Eine weltliche Ethik finde ich im Humanismus

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Angelika Kallwass / Foto: SAT.1

HAMBURG. (hpd) Auf dem Deutschen Humanistentag, der kommende Woche in Hamburg stattfindet, wird die Fernsehmoderatorin und Psychotherapeutin Angelika Kallwass am Freitag und Samstag das Programm moderieren. Thomas Brandenburg sprach mit ihr über Humanismus, Ethik und ihre Position zur christlichen Religion.

Wir sind erfreut, dass eine so bekannte und beliebte Fernsehmoderatorin beim Deutschen Humanistentag mit durch das Programm führt. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?

Der entscheidende Gesichtspunkt war das Thema Humanismus. Die Themen des Programms haben mein Interesse geweckt und mich überzeugt. Ich stehe ja in meiner Grundhaltung der Welt, den Menschen und auch mir selbst gegenüber der humanistischen Idee sehr nahe, sie ist Teil meiner geistigen Heimat.

Und was bedeutet für Sie Humanismus?

Im Mittelpunkt steht der Mensch, das Recht auf Menschenwürde, das Recht aller Menschen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, sofern sie damit nicht die Rechte anderer verletzen. Werte, die ich mit dem Humanismus verbinde, sind Würde, Freiheit, Gleichheit, Selbstachtung und die Achtung Anderer, Toleranz, Gerechtigkeit, Vernunft, die Suche nach friedlichen Lösungen. Werte, die sich auch im Grundgesetz, in Artikel 1, das unantastbare Recht der Menschenwürde, in Ansätzen auch in der Bergpredigt, etwa in der Forderung nach Gewaltverzicht und Feindesliebe, finden lassen.

Sie haben in Köln eine eigene psychotherapeutische Praxis. Zu Ihnen kommen Menschen mit psychischen Problemen. Wie können Sie denen helfen?

Ich bin Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Im Rahmen dieser Ausbildung bin ich berechtigt und befähigt, Menschen mit unterschiedlichen psychischen Problemen zu therapieren, jedoch nicht medikamentös zu behandeln. Es gibt unterschiedliche Theorien zur Entstehung von Krankheiten und unterschiedliche Behandlungsmethoden. Meine beruht auf der tiefenpsychologischen Theorie Sigmund Freuds. Die hat sich bis heute inhaltlich natürlich weiter entwickelt und inzwischen unterschiedliche Behandlungsansätze.

Und mit welchen Problemen kommen die Menschen?

Mit den unterschiedlichsten Beschwerden: Depressionen, Suizid-, also Selbstmordgedanken, Zwängen, Essstörungen, Beziehungsproblemen, psychosomatischen Beschwerden, starken Stimmungsschwankungen. Die entsprechende Therapie hängt vom vorgetragenen Problem, der Diagnose und der Behandlungsbereitschaft des Patienten ab.

 

Ist Ihre Arbeit in etwa vergleichbar mit der seelsorgerischen Tätigkeit eines Priesters?

Ein Priester oder Pastor kann im Rahmen seiner Tätigkeit seelsorgerisch, das heißt ja, seelisch beratend sein. Aber die Basis seiner Seelsorge ist vermutlich seine jeweilige religiöse Überzeugung. Ich bin im medizinischen Sinne heilend tätig, unterliege dabei genau definierten gesetzlichen Vorschriften für die Ausbildung.

Nach Meinung der Kirchen kann letztlich nur helfen, wer ein guter Christ ist.

Im Sinne der Kirche ist dieser Ansatz natürlich konsequent, in meinen Augen aber falsch. Ich kenne christliche Therapeuten aber auch hervorragende nichtchristliche.

Gibt es für Sie eine weltlich orientierte, eine säkulare Ethik?

Unter Ethik verstehe ich bestimmte sittliche Regeln, die religiös, aber auch säkular begründet sein können. Eine weltlich orientierte Ethik finde ich im Humanismus vor. Kürzlich las ich einen interessanten Artikel, worin vorwurfsvoll gefragt wurde, wie denn ein Strafverteidiger einen pädophilen Mörder verteidigen könne. Die Antwort lautete: Auch ein Mörder ist ein Mensch und verliert durch seine Tat nicht sein Recht auf eine menschenwürdige Behandlung, das Recht auf einen Prozessverteidiger. Emotional fiel es mir schwer, der Antwort zu folgen, aber aufgrund meiner Überzeugung muss ich sie akzeptieren.

Soweit mir bekannt ist, sind Sie in den 60er-Jahren aus der Kirche ausgetreten. Wie kam es dazu?

