Nicht weniger schlecht, sondern gut sein

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In der Sonne im Gespräch / Alle Fotos © Evelin Frerk

HAMBURG. (hpd) Nudelmesse und Blasphemie, Turm der Sinne, Jugendweihe … aber auch Grundeinkommen, Umgang mit dem PKW und „Cradle to Cradle“, denn „Keine Macht den Doofen“ sowie humanistische Werte heute bis: „Der König liest, das Volk soll lauschen!“ und Ausklang mit Sternen und Grüßen.

Auch der vierte und letzte Tag des Deutschen Humanistentag 2013 in Hamburg bot ein facettenreiches Programm mit Vorträgen, Diskussion, Comic-Lesung und Musik.

Nudelmesse

Im Vorspann fanden Enttaufungen mit großem Föhn statt, auf dass die mit Wasser benetzten Haare wieder trocknen. Dann gab es die große „Nudelmesse“ unter der Leistung von Bruder Spaghettus und Elli Spirelli von der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters; eine Parodie, an der sich auch einige der ZuschauerInnen beteiligten.

Der freche Mario

Assunta Tammelleo berichtete über den Karikaturwettbewerb „Der Freche Mario“. Sie wies darauf hin, dass es noch immer Anzeigen wegen des so genannten „Blasphemieparagraphen“ (§ 166 StGB) gibt - vor allem in Bayern. Sie stellte einige der Sieger aus den letzten Wettbewerben vor: Karikaturen, den inzwischen bekannten „Heiligen Stuhl“ und ein „blasphemisches Video“.

Für die Zukunft wünschte sich Tammelleo weniger Bierernst und mehr Humor in der säkularen Szene. „Wir sollten nicht nur diskutieren, sondern auch Spaß an und bei der Sache haben.“ Mit Ralf Königs Lesung am Ende des Tages haben die Veranstalter dem schon Rechnung getragen.

Turm der Sinne

Dr. Rainer Rosenzweig vom Nürnberger „Turm der Sinne“, dem kleinsten Science-Center der Welt, stellte sich selbst die Frage: „Wie wäre die Welt, wenn sie ohne Gott wäre?“ und beantwortete sie: „Genau so, wie wir sie wahrnehmen.“ Doch wie nehmen wir sie wahr?

Er ging in seinem Vortrag auf die Wahrnehmung der Menschen ein und stellte am Beispiel des Auges dar, mit welchen ungeheuren Informationsmengen das menschliche Gehirn fertig werden muss. Und dass sich logisch daraus ergibt, dass der Mensch sich leicht täuschen lässt.

Dazu zeigte Rosenzweig zwei, drei mehr oder weniger bekannte Bilder und ein im gesamten Zelt Staunen erweckendes Video einer sich drehenden Frau, mit dem er nachweisen konnte, dass die Wahrnehmung vor allem darauf basiert, dass wir Menschen sehen (wollen), was wir aus Erfahrung kennen. Unsere Wahrnehmung ist programmiert darauf, Gesichter zu erkennen. Und selbst, wenn wir wissen, dass wir kein Gesicht sehen, doch eines erkennen.

Jugendweihe-Buch

Dr. Klaus-Peter Krause, Vorsitzender der Jugendweihe in Sachsen, führte in die Thematik der Geschichte der Geschenkbücher zur Jugendweihe ein. Ein ganzes Procedere lag vor der eigentlichen Feier, die mit Reden, Geleitsprüchen und dem Geschenkbuch den Übergang in die Erwachsenenwelt markierte.

Das älteste erhaltene Buch ist von 1921, das einen Schwerpunkt auf den Übergang in die Arbeitswelt setzt, auf die Teilnahme am Leben und am Klassenkampf. Heute liegt der Schwerpunkt in der Verdeutlichung von säkularer Welt und humanistischen Themen. Es soll kein Geschenkbuch von Erwachsenen für Jugendliche werden, sondern die Jugendlichen sollen selber mit einbezogen sein.

So heißt das aktuelle Geschenkbuch: „WELTanschauung – Jugend verändert die Welt.“ Die einzelnen Kapitel lauten: Tradition Jugendweihe / Junge Leute heute / Unser Staat, unsere Gesellschaft / Wissenschaftliches Weltbild / Aus Natur und Technik / Religionen der Erde / Philosophie und Sinnfragen / Werte in unserer Zeit / Wir in unserer Welt.

