… Keinen Staat, der vor dem Papst kniet

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Lukas Plewnia und Prof. Jan Hartmann / Alle Fotos © Evelin Frerk

WARSCHAU. (hpd) Der Philosoph Prof. Jan Hartman konstatiert im hpd-Interview eine weitreichende Klerikalisierung des öffentlichen Lebens in Polen, beschreibt das Ungleichgewicht zwischen Staat und Kirche und die Mechanismen, die es einer Kirchenkritik schwer machen, sich Gehör und Öffentlichkeit zu verschaffen.

Wenn Sie drei Minuten zur Verfügung hätten, um Ihr Anliegen in Bezug auf Kirche und Gesellschaft zu beschreiben, was würden Sie sagen?

Der Schlüssel für mein Anliegen ist das Wort Normalisierung: Ich möchte, dass die Beziehungen zwischen Staat und den Glaubensgemeinschaften ähnlich reguliert sind, wie in vielen westlichen Ländern. Dabei bin ich mir der Unterschiede in den einzelnen Ländern voll bewusst. Hauptthemen sind hierbei: die Gleichbehandlung aller Glaubensgemeinschaften durch den Staat, die sorgfältige Trennung zwischen Kirche und Staat und die symmetrische Autonomie der Glaubensgemeinschaften sowie die Achtung der Souveränität des polnischen Staates, also das Ausschließen aller Versuche der institutionellen Einmischung in die polnische Politik und die Rechtsetzung durch den Vatikan sowie seine Repräsentanten, die Bischöfe.

Ich möchte die katholische Kirche nicht bekämpfen und ihr auch nicht die Teilhabe am öffentlichen Leben verwehren. Es geht ausschließlich darum, die durch die Verfassung vorgeschriebene Trennung zwischen Kirche und Staat  sowie die weltanschauliche Neutralität des Staates zu beachten. Diese Werte sollten aktiv durch den Staat realisiert werden. Ich möchte auch, dass die Beziehungen zwischen dem polnischen Staat und dem Vatikan partnerschaftlich sind, gestützt auf gegenseitiger Achtung und Autonomie und nicht auf reaktionärer Unterwerfung und Demut seitens des Staates, der vor dem Papst kniet.

Wo sehen Sie konkret zu weit gehende Einflüsse der Kirche auf den Staat?

Vor allem macht sich die Kirche nichts aus dem im Konkordat enthaltenen Versprechen, die Autonomie des polnischen Staates zu achten. Wenn die polnische Regierung sich in verschiedenen Memoranden an den Vatikan richten und formalen Druck ausüben würde, zum Beispiel in Bezug auf die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durch den Vatikan oder in Sachen der Demokratie in der Kirche, wäre das ein Skandal und natürlich eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche. Derweilen mischen sich die polnischen Bischöfe, nicht als Privatpersonen sondern als Vertreter der Kirche unmittelbar in die polnische Politik ein. Das betrifft hauptsächlich zwei Bereiche: Gesundheitswesen und Bildung. Das passiert durch verschiedene Dokumente, Apelle sowie Briefe an den Staat; oder leiser, in einer gewissen Heimlichkeit in der Gemeinsamen Kommission der Regierung und des Episkopats, die weit über die Probleme zwischen Kirche und Staat hinausgehen. Dort werden viele Bereiche der polnischen Politik diskutiert. In Bezug auf die Bildungspolitik hat das Episkopat auch Wünsche und Anmerkungen zu Lehrplänen und weltlichen Schulfächern.

Das sind nur Beispiele. In Polen herrscht vor allem eine weitreichende Klerikalisierung des öffentlichen Lebens. Der katholische Diskurs sowie die rituelle Ehrerbietung gegenüber der Kirche und ihren Vertretern sind augenscheinlich für die Ewigkeit eingeschrieben in das staatliche und diplomatische Zeremoniell sowie in das Sein der staatlichen Institutionen und Würdenträger. Dieses ist so, weil bisher alle Regierungen davon überzeugt waren, dass das Verärgern oder ein zu geringes Entgegenkommen gegenüber der Kirche, die Wut dieser heraufbeschwört und sie den Politikern die Macht entzieht. Das ist nicht wahr, höchstwahrscheinlich ist die Macht der Kirche nicht so groß, um eine beliebige Regierung zu stürzen. Doch polnische Politiker denken, dass tausende Kirchen, in denen jeden Sonntag die Priester zur Mehrheit des Volkes reden, eine so große Propagandamaschine sind, dass die Kirche die Regierung stürzen könnte.

