Wohnt hier das Böse?

Berlin. (hpd) Der Wissenschaftler Felix Hasler hat den "Neuro"-Wahn untersucht und festgestellt, dass die Vorsilbe "Neuro" seit der in den 1990er Jahren von George Bush ausgerufenen "Dekade des Gehirns" jeden Wissenschaftszweig zum Medienereignis machen kann. Sein kritisches Buch "Neuromythologie" wurde im Festsaal der renommierten "Berlin School of Mind and Brain" vorgestellt.

Die moderne Neurowissenschaft zeigt uns auf bunten dreidimensionalen Bildern wo im Kopf die Zentren für romantische Liebe, Religiösität, Wut, Rassismus oder Hass liegen. In peppigen Magazinen werden einfache Erklärungen für äußerst komplizierte menschliche Verhaltensweisen abgegeben und damit das gängige Bedürfnis nach Wissen befriedigt, mit denen man nicht nur seine Partygäste schwer beeindrucken kann. Sogar die Zeitung mit den großen Buchstaben setzt Schlagzeilen wie „Hier sitzt das Böse“ oder andere Publikationen mit der 'Erkenntnis', dass sich Liebe und Hass neurologisch nicht unterscheiden würden.

Wer aber das Gehirn versteht, weiß auch, wie man Menschen durchschauen und manipulieren kann. Neben der Neuro-Biologie gibt es daher auch Neuro-Psychology, Neuro-Ökonomie, Neuro-Arts, Neuro-Marketing, Neuro-Ästhetik, uvm.

Das Institut "Berlin School of Mind and Brain" wird von dem bekannten Philosophen Michael Pauen geleitet, der die Sucht der Medien nach plakativen Antworten z. B. auf die Frage nach dem freien Willen nur zu gut kennt. Seine Studenten forschen mit den Methoden der Philosophie, Psychologie, mit bildgebenden Verfahren oder Tiermodellen an den großen Fragen der menschlichen Psyche.

Felix Hasler kritisiert nun aber genau diese bildgebenden Verfahren, bei denen sich nach viel Statistik die bekannten bunten Bilder ergeben. Er präsentierte u. a. ein sehr illustratives Beispiel aus dem Jahr 2010 (Bennett et al.): Toten (!) Lachsen wurden Bilder von Menschen in emotional verschiedenen Situationen gezeigt und ihre vermeintliche Hirnaktivität per funktioneller Kernspintomografie (fMRT) gemessen. Die überraschende Erkenntnis: Ein bestimmtes Hirnareal wies eindeutig Aktivität auf! Das Ergebnis dieses absurden Experiments beruhe ausschließlich auf Zufälligkeiten und sage nichts über tote Lachse, aber viel mehr über die Tücken des Kernspintomografen aus. Jedoch die Aussagefähigkeit der fMRT wird überschätzt, sie sagt lediglich etwas über die bessere Durchblutung des Gehirns, zeigt aber kein Foto der Gehirntätigkeit.

Aber auch bei lebenden Menschen gibt es Areale, die immer wieder bei diesen Bildern auftauchen. Der anteriore cinguläre Kortex (ACC) z. B. ist u. a. verantwortlich für für Optimismus, Religiösität oder sozialen und körperlichen Schmerz.

Kann man dann wirklich noch von spezifischer Aktivität sprechen? So komplizierte kognitive Leistungen wie Bewusstsein oder Liebe finden in verschiedenen Bereichen des Gehirns gleichzeitig statt und können nicht in distinkten Kerngebieten lokalisiert werden. Felix Hasler benutzte für diese Mythologie in Anlehnung an die Pseudo-Wissenschaft des 19. Jahrhunderts den Begriff "Cyberphrenologie".

In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass die anwesenden Wissenschaftler genauso unzufrieden mit dem Neuro-Hype sind wie der Buchautor, jedoch nach Lösungen suchen wollen. Letztendlich seien es doch die Medien, die das "Sprachgen" oder das "Rassismuszentrum im Hirn" gefunden haben wollen. Das ist laut Felix Hasler schon richtig, jedoch müssten auch die Wissenschaftler selbst mehr an der Aussagekraft ihrer Daten arbeiten und eine übergeordnete Philosophie entwickeln.

Adriana Schatton

Das Buch „Neuromythologie - Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ ist erschienen bei transcript und kostet 22,80 €.