Meine Eltern waren nicht religiös und ich wurde auch nicht religiös erzogen. Mein Großvater mütterlicherseits war Kommunist, später linker Sozialdemokrat und war entschiedener Atheist. Also wurde auch meine Mutter nicht religiös erzogen. Mein Vater war ursprünglich sehr katholisch, verlor aber im Krieg den Glauben an Gott und trat aus der Kirche aus.

Also wurden Sie auch nicht getauft?

Nein, und das war im katholischen Köln ein Problem. Es fand sich zunächst keine Grundschule, die bereit war ein „Heidenkind“ aufzunehmen. Schließlich „erbarmte“ sich eine evangelische Schule meiner „armen Seele“. Mit acht wurde ich dann auf eigenen Wunsch hin evangelisch getauft und war sehr stolz, erinnere ich mich, als ich allein in einem sehr schönen Taufkleid auf das Taufbecken zuging und selbst das Glaubensbekenntnis sprechen konnte.

Und wurden später auch konfirmiert?

Ja, ich besuchte den Konfirmandenunterricht und führte mit dem Pfarrer intensive Gespräche über religiöse Fragen, weil mich das sehr interessierte. Mit fortschreitender Pubertät wurde ich allerdings kritischer. Ich fing an mich mit Politik zu beschäftigen, las sehr viel, begann die Ungerechtigkeiten in der Welt zu hinterfragen, an Gott und seiner Existenz zu zweifeln. Mit 16 entschloss ich mich, zur Erleichterung meiner Eltern, aus der Kirche auszutreten. Ich blieb aber bis zum Abitur im Religionsunterricht, hatte in Reli, weil ich an den Themen ja interessiert war, sogar eine Eins.

Und wie stehen Sie heute zur Religion?

1984 fiel mir ein sehr interessantes Buch in die Hände, „Der Gottesbegriff nach Auschwitz“ von Hans Jonas. Ich glaube, nach einer Rede, die er auf dem Katholikentag gehalten hatte. Darin schreibt er, er sei gläubig, aber für die Annahme der Allmacht Gottes sei nach Auschwitz kein Platz mehr, wenn Gott gleichzeitig auch allwissend und allgütig sei. Mit diesem Buch bekam mein Unbehagen Worte und wurde zur Gewissheit: Ich glaube nicht daran, dass ein wie auch immer gearteter Gott existiert.

Was machen die großen Kirchen Ihrer Meinung nach falsch?

Zunächst mal das Positive: Ich finde, dass die Kirchen vor allem im sozial-gesundheitlichen Bereich immer noch eine ganze Menge Gutes tun. Meine Hauptkritik gilt aber der Unbelehrbarkeit, dem starren Konservatismus, vor allem in der katholischen Kirche, gilt der Tatsache, dass jede Abweichung, jedes Aufbegehren, alles Sich-wehren gegen Ungerechtigkeit erstickt wird durch einen unantastbaren Gottesbegriff, den die Kirche ja selbst entwickelt hat.

Der Grund wohl auch, warum so viele Menschen aus der Kirche austreten, heute jeder Dritte in Deutschland konfessionslos ist.

Konfessionslosigkeit bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass man auch unreligiös ist. Viele wenden sich von den Kirchen ab, glauben aber an Gott. In der Gottgläubigkeit ist der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern sehr auffällig. Im Osten, las ich, glauben weniger als ein Prozent an Gott. Die Menschen im Osten sind ja unter anderen Umständen, einer anderen Ideologie groß geworden, in der es keinen Gott gab.

Sollten sich die Säkularen in Deutschland stärker bemerkbar machen?

Um gesellschaftlich bedeutsam zu sein, müssen sich die Säkularen bemerkbar machen. Sie müssen sich organisieren, Menschen motivieren, mit ihnen in Austausch treten, in den Medien vertreten sein. Aber auch von den Kirchen lernen. Es wird wahrscheinlich ein schwieriger Weg, denn sie glauben an die Vernunft. Und der Vernunft fehlt in der Regel der Glamour, fehlen die Rituale, die die Religionen, die Kirchen, vor allem die katholische auszeichnen. Marx hat gesagt, Religion ist das Opium des Volkes. Und es scheint ein Bedürfnis in uns Menschen zu geben, sich in rauschhafte Zustände zu begeben und Märchen zu hören. Ich frage mich, ob es einer säkularen Bewegung gelingt, auch solche Bedürfnisse zu befriedigen.

Danke für das Gespräch.