Doch die Kirche führt eine sehr geschickte Politik; sie ist politisch viel erfahrener als die weltlichen Machthaber und lässt sich von einigen Grundsätzen leiten. Da ist zum Beispiel die parallele Kommunikation. Einerseits besteht der offizielle Diskurs, in dem die Herrschenden immer als nicht genug demütig und artig gegenüber der Kirche dargestellt werden. Und andererseits werden im Hintergrund gute Beziehungen zu den Herrschenden aufrechterhalten. Das war auch in der Volksrepublik Polen so, in der sich die Kirche weitreichender Privilegien erfreute, ausgenommen der Zeit des Stalinismus. Doch für die Kirche sind die Privilegien immer zu wenig und eine Selbstverständlichkeit. Sie werden nicht als Geschenke behandelt, sondern als nicht ausreichender Ausdruck der Wertschätzung. Und in Bezug darauf behandeln die Parteien die Kirche als geöffnetes Maul, in das man ununterbrochen was reinwerfen muss, damit es nicht zuschnappt und zum Beispiel den Beitritt Polens zur EU behindert.

Tabu des ausländischen Status der Kirche

Meiner Meinung nach ist das größte Problem in Verbindung mit den Beziehungen zwischen Kirche und Staat das Tabu um die Frage des ausländischen Status der Kirche. Während in der gesamten Geschichte Europas, der Geschichte der Reformation und der Gegenreformation, war es ein Schlüsselaspekt, dass die Kirche ein Land ist, eine ausländische Institution und die Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat eine Frage der Souveränität des Nationalstaates ist. In Polen ist diese Frage tabu, obwohl das vor dem Krieg der Fall war, als die Bischöfe noch einen Eid auf die Treue zu Polen schwörten und niemand vorgab, dass sie normale Bürger wie alle anderen sind. Es war absolut selbstverständlich, dass die Kirche mit der Kraft des Konkordats in einem gewissen Ausmaß exterritorial ist und sie nicht die volle Jurisdiktion des polnischen Staates bindet. Jetzt wird jedoch vorgegeben, dass die Kirche eine nationale Institution ist. In Verbindung damit werden Gespräche mit der Kirche auf einer ungleichen Ebene geführt. Anstatt mit dem Papst zu sprechen, knien die polnischen Machthaber vor ihm; jedoch werden als Partner die lokalen Vertreter der Kirche angesehen, also die Bischöfe. Und die Gespräche werden in Form von Verhandlungen geführt, wobei das Wesen dieser das Ausmaß der Privilegien ist, die die Kirche erhält. Außer es handelt sich um das Gesundheitswesen oder die Bildung, wo die Kirche auch Ansprüche in Bezug auf die Rechtsetzung hat.

Das ist jedoch die Verkehrung der Gespräche. Denn schon zurzeit der Volksrepublik erhielt die Kirche die Garantie der Rückgabe von enteignetem Besitz. Daher geht es bei diesen Gesprächen um Gaben, die die Kirche vom Staat erhält, was in einem Zeremoniell des Gebens und des Ausdrucks von Dankbarkeit erfolgen sollte. Aber sie werden in Form von Verhandlungen geführt, so als wenn die Kirche einen Anspruch auf die Gaben hätte. Das jüngste Beispiel dafür ist die Reform der Kirchenfinanzierung durch den Staat, der den Gläubigen die Möglichkeit einräumt, eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 0,5 Prozent zu erwirken und das Geld durch den Fiskus an die Kirche weiterzuleiten.

Sehen sie in der Übergangszeit nicht eine Doppelbelastung des Staates? Denn 2013 sind Staatsgelder an den sogenannten Kirchenfonds geflossen und die neuerliche Reform räumt die Möglichkeit der Absenkung der Einkommensteuer mit der Abrechnung des Jahres 2013 ein. Der Einnahmeausfall des Staatshaushaltes für 2013 wird also 2014 sichtbar.

Sie haben vollkommen Recht. Das ist jedoch nicht das größte Problem, da die Kosten überschaubar sind. Vor allem finanziert der polnische Staat den Religionsunterricht; illegal übrigens, da der Staat auf Grundlage der Verfassung nicht das Recht hat, eine bestimmte Weltanschauung finanziell zu fördern. Des Weiteren kann niemand durch den Staat finanziert werden, der keine Abrechnungen veröffentlicht und dessen Finanzen nicht transparent sind. Auch hat der Staat nicht das Recht etwas zu finanzieren, was er inhaltlich nicht kontrollieren kann, zum Beispiel in Bezug auf Homophobie.

