst Benedikt XVI.
Aber Hallo! Als Abgeordneter während einer Sitzungswoche des Bundestages und als angemeldeter Redner im Plenum während der Arbeitszeit seinen Arbeitsplatz verlassen, um in die Kirche zu gehen?
Warum nicht? Jeder Abgeordneter ist völlig frei, nur seinem Wissen und Gewissen verantwortlich, und lässt es sich besser verdeutlichen, dass sie im Parlament vorrangig Politik im Interesse der Kirche betreiben?
Entschädigungen? Seit 1803?
Vier Abgeordnete waren zu dieser religionsverfassungsrechtlichen Frage nicht in die Kirche gegangen und die Position der der Fraktion DIE LINKE, die diesen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht hatte, vertrat der Abgeordnete Raju Sharma: „Wir reden heute über Entschädigungen, Entschädigungen für Enteignungen, die 200 Jahre zurückliegen und durch die man versucht hat, nach dem sogenannten Reichsdeputationshauptschluss von 1803 Rechtsfrieden zu schaffen. Seitdem zahlen die Länder Jahr für Jahr pauschalierte Summen für Personalkosten und Baulasten an die Kirchen.“
Aber Hallo! Entschädigungen? Wofür? Kein bisheriger Potentat ist für den Verlust seiner institutionellen Macht entschädigt worden. Allenfalls könnte es um eine Abfindung für den Dispositionsbesitz der abgesetzten Bischöfe gehen, die jedoch im Reichsdeputationshauptschluss nur eine persönliche Apanage bis zu ihrem Lebensende erhielten. Eine Nachfolgerregelung war nicht vorgesehen. Das einzige, was sich aus dem Reichsdeputationshauptschluss ableiten lässt, ist die staatliche Baupflicht für die wenigen „hohen Domkirchen“.
Und: Die Länder zahlen seitdem, also seit 1803, pauschalisierte Summen an die Kirchen? Das ist schlicht falsch. Diese pauschalisierten Summen werden erst seit den 1960er Jahren in der Bundesrepublik gezahlt.
Und: Warum erhalten die evangelischen Landeskirchen überhaupt Geld, denn sie sind von dem Reichsdeputationsschluss 1803 überhaupt nicht berührt.
Und: Der Ablöseauftrag bezieht sich nur auf die auf „Gesetz, Vertrag und sonstigen Rechtstiteln beruhenden“ staatlichen Zahlungen zum Zeitpunkt der Annahme der Weimarer Verfassung am 11. August 1919. Es ist ein ganzes Bündel verschiedenster Zahlungen, die zu unterschiedliche Zeiten im 19. Jahrhundert mit unterschiedlichster Begründung entstanden waren.
Weiter im Text: „Schon während der Verhandlungen über die Weimarer Reichsverfassung gab es in der Gesellschaft einen großen Konsens darüber, dass mit diesen Zahlungen Schluss gemacht werden sollte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der liberale Friedrich Naumann – der Friedrich
Naumann – forderte schon im Jahr 1919, dass der Staat Inventur macht und diese Staatsleistungen ablöst.“
Aber Hallo! Inventur machen? Ja, aber warum denn das Ganze? Weil es eine „Freie Kirche im freien Staat“ geben sollte, weil der Staat nach der Revolution 1918 als parlamentarische Demokratie keinerlei religiöse Begründung der „Wir von Gottes Gnaden“ und der „Einheit von Thron und Altar“ mehr brauchte. Unsere Demokratie beruht auf der Volkssouveränität (Art. 20 GG). Zumindest laut Verfassung.
Warum der verkürzte Bezug auf den formalen Verfassungsauftrag, wenn die inhaltliche demokratische Begründung dafür ausgespart bleibt? Fürchtet die Fraktion DIE LINKE, dass sie als „kirchenfeindlich“ an den Pranger gestellt wird? Das wird sie sowieso.
