Ingrid Matthäus-Maier versuchte engagiert, diese allgemeinen, eher formalen Fixierungen und Erörterungen um die inhaltlichen Konsequenzen des kirchlichen Arbeitsrechts zu erweitern, was es für die Einzelnen der dort Beschäftigten bedeute.
Sie verwies darauf, dass acht Prozent der Diakonie ein lohndrückendes Outsourcing betreiben, dass die ver.di Klage wegen des Streikrechts berechtigt sei und dass das Betriebsverfassungsgesetz nicht für die Kirchen gelte.
Bei den Diskussionen in der Öffentlichkeit gehe es vor allem um das Individualrecht der Beschäftigten. Sie verwies auf den bekannten Fall des entlassenen Organisten, der schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sein Recht bekam, wobei allerdings die Schadensersatzzahlung von 40.000 Euro nicht von der Kirche bezahlt werden musste sondern von der Bundesrepublik Deutschland. Es gehe um beständige Grundrechtsverletzungen sei es bei einem Chefarzt, der Leiterin eines Kindergartens, dem Vergewaltigungsopfer in Köln.
Die Kirchen würden sich dabei stets auf den Art. 10 GG in Verbindung mit Art. 137,3 berufen, in dem ihnen aber nur das „ordnen und verwalten“ ihrer eigenen Angelegenheiten zugebilligt werden, zudem „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Und gegen den Paragraphen 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungssetzes habe die Europäische Union ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, das nach zwei Jahren eingestellt wurde, als die Bundesrepublik sich verpflichte, die Loyalitätsanforderungen auf Leitungs- und Verkündigungsfunktionen zu begrenzen.
Die Kirchen verhalten sich so, als wenn die Arbeiterwohlfahrt ab sofort nur noch Nicht-Kirchenmitglieder einstellen, aber dennoch verlangen würde aus öffentlichen Mitteln finanziert zu werden.
Die SPD würde sich leider zu diesen Fragen nur sehr zurückhaltend äußern. Sie stand als Partei immer an der Seite der Schwachen gegen Großorganisationen. Das habe sich bezüglich Caritas und Diakonie leider geändert. (Beifall im Publikum)
Das Betriebsverfassungsgesetz gelte nicht für die Kirchen. Das aber sei historisch auch bereits anders gewesen, denn in der Weimarer Republik gab es bereits den Art. 137,3 der Verfassung und ein Betriebsrätegesetz. Es gehe doch und schließe sich nicht aus. 1952 wurde der Passus zugunsten der Kirchen in das Betriebsverfassungsgesetz eingefügt, was heißt, dass 1,2 Millionen Beschäftigte in Deutschland keinen Schutz durch Betriebsräte haben. Caritas und Diakonie, so ihre Schlussfolgerungen sollten genauso behandelt werden wie die Arbeiterwohlfahrt oder das Deutsche Rote Kreuz.
Schließlich skizzierte einer der Autoren des Gutachtens für die SPD-Fraktion („Wege zu einem Branchentarif Gesundheit und Soziales“) Prof. Dr. Bernd Schlüter, Grundlinien des Gutachtens. Das Motto sei: „Gutes zusammenführen und allen zugute kommen lassen.“ Es ist eine komplexe Sach- und Rechtslage und das Gutachten versuche die drei Bereiche Allgemeines Tarifrecht / Kirchliche Regelungen / Finanzierungsmechanismen zu verbinden.
Er machte den Vorschlag eines Runden Tisches für Gesundheit und Soziales. Der Staat dürfe auch durch allgemeine Gesetze in die kirchlichen Selbstverwaltungsrechte eingreifen, wie es ja beispielsweise auch bei der Arbeitszeit und Hygieneregelungen im Hinblick auf die Allgemeinverbindlichkeit der Fall sei.
In der anschließenden Podiumsdiskussion und den abschließenden Fragen und Beiträgen aus dem Publikum wurden diese Standpunkte noch ergänzt und vertieft.
Insbesondere kennzeichnete der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (MAV) im Diakonischen Werk Württemberg, Ulrich Maier, ein Bild der Diakonie, was nicht erwarten lässt, dass dort Konkretes passieren werden. Es sei kaum ein MAV-Vertreter auf Bundesebene zu benennen, die Arbeitsbedingungen seien schwierig und die Bezahlung schlecht. Die Diakonie sei noch nicht einmal in der Lage, bundesweit die Arbeitsbedingungen zu erheben, und der Diakonie-Arbeitgeberverband und die MAVs seien in vielen Fragen gegensätzlicher Auffassung. Und schließlich sei ein einheitlicher Tarif weder eine spezifisch kirchliches noch ein theologisches Problem.
Auch noch weitere Details und Standpunkte wurden von anderen genannt. Die Kirchen und die Gewerkschaft ver.di haben sich aber anscheinend derzeit so sehr in die Frage des Streikrechts verbissen, dass es die Frage ist, wann und wie sie das lösen können und für alle weiteren inhaltlichen Fragen derzeit nicht gesprächsfähig zu sein scheinen. Es bewegt sich zwar zurzeit etwas, das aber sehr langsam.
Es besteht zudem der Eindruck, dass der Bundestag seine politische Gestaltungskompetenz an die Gerichte abgegeben hat und die Kirchen erst auf gerichtliche Entscheidungen reagieren.
Carsten Frerk.