Gemeinsames Recht für 500 Millionen Käufer

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Europa-Flagge / Fotos: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Ein besonders ‚cooles Radio’ brachte gestern die EU-Justizkommissarin Dr. Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, als gedankliches Beispiel für einen digitalen europäischen Binnenmarkt in eine Pressekonferenz nach Berlin mit.

Wichtig sei,  so machte sie deutlich, das schwächste Glied in der Kette, nämlich den Verbraucher, höchstmöglich zu schützen und den Anbietern aus  immerhin 27 Ländern Rechtssicherheit und Gleichbehandlung abzuverlangen oder zu garantieren.  An diesen beiden Verben wird die unterschiedliche Einstellung deutlich zwischen „Schurken“, die im Internet mit unrealistischen „Schnäppchen“ werben und seriösen Anbietern.

Eine EU-Datenschutz-Grundverordnung für den digitalen Binnenmarkt und den Grundrechtsschutz in Europa entsteht. In Brüssel war man sich im Vorfeld einig, das Deutsche Verbraucherschutz-Recht als Niveau für das europaweit einzuführende Regelwerk anzusetzen, es biete den höchsten Schutz, so versicherte die Kommissarin immer wieder.

Die Vorarbeiten befinden sich in der „heißen Phase“. Die Irische Präsidentschaft geht im Juni 2013 zu Ende. Bis dahin, so die Annahme, sei die erste Lesung fertig gestellt und könne zur Diskussion an die Minister der Länder weitergereicht werden. Das sind in Deutschland die Bundesministerien für Inneres, Verbraucherschutz und Justiz. Diese Ebene sei mit der „Marschroute“ einverstanden, die Ausnahme wäre Großbritannien.

Das ist die eine Seite. Die zweite ist der Datenschutz. 78 Prozent der Verbraucher fragen besorgt, was mit ihren Daten passiert. Die EU-Kommissarin dazu: „Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigenen Daten."

Da gibt es für Europa die Datenschutz-Richtlinie aus dem Jahr 1995. Zu diesem Zeitpunk war an facebook aber noch nicht zu denken. Es war die „Vor-facebook-Zeit. Zur Erinnerung, das Soziale Netzwerk wurde 2004 in Kalifornien gegründet. Aktuell zählt es weltweit  mehr als eine Milliarde Mitglieder.“ Es gelte jetzt, die Datenschutz-Regeln an die „moderne“ Welt anzupassen.

Dabei spricht Reding europaweit. Sie meint es ernst und belegt an zwei Beispielen das kommende europäische Gesetz.

Die Telefonnummer kann, so ist die Planung, bei einem Anbieterwechsel vom Verbraucher mitgenommen werden. Die Telekom wird die Richtlinien im Frühjahr dafür fertig gestellt haben.

Persönliche Daten, damit ist das gemeint, was jeder Mensch selbst ins Netz stellt, soll er selbst wieder heraus nehmen und weiter geben können.

Zurück zu den Gepflogenheiten der Anbieter: 90 Prozent der Unternehmen schrecken davor zurück, ihre Ware in einem „anderen“ Land, also außerhalb der eigenen Landesgrenze anzubieten. Und das eben, weil jedes Land sein eigenes Gesetzes-Werk hat, Sprachbarrieren zu überwinden sind oder die Verkäufer sich gleich auf größere, für sie interessantere Märkte konzentrieren. Findet eine Marktöffnung statt, tummeln sich 500 Millionen Verbraucher, die aktuell die Waren nicht kaufen können. Grenzüberschreitend anbieten und kaufen zu können, ein optionales europaweites Kaufrecht vorzulegen, das auf hohem Niveau schützt, vom Käufer und Verkäufer gleichermaßen akzeptiert wird, das Patchwork nationaler Bestimmungen überwindet  und mit einer optionalen europäischen Gesetzesregelung, in seiner Harmonisierung die nationalen Rechte und Gesetze nicht anrührt sondern wahrt, das sei die Aufgabe.

Die Kommission sieht sich als „Hüterin der Verträge“, der bestehenden Gesetze. Europäisches Augenmerk geht auf unfaire Geschäftsangebote, beispielsweise der Flug für einen Euro, der unmöglich ist oder kostenlos angebotene Reisen, die später doch Zahlungen nach sich ziehen. Auch andere „Schlupflöcher“ von Anbietern zum Schaden der Konsumenten gilt es vom Markt zu bringen. 

Beispielsweise das Geschäft mit der doppelt bezahlten Garantie, das vor kurzer Zeit bekannt wurde:  Nach dem EU-Recht läuft eine Garantie  z w e i  Jahre.  Wird von einjähriger Garantie und dem freundlichen Angebot eines weiteren Garantie-Jahres mit Abschluss einer Versicherung oder zusätzlicher Rechnung gesprochen, so wurde es von Großunternehmen und -ketten bekannt, spricht die EU-Justizkommissarin von „ver-apple-t“, und sieht, „der Druck auf die Betrüger wird größer“.

Zurück zum „coolen“ Radio auf dem digitalen Binnenmarkt in Europa:

Der Anbieter ist in Warschau, verkauft er es in Polen, gilt das polnische Recht. Wird das  „coole“ Radio digital aus Sevilla bestellt, ist optional das europäische Kaufrecht bindend.

Ein weiteres Beispiel: Ein Interessent aus Lyon findet im digitalen Binnenmarkt den Anbieter für Super-Onewayspeaker in Deutschland, so greift bei diesem grenzüberschreitenden Kaufvertrag wieder das Europäische Recht; würde er sich für ein Angebot aus Paris entscheiden, ist französisches Kaufrecht und Verbraucherschutz  anzuwenden.

Also eigentlich ist alles ganz einfach und eine Kollegin am Tisch sagte, sie habe angenommen, so liefe es in Europa schon längst.

Damit gut Geplantes gut gelingt, ist noch ein Päckchen zu schnüren: Ein Kauf im digitalen Binnenmarkt unterliegt gleichen Verbraucherschutzbedingungen, also ein und demselben Recht, wenn über Grenzen hinweg ver- und gekauft wird.

Die Verbraucherschutz-Bedingungen liegen dafür in  a l l e n  Sprachen vor und ein weiterer wichtiger Punkt, nationale Richter setzen das europäische Kaufrecht durch. Transparenz wird eine Datenbank schaffen, in der ergangene Urteile aus den 27 europäischen Ländern eingespeist werden.

Ein Rückblick auf  bekannt gewordene Unkorrektheiten, Bereicherungen und Missbrauch in Bezug auf Daten spart Viviane Reding nicht aus: „Fehler wurden erkannt, vorgelegt und korrigiert. Was ist die Alternative?"

Die Beispiele zu den Kaufobjekten sind ein bisschen „ausgemalt“. Die EU-Justizkommissarin  hatte  das „coole“ Radio zwar imaginär aus der Tasche gezogen, aber ihr Anbieter war in Berlin und der Käufer in Spanien. Tut aber nichts, denn das optional anzuwendende Recht kommt, wie sie sagt, und gelernt habe ich auch: „Wenn ein Mensch sein Recht nicht kennt, kann er es auch nicht durchsetzen.“

Evelin Frerk