Weiter im Text: „Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständlich und verbindlich. Es ist aber nichts passiert. Das Problem ist jetzt: Die Länder können nicht handeln; ihnen sind, weil der Bund untätig ist, die Hände gebunden. So zahlen sie Jahr für Jahr Staatsleistungen in Millionenhöhe, (Zuruf von der LINKEN: 460 Millionen!) jedes Jahr – alle Länder zusammen – ungefähr 500 Millionen Euro, (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: 460 Millionen!) eine halbe Milliarde Euro, und können nichts tun.“
Aber Hallo! 460 Millionen? Wir schreiben das Jahr 2013 und 460 Millionen sind die Zahlen für das Jahr 2010. Die Zahlen für 2012 sind bekannt (und bei den Staatsleistungen sind die Soll-Zahlen der Haushaltspläne der Länder auch weitestgehend die Ist-Zahlen), es sind 475 Millionen – und das auch nur an Personalzuschüssen.
Verfassung und Realität
Der Abgeordnete Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD), der sich bereits durch mehrere polemische Zwischenrufe in die Debatte eingebracht hatte und vor wenigen Jahren zu genau dieser Thematik gesagt hat, dass mit eben diesem Verfassungsauftrag keinerlei Sanktionen bei Nichterfüllung verbunden sei, entdeckt als Verwaltungsjurist seine Kompetenz als Religionsverfassungsrechtler. Nach dem anscheinend sympathisch gemeinten Eingeständnis, dass er die entsprechenden Verfassungsartikel bisher gar nicht kannte – was weiß der Abgeordnete eigentlich überhaupt vom Grundgesetz? – will er nun einen Diskussionsprozess organisieren.
Die Kirchen seien ja verhandlungsbereit, allerdings sei ihnen das Zehnfache des zuletzt gezahlten Betrages zu wenig, aber: „Ein Ergebnis könnte übrigens auch sein – das will ich jetzt einmal in Klammern ansprechen –, dass wir das alles völlig in Ordnung finden, wie es ist. Dann allerdings müsste man das Grundgesetz ändern. Nicht ertragen kann ich – da bin ich zu sehr deformiert als Jurist, als Verfassungsrechtler –, dass man kommentarlos einen Grundgesetzartikel ignoriert, dass also wir als Gesetzgeber, der von jedem Bürger erwartet, dass er die Gesetze ernst nimmt, unsere Verfassung nicht ernst nehmen. Das kann keine Alternative sein (Beifall bei der SPD und der LINKEN) sondern dann muss man gegebenenfalls den Art. 140 des Grundgesetzes verändern. Wenn man beispielsweise den jetzigen Zustand mit den Staatsleistungen für in Ordnung hält, dann muss man das so regeln.“
Ja, das ist doch verständlich, was der Abgeordnete Würfelspitz, der von sich selber ausdrücklich sagt: „Ich selber bin, anders als mein Vorredner, Mitglied der evangelischen Kirche, ein gläubiger Mensch.“ meint: Passen Verfassung und Realität nicht zusammen, dann muss sich nicht die Realität, sondern die Verfassung ändern.
Eines fernen Tages
Dr. Stefan Ruppert, Parlamentarischer Geschäftsführer (und bis 2013 Kirchenpolitischer Sprecher) der FDP-Bundestagsfraktion, schildert zwar als einziger die historische Begründung und die Funktionen der verschiedenen Staatsleistungen in aller Kürze sachgerecht, dreht dann aber doch an einer falschen Darstellung, wenn er sagt: „ (….) hat man sich damals bewusst auf den nicht einklagbaren, eher deklaratorischen und eine Absicht bekundenden Kompromiss geeinigt, dass man eines – fernen – Tages die Staatsleistungen ablösen werde.“
Aber Hallo! Bereits 1921 gibt es einen Vorentwurf für ein entsprechendes Reichsgesetz und der Reichsminister des Innern schreibt am 25. Mai 1921 an seine Länderkollegen: „Mehrere Landesregierungen wünschen dringend, daß das zur Ausführung des Artikels 138 Absatz 1 Satz 2 der Reichsverfassung erforderliche Reichsgesetz alsbald verabschiedet werde. Mit Rücksicht hierauf bitte ich mir Abänderungs- oder Ergänzungsvorschläge baldigst zukommen zu lassen.“ Und er weist darauf hin, dass dieser Vorentwurf kirchlichen Stellen nicht übermittelt werden solle: „Zur Erreichung dieses Zieles halte ich es nicht für zweckmäßig, den Vorentwurf jetzt außer den Reichsressorts, den Landesregierungen und den Bevollmächtigten zum Reichsrat auch noch anderen Stellen mitzuteilen.“
Konsensuale Gespräche
Dazu Stefan Ruppert: „„Wir können nicht einfach deklaratorisch sagen: Wir lösen die Staatsleistungen jetzt zu einem gewissen Satz ab. – Vielmehr geht es darum, mit den Kirchen konsensuale Gespräche zu führen und darüber nachzudenken, wie man in nicht allzu ferner Zukunft einen Kompromiss finden kann.“
Aber Hallo! Das hat die gleiche Logik, als wenn man bei der Diskussion über eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den deutschen Autobahnen „konsensual“ mit Porsche-Fahrer redet und dann das beschließt, was die Sportwagenfahrer wollen.