 

Doch ein weiteres Problem in Bezug auf die Abschreibung eines Teils der Einkommensteuer zugunsten einer Kirche ist, dass der Staat Einkommensteuerzahler in Abhängigkeit von ihrer Gläubig- oder Nichtgläubigkeit, unterschiedlich behandelt, da es eine Art Steuererleichterung ist, die lediglich an ein Finanzierungsziel geknüpft ist. Denn der Staat übermittelt nur das Geld und gibt den Gläubigen die Möglichkeit der Kirchenfinanzierung und der Absenkung der eignen Einkommensteuer. Eine solche Möglichkeit erhalten nichtgläubige Menschen nicht. Das ist gegen die Verfassung, die die Ungleichbehandlung aufgrund eines anderen Glaubens verbietet. Ich habe dem Minister für Öffentliche Verwaltung und Digitalisierung Michal Boni einen Brief geschrieben, in dem ich mich für das gleiche Recht für nichtgläubige Menschen bei der Abschreibung von der Einkommensteuer einsetze.

Was denken Sie über die Einmischung der Kirche in das Abtreibungsrecht?

Es ist Sache der Kirche, welche Meinung sie zum Thema Abreibung hat. Meiner Meinung nach sagt sie zu dazu Dummheiten, aber das ist ihr heiliges Recht und hat außerhalb der Kirche keine Bedeutung. Jedoch interessiert mich der Versuch der Ausübung von Druck des Vatikans auf das Verbot der In-Vitro-Fertilisation in Polen. Hier werden das Konkordat und die internationalen Beziehungen angetastet. Die Bischöfe können als Privatpersonen jede Meinung äußern, jedoch dürfen sie nicht auf den polnischen Staat Druck ausüben und der Staat sollte sich dem entgegensetzen. In einer anderen Situation sind Geistliche andere Glaubensrichtungen, da es dort diese Dualität nicht gibt. Denn die katholischen Bischöfe schwören einem fremden Monarchen Treue und sind Vertreter eines anderen Staates.

Aber die Realien im Land sind andere – es gibt die Einmischung der Kirche. Wie könnte man dieser ihrer Meinung nach entgegentreten? Denn die Kirche spielt zumindest rhetorisch die Rolle des nationalen Patrioten.

Ja, die Kirche hat in ihrem rhetorischen Repertoire solche Proben der Schaffung einer Illusion lokaler Abspaltungen in Form der Episkopate, so etwas in Form von Nationalkirchen. Von einer „polnischen Kirche“ zu sprechen ist jedoch schon an der Grenze zur Unrichtigkeit, da es nur eine katholische Kirche gibt. Der Bischof ist ausschließlich ein Repräsentant des Papstes und auch wenn dieser die polnische Staatsbürgerschaft beibehält, ist er kein normaler Staatsbürger. Er hat besondere Privilegien eines fremden Staates und die polnische Jurisdiktion ist für ihn sehr eingeschränkt – die Unterwerfung der Kirche unter das polnische Recht ist freiwillig.

Eine durchsetzungsstarke Haltung des Staates gegenüber der Kirche und die Überzeugung, dass dieses nicht zu einer Staatskrise und Unruhen führt, könnten zu einem Umbruch führen, nachdem die folgenden Regierungen keine Angst mehr vor der Kirche hätten. Denn die Angst vor der Kirche wird weitergegeben und dauert schon seit der Gründung des polnischen Staates an. Diese bedurfte der Ehrergebung gegenüber der Kirche sowie der Abgabe eines Teils des Landes und der Macht.

Von der anderen Seite hat die Kirche sehr stark darauf geachtet, eine Aura des Lokalen zu schaffen und sie war in einem bestimmten Sinne patriotisch. Das bedeutet: Die Kirche stand immer auf der Seite, die ihr den maximalen Gewinn versprach. Auch in politischen und militärischen Konflikten Polens, vor allem gegen Deutschland, stand die Kirche auf der Seite der stärkeren und zu sich näheren Macht, und zwar zu den deutschen Ländern, an deren Spitze der Deutschordensstaat in Preußen stand, der unmittelbar ein katholischer Staat war. Somit ist die nationale Rhetorik der Kirche sehr beschränkt.

