Notizen aus Polen

Die Macht der Medien

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WARSCHAU. (hpd) Durch eine intelligente Strategie schaffen Medien Öffentlichkeit und üben großen Druck auf die polnische Regierung aus. Beispielhaft dafür steht der aktuelle Fall eines mutmaßlich pädophilen Priesters. Doch der Kampf ist längst noch nicht gewonnen.

Es ist die wohl mächtigste Institution in Polen, die Einfluss auf Sitten und Gebräuche sowie auf Einstellungen und die Gesetzgebung ausübt: die Kirche. In Ländern des “alten Europa” wie Deutschland wird ihre Bedeutung für das Land jenseits von Oder und Neiße oft unterschätzt. Kaum denkbar erscheint, dass rund 40 Prozent der Gläubigen regelmäßig den Gottesdienst besuchen, wie Zahlen des polnischen Institutes für Statistik der Katholischen Kirche SAC (ISKK) von Anfang Juli dieses Jahres nahelegen.

Auch wenn der Eindruck entsteht, dass die Kirchenstatistik leicht erhöht sein könnten und zudem die Besucherzahlen in katholischen Bethäusern seit Jahrzehnten stetig sinken, ist die polnische Realität kam mit der deutschen zu vergleichen, wo nur ein Bruchteil der sowieso schon kleinen Anzahl an katholischen Gemeindemitgliedern regelmäßig die Kirche aufsucht.

Gegenspieler der Kirche

Doch neben der Kirche haben auch die Medien beträchtlichen Einfluss auf die Gesellschaft, den schon die kommunistischen Machthaber für sich zu nutzen wussten. Auch Kirchenpater Tadeusz Rydzyk ist mit seinem Medienimperium seit vielen Jahren an der Informations- und Indoktrinationsfront dabei. Neu ist jedoch die sich wandelnde Funktion von Teile der Medien, die sich als Gegenspieler zur mächtigen Kirche etablieren konnten und immer stärkeren Einfluss auf die Öffentlichkeit und somit auch auf die Regierung erhalten. Dabei sind die Medien unabhängig von direktem Staatseinfluss, im Gegensatz zu Zeiten der Volksrepublik Polen.

Deutlich wird der Wandel der medialen Öffentlichkeit in Medienberichten von Anfang dieses Monats. Die Abendnachrichten von tvn, einer der größten TV-Sender in Polen, berichteten von einem Priester, der über viele Jahre kleine Mädchen belästigt haben soll. Zum Beispiel soll der Vertreter Gottes auf Erden den neun bis dreizehn Jahre alten Mädchen befohlen haben, sich auszuziehen und ihm den Unterleib zu zeigen. Er soll auch mit Mädchen am Sandstrand gespielt und sie dabei an intimen Stellen berührt haben, so Aussagen der Opfer und ihrer Angehörigen.

Soweit nichts Ungewöhnliches – die Öffentlichkeit in nahezu jedem katholisch geprägten Land hat sich mittlerweile an solche Berichte gewöhnt. Und dass die Kirche bei neuen Anschuldigungen den Priester versetzt und ansonsten bestenfalls untätig zusieht, aber in Wirklichkeit vertuschte, wo es nur geht, ist so banal, dass es dafür keiner Berichte bedarf. Schließlich wird hier auch kein Gebot oder Sakrament verletzt. Das ist auch einer der Gründe, warum Ehebrechenden der Leib Gottes als bekömmliche Oblate vorenthalten wird, er von Kinderschändern aber ohne weiteres gegessen, ja sogar gesegnet werden kann.

Erstaunlich ist in diesem Fall der mutmaßlichen Pädophilie die Reaktion der Staatsanwaltschaft, die nach anfänglichen Ermittlungen vor zwei Jahren das Verfahren gegen den Priester einstellte. Die Anschuldigungen seien zwar glaubhaft und würden zudem gegen moralische Maßstäbe verstoßen, die sich in der Bevölkerung etabliert haben, doch liege kein Rechtsverstoß vor, so ein Vertreter der Staatsanwaltschaft in Olsztyn (Nordosten Polens) gegenüber tvn.

Das letzte Wort war da aber noch nicht gesprochen. Der Medienbericht löste offensichtlich beträchtliche Aufruhe in der Regierung aus. Denn schon tags darauf bekräftigte Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet, die Einstellung des Verfahrens sei verfrüht gewesen, es werde wieder aufgenommen und die Anschuldigungen abermals in Bezug auf den Vorwurf der Pädophilie geprüft.

Der Geistliche ist sich indes keiner Schuld bewusst und verweist auf die frühere Einstellung des Verfahrens. In der aktuellen Gemeinde scheint sich zudem keine Empörung gegenüber dem angeschlagenen Hirten zu formieren. Vielmehr werben einige Gemeindemitglieder, man möge dem Priester doch eine Chance geben.

Intelligente Medienstrategie

Die Macht der Medien zeigt sich nicht nur in der schleichenden Laizisierung der polnischen Gesellschaft. Der Wandel kann auch auf die intelligente Medienstrategie zurückgeführt werden, die den Einfluss der Kirche auf das Privatleben einschränken will. Dabei steht nicht die grundsätzliche Kritik der gesamten Kirche, ihrer Dogmen sowie ihrer Einstellungen im Vordergrund. Es ist eher eine Strategie der Nadelstiche, bei der Verfehlungen von einzelnen Geistlichen und ihrer Vorgesetzten beschrieben werden und die Kirche somit als Ganzes Schaden nimmt. Und indem andere Geistliche, bekannte Persönlichkeiten und Wissenschaftler zu Wort kommen, die das Vorgehen in konkreten Fällen kritisieren, wird Unruhe in der Kirche erzeugt. Ferner wirkt als Katalysator die Versammlung alter Männer, die als Bischofskonferenz bezeichnet wird, und die bestenfalls warme Worte für die Opfer übrig hat.

Damit taumelt der angeschlagene Riese immer stärker. Der Gottesglaube verlagert sich ins Private und wird von der Institution Kirche entkoppelt. Übrig bleibt ein selbstgemachter Glaube, den die Kirche ablehnt. Doch der Kampf gegen den starken Einfluss der Kirche auf die Gesellschaft sowie auf die Legislative und den Vollzug von Gesetzen ist noch längst nicht gewonnen. So sieht man auch am Fall des oben genannten Priesters, wo die Ermittlungen wiederaufgenommen wurden. Entschieden ist noch längst nicht, ob der Kirchenmann auch verurteilt wird. Genauso wahrscheinlich ist, dass das Verfahren erneut eingestellt wird, wenn die Medien wieder andere Themen auf der Agenda haben.