Basteleien nach Gutdünken
Auch die kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Kerstin Griese, bastelt sich ihre Zahlen nach Gutdünken zurecht: „Auch das muss einmal gesagt werden: 70 Prozent der Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft; etwa ein Drittel ist evangelisch, ein Drittel ist katholisch.“
Aber Hallo! Da werden plötzlich alle Mitglieder einer Religionsgemeinschaft – egal, ob Christen aller Couleur, Muslime aller Couleur und Juden, Buddhisten, etc. – zusammengefasst, obwohl es bei dem behandelnden Gesetzentwurf nur um die Zahlungen die beiden Christlichen Amtskirchen geht?
Und: Nach aktuellsten Zahlen für 2011 sind 29 Prozent der Bevölkerung katholische Kirchenmitglieder und 29 Prozent evangelische Kirchenmitglieder, also zusammen 58 Prozent. Und wie viele von ihnen tatsächlich gläubige Christen sind, das sei zudem dahingestellt.
Nach der dann prompt folgenden (falschen) Zitierung von 1803 und 460 Millionen Euro kommt dann noch eine weitere selbstgebastelte Behauptung: „Es kommt eben auf die Bedingungen der Ablösung an. Sie schreiben selber in Ihrer Gesetzesbegründung: Alle seriösen Vorschläge beziehen sich auf die 18- bis 25-fache Summe der jährlichen Zahlung als Ablösesumme. Insofern ist der in Ihrem Gesetzentwurf gemachte Vorschlag, einmalig die 10-fache Summe zu zahlen, glaube ich, auch ein bisschen provokativ gemeint. Damit machen Sie es sich etwas zu einfach.“
Im Gesetzentwurf der Fraktion DIE Linke steht dagegen nur, nach einer Schilderung verschiedener Ablösevorschläge (S.5.): „(…) Zum Teil wird zur Ermittlung der Entschädigungssumme vorgeschlagen, die Jahresleistung mit dem Faktor 25, als Kehrwert eines Zinssatzes von 4 Prozent, zu kapitalisieren (Germann in BeckOK GG, Artikel 140 GG, Rn. 123). Weitgehend Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass die Gewährung einer „Ewigkeitsrente“ dem in der WRV und dem GG normierten Ablösungsgebot und der damit bezweckten Trennung von Staat und Kirche sowie der Herstellung von staatlicher Neutralität und Parität zuwiderlaufen würde.“
Ewigkeitsrente
Eine Ablöseregelung, die das 25-fache des zuletzt gezahlten Betrages vorsehen würde, wäre diese „Ewigkeitsrente“ und keine Ablösung, da mit diesem Betrag ein Kapitalstock bei den Kirchen geschaffen würde, der bei nur 4 Prozent Verzinsung die Staatsleistungen fortführt.