Aber trotz alldem ist die Unterstützung der Kirche in der Gesellschaft sehr hoch. Zum Beispiel gibt es in Polen nur eine Partei, die sich stark gegen die Kirche einsetzt (Palikot-Bewegung) und die eine Zustimmung von lediglich 10 Prozent hat. Das bedeutet, dass wir uns hier schön unterhalten können, aber dennoch wählen die Polen Politiker, die der Kirche nahe stehen.

Ja, die Polen haben eine starke Abneigung gegen scharfen Antiklerikalismus. Zum Beispiel ist das, was ich gerade eben gesagt habe, für den durchschnittlichen Polen ein dramatisch-radikaler Angriff auf die Kirche. Die Erwähnung von Souveränität in diesem Kontext oder die Notwendigkeit eines Audits der Kirchenprivilegien wird als radikal bewertet. Meiner Meinung wäre erst der Entzug aller Privilegien radikal.

Auch wird jeglicher kritischer Diskurs gegenüber der Kirche durch die Polen mit Widerwillen aufgenommen, da die große Mehrheit gläubig ist. Sie sind jedoch nicht katholisch, da sie die Dogmen nicht kennen, nicht an sie glauben und nicht nach ihnen leben. Für die Gläubigen ist die Kirche einfach der Ort, an dem sie ihrem Glauben Ausdruck verleihen: Sie ist wie sie ist und sollte nach Meinung der Gläubigen in Ruhe gelassen werden, da sie sie sehr brauchen, um irgendwo hin zu gehen, um einer höheren Macht zu huldigen.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Kirche sich in Zeiten der Volksrepublik als wahre Insel der Demokratie in Szene gesetzt hat.

Das ist wahr. In den 1970er Jahren haben einige Pfarrer der Opposition geholfen. Das ist eine sehr schöne Karte einer sehr unangenehmen Kirchengeschichte. Jedoch war die Anzahl der für die polnische Staatssicherheit arbeitenden Priester um ein vielfaches höher. Und die institutionelle Kirche stellte sich nicht auf die Seite der demokratischen Opposition. Aber viele Priester haben sich auch für diese engagierten und die institutionelle Kirche hat in einigen Fällen sogar geholfen. Auf dieser Grundlage baute man einen Mythos der Kirche, die Polen vom Kommunismus befreite. Die Kirche spielte eine positive Rolle, aber keine Schlüsselrolle. Doch die Absicht der Kirche war es nie, eine liberale Demokratie zu schaffen. Es sollte ein klerikaler Staat errichtet werden, der frei vom Kommunismus ist.

Kommen wir zum Bildungssystem: Gibt es in Polen auch Konkordatslehrstühle?

In Polen werden einige kirchliche Universitäten vom Staat bezahlt. Sogar zu Zeiten des tiefen Kommunismus (1954) hat der Staat im Rahmen von unterschiedlichen Privilegien die Christliche Theologische Akademie Warschau finanziert. Später finanzierte der Staat die Katholischen Universität Lublin und die Päpstliche Universität in Krakau. De facto werden darüber hinaus viele theologische und katholische Abteilungen in weltlichen Universitäten finanziert. Es gibt viele Priester mit einem akademischen Grad, theologische Dozenten sowie Lehrer katholischer Fächer, die durch den Staat finanziert werden.

Gibt es in Polen das Fach Ethik?

Um das Lehren von Religion zu stärken und keine Wahlmöglichkeiten zu schaffen, möchte die Kirche, dass die Wahl zwischen Ethik- und Religionsunterricht verwirklicht wird. Das ist hinterlistig, weil hier die Wahl zwischen eher religiöser und eher liberaler Erziehung vortäuscht wird. Es soll dem Kind aber eigentlich keine Wahl zwischen Freizeit und Religion gegeben werden und damit wird angenommen, dass es viel lieber den Religionsunterricht wählt.

Wenn drüber hinaus der Ethikunterricht in Zukunft in vielen Schulen eingeführt wird, dann bildet die Kirche eigene Ethiklehrer aus, die das Gleiche sagen wie Religionslehrer, nur eben in einer anderen rhetorischen Verpackung. Auf diese Weise erreicht die katholische Propaganda auch die Kinder, die nicht den Religionsunterricht besuchen.

Wie ist es Ihrer Meinung nach um das säkulare, laizistische und atheistische Polen bestellt?