Aus den einzelnen Kapiteln wurden beispielhafte Texte vorgetragen, z. B. zu „Liebe, Partnerschaft, Sexualität: 1.000 Fragen … Wählen mit 16? Pro und Contra …

Humanismus und Grundeinkommen

Nicht im (gedruckten) Programm ausgewiesen war der Vortrag von Stefan Füsers vom Hamburger Netzwerk Grundeinkommen. Er skizziert in seinem Vortrag, dass die Arbeit aufgrund des protestantisch geprägten Arbeitsethos, zu einem Selbstzweck erhoben wurde. Auch heute sei das allgegenwärtig, obwohl wir inzwischen in unserer Gesellschaft mit immer weniger Arbeit immer produktiver werden. 

Auffällig war, dass in der anschließenden Diskussion niemand im Publikum die sonst immer wieder gehörte Aussage machte, dass mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens niemand mehr arbeiten würde.

Mobilität mit dem PKW

Um Mobilität kommt keiner von uns herum. Auch wenn man zu Hause bleibt, wer bringt die Brötchen und die Zeitung? Christian Carstensen ist Vorsitzender des Autoclub Europa (ACE), ein Club, der früher nur Gewerkschaftsmitgliedern offenstand, sich vor ein paar Jahren aber für alle geöffnet hat.

In der Mobilität muss man über das „nur das Auto“ oder „gegen das Auto“ hinaus kommen. Es gibt Anzeichen dafür, dass bei jungen Leuten das Auto als Statussymbol ausgedient hat und der Trend vom Auto weg geht. Für ländliche Gegenden oder für kinderreichere Familien gilt es jedoch nicht.

In Hamburg wird es zukünftig Mobilitätscenter geben, in denen man zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln wechseln kann – vom Fahrrad auf die U-Bahn oder auf einen PKW, ein ‚Branchenmix’. Die Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, brauchen dafür freie Straßen, die nicht von Fahrzeugen verstopft werden, die nicht sinnvoll genutzt werden. Mehr als 90 Prozent aller Autofahrten werden nach weniger als 10 km beendet. Es müssen also Angebote und Möglichkeiten geschaffen werden, die den Mobilitätswünschen und Anforderungen der Einzelnen besser entsprechen.

Cradle to cradle – Sinnvolle Ressourcehnutzung heute

Prof. Dr. Michael Braungart sucht neue Wege zur Produktion: Sein Credo ist: „Intelligenz soll am Anfang der Produktion stehen; nicht am Ende.“ Dazu braucht es ein völlig neues Denken, denn „die Menschen sollen nicht weniger schlecht, sondern gut sein.“

Der sog. „ökologische Fußabdruck“ der Menschen sollte nicht nur weniger schädlich werden, sondern nützlich. Der Verbrauch von Konsumgütern sollte dem natürlichen Kreislauf zugute kommen, nicht nur weniger schaden. „Wir sollten den Fußabdruck feiern!“ Zur Zeit leben wir nach der Devise, dass wir die Dinge nur besser machen wollen; etwas weniger schädlich zum Beispiel. Braungart setzt dagegen: „Wenn das Falsche perfekt gemacht wird, ist das Falsche perfekt.“

An Beispielen untermauerte er diese Thesen: So werden mit dem Recycling seltene Metalle vernichtet – wiedereingeschmolzene Autos bringen mehr als drei Prozent Kupferanteil in den Stahl. Der dann brüchig wird „wie Knochen mit Osteoporose.“

Heute bestehe 20 Prozent des Hausmülls aus Windeln. Selbst wenn wir diesen um 10 Prozent vermindern, wird das in China in einem Augenblick vernichtet. Cradle to cradle bedeutet, dass diese Windeln dem Naturkreislauf wieder zurückgeben werden – und kompostierbar als Dünger dienen können.

Er nannte es „Terrorismus“, wenn Kinder giftigen Stoffen ausgesetzt werden, die in Spielsachen, der Kleidung und der Wohnungseinrichtung stecken. Asthma ist die inzwischen am weitesten verbreite Kinderkrankheit. Das liegt auch an unseren luftdichten Häusern, in denen es schimmelt.