Eine zweite Enteignung
Bei den schriftlich zu Protokoll gegebenen betont Dr. Maria Flachsbart (CDU/CSU): „Mit der Union wird es eine einseitige Ablösung ohne solide Rechnungsbasis, ohne Einbeziehung der Länder und der Kirchen, die damit in Wahrheit ein zweites Mal enteignet würden, nicht geben. Wenn es eine Ablösung gibt, müsste sie in dem Sinne erfolgen, wie die Staatsleistungen gedacht sind: Als faire Entschädigung für enteignete Kirchengüter, die ja die wirtschaftliche Grundlage der Kirchen gesichert haben.“
Aber Hallo! Die enteigneten Dispositionsgüter der Bischöfe waren nicht die wirtschaftliche Grundlage der Kirche. Im Reichsdeputationshauptschluss 1803 (und später) wurden Kirchengemeinden und Wohlfahrtseinrichtungen nicht berührt. Nur die Bischöfe als die Kirche zu bezeichnen ist anscheinend sehr katholisch.
Auch künftig im gleichen Ausmaß wie bisher
Der Abgeordnete Norbert Geis (CDU/CSU) vertritt mit seiner Darstellung bayerisches Landrecht: „Voraussetzung für die Ablösung der Staatsleistungen ist deshalb, dass die Kirchen auch künftig im gleichen Maße wie bisher ihren Aufwand finanzieren können. Eine solche Ablösung hat in der Atmosphäre der Freundschaft zu erfolgen.“ Das entspricht der (verfassungswidrigen) Regelung des Bayern-Konkordats von 1924, in dem es in Artikel X heißt, dass bei einer Ablöseregelung durch das Reich, Bayern alles bisherige, plus Geldwertausgleich, weiterhin in voller Höhe bezahlt. Vefassungswidrig, weil das Land einer Reichsregelung vorgreift.
Reichskonkordat 1933
Dem Ganzen setzt dann Beatrix Philipp (CDU/CSU) die Krone auf. Es wird nicht nur wieder der unsägliche Reichsdeputationshauptschluss benannt, sondern sie hat die Stirn, den Ablöseauftrag aus dem Art. 18 Satz 3 des Reichskonkordat von 1933 zu zitieren, in dem heißt: „Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren.“
Aber Hallo: Dieses Konkordat, das ja nicht ohne Grund auch „Hitler-Konkordat“ genannt - weil der den Verhandlungsführer Franz von Papen angewiesen hatte, den kirchlichen Forderungen weitestgehend entgegenzukommen, damit man das Konkordat baldmöglichst abschließen könne -, als heutiges Argument zu verwenden zeigt eine gewissen Geschmacklosigkeit. Ebenso wie der weitere Verweis auf dieses Konkordat, in dem von einem „freundschaftlichen Einvernehmen“ die Rede ist.
115 Milliarden Euro
Aber man sollte nicht meinen, dass da keine Steigerungen möglich seien. Nach einer Skizzierung der verschiedenen Größenordnungen von Ablösesummen, schreibt Beatrix Phillip: „Andere Meinungen gehen von einem 25-Fachen des zeitlichen Jahreswertes aus. Wieder andere halten es für angemessen, die Zahlungen komplett einzustellen, da in den vergangenen Jahren umfangreiche Zahlungen bereits erfolgt seien. Zurzeit belaufen sich die jährlichen Zahlungen auf circa 460 Millionen Euro. Das bedeutet, das Spektrum der im Zweifelsfall erforderlichen Mittel reicht von 0 über 4,6 Milliarden bis hin zu 115 Milliarden Euro.“
Aber Hallo! Im Mathematikunterricht in der Schule nicht aufgepasst und auch keinerlei Plausibilitätsprüfung? 115 Milliarden wären das 250-Fache. So werden anscheinend Träume formuliert.
Der Gesetzentwurf wurde abschließend an den Innenausschuss und nicht an den Rechtsausschuss überwiesen, wo er von der Sache her hingehört hätte.
Die Meldung des SPIEGELs von gestern („Eine fraktionsübergreifende Mehrheit im Bundestag möchte die Zahlungen des Staates an die Kirchen neu regeln“) entbehrt meines Erachtens jeglicher Grundlage.