Bloße Taktik, kein Prinzip

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Lukas Mihr auf der Kritischen Islamkonferenz / Foto: Frank Nicolai

HAMBURG. (hpd) Aus gegebenem Anlass ergänzt Lukas Mihr seine Ausführungen auf der Kritischen Islamkonferenz, radikale Linke würden hauptsächlich aus taktischen Gründen Stellung gegen den Rassismus beziehen, und belegt nun mit Beispielen seine Einschätzung.

Vorweg: Das Euthyphron-Dilemma ist schnell erklärt. Der Philosoph Platon stellte sich die Frage, ob Gott zum Begründer einer Ethik taugt. Ist etwas gut, weil Gott es will, oder will Gott es, weil es gut ist? In dem einen Fall müssten wir auch Kinder foltern und töten, wenn Gott es uns aufträgt, denn es wäre ja per Definition gut. Im anderen Fall hätte Gott sich an einer objektiven Ethik orientiert, also weil etwas aus sich heraus gut ist. Dann aber wäre eine göttliche Begründung für eine Ethik überflüssig.

Wie wir alle wissen, sind die „Guten“ links. Ein Linker wird sich daher immer gegen Rassismus aussprechen. Platon würde sich heute wohl die Frage stellen, ob jemand aus seiner linken Gesinnung den Antirassismus, oder aus seiner Ablehnung des Rassismus das Eintreten für linke Werte ableitet. Eine gefährliche Frage, denn sie impliziert, dass man nicht der linken Heilslehre anhängen muss, um ein Problem mit Rassismus zu haben. Das Monopol auf das „Gute“ bröckelt.

Als ich jüngst auf der Kritischen Islamkonferenz den Vorwurf aussprach, radikale Linke würden hauptsächlich aus taktischen Gründen Stellung gegen den Rassismus beziehen, rief dies natürlich Kritik auf den Plan. Das Neue Deutschland, die Sozialistische Tageszeitung, warf mir Verharmlosung des Rechtsextremismus vor. („Alle Klischees an Bord!"). Der gleiche Autor hatte übrigens vor wenigen Monaten in Michael Schmidt-Salomons Positionierung zum umstrittenen Mohammed-Film Rassismus gesehen.

Mein Vorwurf war, dass viele Linke nur dann aktiv gegen Rassismus vorgingen, wenn dies ihren politischen Fernzielen diene. Andere rassistische Strömungen seien der Beachtung nicht wert. So wird Israel im kommunistischen Spektrum oft ein Vernichtungswillen gegenüber den Palästinensern unterstellt. Bei aller berechtigten Kritik an der israelischen Besatzung gehen diese Vorwürfe jedoch deutlich zu weit. Umgekehrt gibt es einen Schulterschluss zwischen Linken und Islamisten gegen den gemeinsamen Feind im Nahostkonflikt. Dass die Hamas sich sogar positiv über Hitler äußert, wird dabei ausgeblendet.

Ich konnte diesen Vorwurf während meines Vortrags aus zeitlichen Gründen nur anhand eines Beispiels ausführen, dennoch zeigt sich, dass die politische Linke während ihres gesamten Bestehens immer taktisch agierte.

Schon der Vordenker aller Linken, Karl Marx, war ein Rassist. Er schwärmte von der Überlegenheit der Weißen Rasse und hetzte gegen „Negermischlinge“ Obwohl selbst Jude, waren ihm antisemitische Äußerungen nicht fremd.

Auch andere Linke standen dem Rassismus nahe. Für uns ist klar, dass die NSDAP rechts war, logischerweise hätte also die KPD als linke Kraft ein klares Zeichen gegen Nationalismus und Antisemitismus gesetzt. Doch weit gefehlt. Tatsächlich aber war die KPD in ihrer politischen Linie mehr als flexibel.

Die Ruhrbesetzung durch französische Truppen im Gefolge des Versailler Vertrages wurde in der Rechten zum Kampf der Deutschen gegen die Franzosen stilisiert. Nicht ganz unähnlich sah die Linke in der Besetzung des Ruhrgebiets den Klassenkampf des französischen Kapitals gegen den deutschen Arbeiter. Eine Koalition der Linken und Rechten gegen den gemeinsamen Feind Frankreich war möglich. Umgekehrt beklagte die antirassistische KPD die Diskriminierung der deutschen Minderheit im italienischen Südtirol. Hitler habe gegenüber dem faschistischen Diktator Mussolini aus außenpolitischen Erwägungen Zugeständnisse gemacht und die Südtiroler verraten. Der „wahre“ Nationalist solle daher die KPD wählen. Auch heute noch sind Linke gegenüber Nationalismus aufgeschlossen, solange er nur „emanzipatorisch“ wirkt, wie das Beispiel der kurdischen Arbeiterpartei PKK zeigt.