Die Entwicklung der Säkularisation ist in Polen sehr bedeutend: Die überwältigende Anzahl der Menschen lebt im Alltag völlig weltlich und denkt nicht an Gott. Die Teilnahme an religiösen Zeremonien erfolgt sporadisch, hauptsächlich um religiöse Gefühle auszulösen und aus Angst, dass Gott sie bei Nichtteilnahme bestrafen könnte. Darüber hinaus gibt es kulturelle Gründe: man möchte zum Beispiel seine Eltern oder die Oma nicht ärgern. Doch Katholiken, die an die katholischen Dogmen glauben und sich bemühen, nach diesen zu leben, gibt es nur ganz wenige, etwas über 10 Prozent.

Doch auch deklarierte Atheisten gibt es sehr wenige in Polen, nicht mehr als echte Katholiken. Ganz viele Menschen glauben, dass es eine höhere Macht gibt und bemühen sich, diese auf irgendeine Weise zu ehren. Jedoch steigt die Zahl derer, die wütend auf die Kirche sind und aus ihrer Wut heraus, oft gegen den eigenen Willen, aufhören zu glauben. Das scheußliche Wirken der Kirche in Polen, zum Beispiel von Radio Maryja bewirkt das Anschwellen von Wut auf die Kirche. Und wütende Menschen glauben nicht mehr, weswegen die Kirche selbst die Säkularisation vorantreibt.

Kennen Sie laizistische Organisationen in Polen, die Erfolg haben?

Diese Organisationen sind sehr schwach und nischenhaft, da die Polen der Meinung sind, dass die Kirchenkritik an sich radikal und schädlich ist. Das bedeutet, dass die Menschen sehr gerne die Kirche kritisieren, jedoch privat und in einer nicht organisierten Art. Die stärkste Kritik an der Kirche wird im Übrigen von Priestern selbst im privaten Kreis geäußert.

Manchmal hört man in den polnischen Medien über Repressionen gegen nichtgläubige Menschen. Zum Beispiel bekommen deren Kinder in der Schule schlechtere Noten. Haben sie selbst Repressionen erleiden müssen?

Eindeutig herrscht im polnischen Bildungssystem ein religiöser Zwang. Das zeigt sich auf verschiedene Weise, zum Beispiel herrscht in den Schulen eine klerikale Atmosphäre und die Kirche mischt sich in Lehrpläne ein. Vor allem werden die Kinder einem unmittelbaren Zwang ausgesetzt: In polnischen Kindergärten wird die Nichtteilnahme am Religionsunterricht bestraft; nicht vorsätzlich, aber de facto in dem das nicht am Unterricht teilnehmende Kind vor Unterrichtsbeginn aus dem Unterrichtsraum geführt wird. Das ist für das Kind eine sehr große Strafe. Und daher entscheidet sich fast niemand, sein Kind nicht am Religionsunterricht im Kindergarten und in den ersten Schuljahren teilnehmen zu lassen.

Ich unterlag auch diesem Zwang und musste mein Kind der Prozedur der Taufe und Kommunion unterziehen und es am Religionsunterricht teilnehmen lassen. Das Kind wäre sonst ausgeschlossen gewesen. Man muss unglaublich entschlossen sein, um seinem Kind dieses Leid anzutun und es nicht in die Katechese zu schicken und es nicht zu taufen. Das können sich nur Mitglieder anderer Kirchen erlauben. Das ist eine Schande und mitverantwortlich ist jede Regierung, die sich dem nicht widersetzt. Wirklich verantwortlich ist die Regierung von Mazowiecki, die den Religionsunterricht in die Schule einführte aus Angst davor, dass die Kirche sich dem Bau eines demokratischen und freien Polens entgegenstellen könnte.

Haben Sie persönlich, zum Beispiel in der Arbeit als Universitätsprofessor Repressionen erleiden müssen?

Nein, ich habe keine Repressionen erleiden müssen aufgrund dessen, dass ich Jude oder nichtgläubig bin. Doch in Dörfern oder kleinen Städten passieren solche Sachen und ich kenne Menschen, die Unannehmlichkeiten deswegen erleiden mussten. Hingegen ist die Diskriminierung wesentlich geringer, als es noch in den 1990er Jahren der Fall war – ein erheblicher Fortschritt hat stattgefunden. Die polnische Bevölkerung ist egalitär, demokratisch und hat eine ganz starke Bindung zur Wahlfreiheit – sie ist schon in einem großen Maße eine liberale Gesellschaft.

Wurden Sie schon mal bedroht, weil sie nicht gläubig sind?

Ja, ich bekomme Briefe, lese auch viele Einträge in Foren sowie unter meinen Artikeln im Internet. Die Einträge haben antisemitischen Charakter und ich werde beschimpft, weil ich nicht gläubig bin – das ist aber normal in Polen. Aber wenn es um unmittelbare Repressionen im alltäglichen Leben geht, dann findet so was praktisch nicht statt, ich lebe frei und muss keine Schikanen, Verfolgungen oder Repressionen erleiden.

