Notizen aus Polen

Katholische Kirche gesteht endlich Mitschuld ein

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Blick von der Weichsel auf den Wawel, Krakau, Polen

POLEN. (hpd) Lange schwieg die katholische Kirche in Polen zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Priester. Nun gehen Teile dieser Institution in die Offensive: im Juni wurde eine kirchliche Konferenz zu diesem Thema in Krakau veranstaltet. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt noch viel Nachholbedarf, vieles glänzt nur vordergründig.

Über Jahrzehnte schwieg die katholische Kirche in Polen, als es um Pädophilie in Gotteshäusern ging. Oftmals gingen Kirchenobere noch viel weiter. Die Opfer – Jungs und Mädchen – wurden verhöhnt und beleidigt, wenn sie ihre Vorwürfe in der Familie oder Öffentlichkeit vorbrachten. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Zwar nahmen sich in den letzten Jahren einige Medien dieser Fällen an und wiesen auf die wahren Täter – die Priester –, doch schien es, als wenn die Kirche nahezu alle Gesellschaftsbereiche durchdringt, deswegen weiter auf ihrem Recht beharren kann und ihre Narration der “Ereignisse” obsiegt.

Als in der nahen Vergangenheit Beweise pädophile Priester erdrückten und Gerichtsurteile eine deutliche Sprache sprachen, deuteten Kirchenfürsten auf die individuelle Schuld der Priester. Überhaupt seien in jeder Institution schwarze Scharfe; statistisch gesehen seien es in der Kirche jedoch nicht sehr viele. Besonders perfide ist es, wenn die “gottesgleichen Tribune” Kindern die Schuld an pädophilen Handlungen geben. Priester Dr. Ireneusz Bochyński sagte in einem Interview Ende letzten Jahres: “Wir haben zehnjährige Kinder, etwas älter und mir sind Fälle bekannt, in denen ihr Intimleben nach einer früheren Befriedigung verlangte. Die Kinder stiegen selbst in das Bett der Erwachsenen und wollten befriedigt werden. Und das war die Wahl des Kindes.” Aufgrund der nachfolgenden Entrüstung nicht klerikalisierter Medien erklärte der Priester: “Ich entschuldige mich dafür, dass ich der Kirche mit meinem unverantwortlichen Handeln Negatives zufügte.” Sicher kein Einzelfall, auch wenn solche Aussagen oft im Verborgenen bleiben – genauso wie das Leid der Opfer das.

Kirche als Freiheitskämpfer

Ein Grund für die besondere Stellung der Kirche in der Gesellschaft ist die lange katholische Tradition in Polen, die durch den kirchenkritische Habitus der Machthaber in der Volksrepublik Polen noch potenziert wurde. Das Volk einigte sich beim Gottesdienst und sammelte Kraft, um gegen den real existierenden Kommunismus zu kämpfen.

Die Kirche wurde zur führenden Kraft beim Vorgehen gegen das damalige Regime. So konspirierten Solidarność-Aktiviten zusammen mit Priestern in Kirchen und planten gemeinsam Aktionen, die in der Einführung der Demokratie mündeten. Dem polnischen Papst – Johannes Paul II. – sprechen die Polen unisono eine führende Rolle bei dem Umsturz zu. Auch deswegen wird der kürzlich heilig gesprochene Unfehlbare über alle Schichten und politischen Grenzen hinweg verehrt – sogar bei Hooligans. Die polnische Kirche kann zudem mit Märtyrern aufwarten – Priester Jerzy Popiełuszko zum Beispiel, den im Oktober 1984 Schläger des Machtapparates ermordeten, wird nicht minder verehrt.

Kirche öffnet sich

Verständlich wird damit, dass seit Einführung der Republik Polen nur wenige Schranken bestehen, die der Gesetzgeber der Kirche setzt. Sie wird stattdessen mit großzügigen Steuererleichterungen und hohen Subventionen aus dem Staatshaushalt beschenkt, neben der Kompensation von Enteignungen im Rahmen der Vermögenskommission. Negativpresse musste diese Organisation lange auch nicht befürchten.