Braungart fragte: „Sind wir zu viele?“ und beantwortet die Frage mit einem Hinweis auf Schmidt-Salomons Buch: „Wir sind nicht zu viele, wir sind zu dumm. Ameisen sind nicht dumm: Die machen keinen Abfall.“

„Keine Macht den Doofen“

Es hieße Möven nach Hamburg zu tragen, wollte man über die Bedeutung der Streitschrift von Michael Schmidt-Salomon diskutieren.

Die Dummheit ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern insbesondere das von Gruppen. Und: Gruppen tendieren generell dazu, dumm zu sein. Ganz im Gegenteil zu der Schwarmklugkeit der Bienen und Ameisen kennzeichnet menschliche Gruppen eher die Schwarmdummheit. Und: Die Dummheit der Beherrschten entspricht auch der Dummheit der Herrschenden. Und: Sind nicht diejenigen, die die Dummheit entlarven, am Ende selber die Dummen? Als Narr hat man die Freiheit, alles sagen zu dürfen – der Preis dafür? Nicht mehr ernst genommen zu werden?

Alles das scheut Michael Schmidt-Salomon nicht und so analysiert er unverdrossen die Idiotismen unserer Welt: Die wundersame Welt der Religioten (Karlheinz Deschner: „Je größer der Dachschaden, desto schöner der Anblick des Himmels.“); wir sind zu doof, um so viele zu sein – erst gemeinsam sind wir richtig doof und die Ökonomiotie in der Logik von Kettenbriefen. Sind es Politiker, die diese Idiotie benennen und beenden? Nein, es ist die Torheit der Regierenden, der Politioten. „Wer das Falsche perfekt macht, macht es perfekt falsch.“

Manchmal muss man sich, so meinte Schmidt-Salomon, Luft machen über das, was einen ärgert, um davon frei zu sein und die Welt wieder schätzen zu können.

Gut ohne Gott – Humanistische Werte heute

Mit einem Abschlussplenum mit Dr. Klaus-Peter Krause (Jugendweihe), Kai Pinnow (gbs Hamburg), Konny G. Neumann (Stiftung “Geistesfreiheit“) und Michael Schmidt-Salomon (gbs) wurde eine Art Bilanz der letzten Tage gezogen. Als eine der wichtigsten Ergebnisse der Tage in Hamburg wurde gerühmt, dass es gelungen sei, die verschiedenen säkularen Verbände unter das gemeinsame Zeltdach bekommen zu haben. Das gab es in dieser Form noch nie, soll aber zu einer Tradition werden.

Zukünftig können die Humanisten selbstbewußt genug auftreten und ihre Humanistentage nicht als Gegenveranstaltung zu Kirchentagen sehen. „Wir sind wer und wir haben eine Stimme.“

Es gab noch einige Diskussionen zum humanistischen Selbstverständnis, über Änderungswünsche für den nächsten Humanistentag und Konny G. Neumann kündigte an, dass eine Broschüre mit allen Reden herausgegeben werden soll.

Der König liest, das Volk soll lauschen

… und das tat das zahlreiche Volk dann auch mit Spannung und Begeisterung. Ralf König bat darum, das Licht von ihm wegzunehmen und die Projektionsfläche zeigte seine Bildergeschichten, deren Akteuren er aus der Dunkelheit heraus ihre verschiedenen Stimmen gab – von laut und leise, kreischend und säuselnd, mit gekonnten Pausen, ein Heidenspaß.

Musikalischer Ausklang

Frank Spilker, Begründer und Sänger der Hamburger Band „Die Sterne“, spielte dann Soli aus dem Sterne-Programm der vergangenen Jahre. Eine ruhige, konzentrierte Darbietung für die die Wackeren der Teilnehmer unverdrossen geblieben waren.

Auch das wird auf den Videos zum Humanistentag, die voraussichtlich bis gegen Ende Mai bearbeitet und veröffentlicht werden, zu sehen und zu hören sein.

Grüße (und wir sehen uns wieder) …

… von den Ehrenamtlichen, die für die Organisation und den reibungslosen Ablauf des Humanistentages 2013 sorgten.

Die TeilnemehrInnen merkten davon kaum etwas und hatten andere Interessen ... und das ist gut so.

C.F. / F.N.