Kommen wir zu den Medien, das ist in Polen ein ganz wichtiges Thema. Sehen Sie in Polen die Teilung zwischen den modernen, aufgeschlossenen und den konservativ-klerikalen Medien? Und welche Entwicklungen sehen sie in der Zukunft?

Allgemein durchleben die Medien zurzeit eine Revolution: die Digitalisierung. Sie verlagern sich ins Internet und sind heute zum viel schnelleren Produzieren von kürzeren Nachrichten gezwungen. Das senkt generell das Niveau der Medien und erleichtert das Übermitteln von populistischen Inhalten. Darüber hinaus demokratisieren sich die Medien und werden immer schlechter; immer öfter sind sie ganz einfach private Meinungen, die auf einem Portal publiziert werden. Daher wird sich auch diese Teilung in den Medien leider verwischen.

Zurzeit haben wir zwei Strömungen; eine verkörpert den liberalen Mainstream und besteht aus zwei Zeitungen, und zwar der konservativen Rzeczpospolita und der mitte-rechts-konservativen Gazeta Wyborca, von der die radikale Rechte denkt, sie sei links. Das ist lustig, denn die Zeitung ist überhaupt nicht links. Die zweite Strömung besteht aus einer parallelen öffentlichen Meinung, die sich auf Basis von neuen radikalkonservativen Medien gebildet hat. Das ist so eine Art Dualismus, der noch dazu unterlegt ist mit persönlichen Reibereien im journalistischen Umfeld. In diesem Zusammenhang hat sich eine Gruppe von Journalisten gebildet, die sich selbst „hochmütig“ nennen. Sie haben ganz starke politische Aspirationen und stellen einen politisch-journalistischen Wirrwarr her. Sie gründen Zeitungen, die sich später umwandeln; es ist so ein ganzes Theater darum. Linke Medien sind eine absolute Nische: Menschen mit typisch linken Ansichten, also links von der Mitte im Sinne von Deutschland zum Beispiel, sind fast gar nicht in den Medien vertreten.

Es gibt in Polen aber so eine starke klerikale Strömung aus Thorn (Torun) – es geht mir um das sogenannte mediale Imperium des Redemptoristenpaters Rydzyk. Von außen sieht es aus, als wenn sein Imperium immer stärker wächst.

Nein, das ganze dreht sich um circa eine halbe bis zwei Millionen Menschen, was bei 30 Millionen erwachsenen Polen nicht besonders viel ist: Ich würde die Bedeutung dieser Medien nicht überschätzen. Das Phänomen Rydzyk ist jedoch ein gutes Beispiel für die Abhängigkeit der Politik von der Kirche. Rydzyk hat viele Parlamentarier in der Tasche und auch die Regierung Recht und Gerechtigkeit (PiS) (2005-2007) kniete vor Rydzyk. Das hat sich jetzt gewandelt, aber noch immer ist  Rydzyk unantastbar, obwohl er verschiedene rechtlich sehr bedenkliche Sachen macht. Fakt ist, dass er ein spezielles Gesetz für sich nutzt, das ihm die Übertragung von Radiosignalen garantiert, ohne dass er sich in regelmäßigen Abständen um eine Erneuerung der Konzession bemühen muss, so wie es andere tun müssen. Rydzyk ist ein Beispiel dafür, dass die Kirche in Polen außerhalb jeglicher politischer Kontrolle steht und machen kann, was sie will. Doch alleine die Tatsache, dass zwei Millionen Menschen einen hetzenden, unerbittlichen und hasserfüllten Radiosender hören, ist nichts Ungewöhnliches. In jeder Gesellschaft gibt es solche Menschen.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Die Fragen stellte Lukas Plewnia
Das Interview wurde am 9. März 2013 in Warschau aufgezeichnet.

 

Zur Person: Jan Hartman (geb. im 18. März 1967 in Breslau) ist Philosoph und seit 2011 ordentlicher Professor an der Jagiellonen-Universität. In der Arbeit als Wissenschaftler beschäftigt sich Hartman mit der Heuristik, politischen Philosophie sowie der Ethik und Bioethik. Als sehr bekannter Teilnehmer der öffentlichen Debatte in Polen nimmt er stets liberale und laizististische Positionen ein.

Warschauer Impressionen