In den letzten Jahren veränderte sich jedoch die Stimmung. Neu ist jenseits von Oder und Neiße, dass die Kirche gegen den Imageverlust kämpfen muss und stetig an Boden verliert. Die Gotteshäuser werden leerer und die Anzahl aktiver Kirchenmitglieder immer geringer.

Diese Situation bewegt die Kirche nun dazu, in die Offensive zu gehen und sich mit den Missbrauchsfällen der letzten Jahre auseinander zu setzen. Im Juni nun organisierte das “Zentrum für den Schutz des Kindes”, eine polnische Kirchenorganisation, eine zweitägige Konferenz in Krakau, auf der über diesen Themenkomplex gesprochen wurde. Die Teilnehmer fragten, wie Pädophilie in der Kirche verstanden werden kann und wie adäquate Antworten auf den sexuellen Missbrauch Minderjähriger in der Kirche gefunden werden können? Der Höhepunkt war eine Liturgie in einer Krakauer Kirche, die als Bußmesse bei den Opfern um Vergebung bat. Bischof Piotr Libera sagte bei der Predigt: “Wir sind beschämt und bitten zerknirscht um Vergebung. Wir bitten Gott und die durch Priester Geschädigten.”

Während der Konferenz verkündete Priester Adam Żak, Koordinator der polnischen Bischofskonferenz für Kinder und Jugendliche, dass das Ausmaß an Pädophilie in der katholischen Kirche noch nicht ganz klar sei. Auf jeden Fall seien 19 Priester bekannt, die in den letzten drei Jahren aufgrund des Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt wurden. Jedoch sei jetzt eine kircheninterne Befragung vorbereitet worden, durch die Daten zum wahren Ausmaß seit 1990 erlangt werden sollen. Wirklich aussagekräftig sollen die Daten jedoch nur für die Jahre ab 2001 sein, denn seit diesem Jahr seien die Bistümer verpflichtet worden, Missbrauchsfälle an den Heiligen Stuhl zu melden.

Zur Konferenz wurden auch Opfer pädophiler Geistlicher eingeladen, die ihre Erfahrungen und Ansichten schildern durften. Allerdings wurden nur kirchliche Medien zugelassen. Kirchenferne Medien sowie NGOs, die sich mit dem Missbrauch von Kindern beschäftigen, mussten auf Weisung der Kirchenmachthaber vor der Tür bleiben. Als Hardliner bekannte Bischöfe blieben der Veranstaltung freiwillig fern, sie schickten lediglich Vertreter.

Können die Opfer nun zufrieden sein?

Die kirchliche Konferenz kann sicherlich als erster Schritt zur Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche gesehen werden, der allerdings auch recht spät kommt. Können die Opfer nun zufrieden sein? Sicher nicht! Denn die polnische Bischofskonferenz ist geteilt in Hardliner und gemäßigte Bischöfe – eine einheitliche Linie ist nicht denkbar und die Täter werden teilweise immer noch geschützt von Männern, die Ansehen und Integrität über das Leid der Opfer stellen. Daran kann so eine Konferenz auch nichts ändern.

Ferner kann der kritische Beobachter erwarten, dass die kircheninterne Umfrage keine nennenswerten Erkenntnisse bringt. Denn Kirchenvertreter zeigen nur allzu oft, dass lediglich das zugegeben wird, was absolut nicht mehr zu verbergen ist. Wie wenig es die Kirche denn auch ernst meint mit der neuerlichen Öffnung, kann man an dem nicht- oder halböffentlichen Charakter der Konferenz erkennen. Echte Fragen von kritischen Medien und NGOs sind nicht erlaubt, ein Dialog außerhalb des eigenen Dunstkreises unerwünscht. Nachdenken über finanzielle Entschädigung? Noch nicht einmal im Ansatz! Warme Worte für die Opfer müssen reichen.

Medial war die Öffnung allerdings ein voller Erfolg. Die meisten – auch kirchenkritischen – Medien sprechen vom Eingeständnis der Kirche, von einem Sühnezeichen. Einzelne kritische Töne gehen unter und die Gotteshäuser strahlten wieder – zumindest bis Medien über neue Missbrauchsfälle und Vertuschungsmanöver berichten.

Für einige Jungs und Mädchen ist die Psyche dann jedoch schon abgefahren.