Auch Judenhass war der KPD nicht fremd. So waren mehrere Kommunisten bereit, zusammen mit der NSDAP die jüdischen Kapitalisten totzuschlagen. Umgekehrt vermuteten andere Genossen, dass Hitler von Juden finanziert werde, um die Arbeiterbewegung auszuschalten. Sein Antisemitismus solle die Herkunft der Parteispenden verschleiern.

Auch in den USA gab es eine völlige Apathie gegenüber jüdischem Leid. Nach dem Bündnisschluss Hitlers und Stalins, der die Aufteilung Polens zur Folge hatte, verstummte kommunistische Kritik am Dritten Reich. Erste Berichte über den anlaufenden Judenmord wurden von amerikanischen Kommunisten ignoriert. Angeblich würden die Fälle von der amerikanischen Propaganda übertrieben, da die Wall Street Interesse habe, an einem Kriegseintritt der USA mitzuverdienen. Nur zögerlich wurde Antisemitismus in Deutschland eingestanden – allerdings gäbe es den ja auch in Amerika. Besser lässt sich wohl kaum verdeutlichen, wie wenig hilfreich es ist, wenn der Verweis auf Ehrenmorde damit gekontert wird, dass man zuerst das Gender-Pay-Gap etc. beseitigen müsse, bevor man glaubwürdig gegen Frauendiskriminierung vorgehen könne. Umgekehrt liegt ein Glaubwürdigkeitsproblem vor, wenn Antifaschisten sofort gegen rechtsextreme Gewalt protestieren (natürlich mit Berechtigung!), aber die Notlage vieler muslimischer Frauen, die den eigenen Vater, Bruder oder Cousin fürchten müssen, komplett ausblenden.

Aber auch nach 1945 verschwanden nationale Positionen nicht schlagartig aus der Linken. Ab den 60er Jahren trennte ein kommunistisches Schisma die Sowjetunion und das China Maos. Beide Parteien standen sich unversöhnlich gegenüber. Auch in Deutschland gab es Maoisten, die ihre Führung nicht in Moskau, sondern in Peking sahen. Von dieser Position heraus knüpften sie an nationalistische Vorstellungen an. So gab es Maoisten, die die Rückgabe der abgetrennten deutschen Ostgebiete forderten. Pommern, Schlesien und Ostpreußen waren schließlich Polen und damit dem Warschauer Pakt zugefallen. Um Moskau zu schwächen, war daher auch der Flirt mit der politischen Rechten legitim. Aus dem gleichen Grund riefen manche Maoisten gar zur Wahl des beinharten Kalten Kriegers Franz-Josef Strauß auf, oder erteiltem dem Pazifismus, der oft von sowjet-hörigen Kommunisten getragen wurde, eine klare Absage.

Selbst den Holocaust hätten viele Kommunisten nur allzu gern ausgeblendet. Die Schuld des deutschen Volkes am Massenmord wurde klein geredet. Verantwortlich für Hitler seien allein die Kapitalisten, die sein Regime aus Profitgier installiert hätten. Die Kollektivschuld-These, laut der die NSDAP eben nicht mit Gewalt, sondern mit Zustimmung einer großen Bevölkerungsmehrheit herrschte, wurde von Kommunisten zu einer Art rassistischen Hetze gegen das deutsche Volk uminterpretiert. Auch die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof war der Meinung, dass die meisten Zeitgenossen vom Judenmord keine Kenntnis hatten. Ohnehin habe die Arbeiterklasse Hitler immer entschieden entgegengestanden. Eine Falschbehauptung, denn alle Milieus waren dem Nationalsozialismus verfallen, egal ob Eliten oder Proletarier.

Gerade die Fixierung auf die deutschen Arbeiter offenbart jedoch erst wirklich die Relativierungstendenzen. Denn diese waren in den Augen vieler Kommunisten die „echten“ Opfer Hitlers – obwohl sie zahlenmäßig gegenüber dem Holocaust oder den Exzessen in Osteuropa kaum ins Gewicht fallen. Immerhin: Die deutschen Arbeiter, die im Dritten Reich starben, hatten sich bewusst für den Widerstand entschieden, konnten also als Märtyrer gelten. Überspitzt gesagt: Ein Jude war nur durch Geburt ins Visier der Rassengesetze geraten, nicht durch „eigene Leistung“. Und so konnten die Juden nicht „stolz“ auf den Holocaust sein, den sie nach Meinung vieler Linker missbrauchten, um ihren eigenen Rassismus gegen die Palästinenser zu rechtfertigen.

Auch im linken Lager gab und gibt es Antisemitismus. Die Terrorgruppen der „Revolutionären Zellen“ und die Tupamaros nahmen sogar explizit jüdische und nicht etwa israelische Ziele ins Visier. Die Linkspartei Duisburg forderte einen Handelsboykott gegen Israel und verbreitete 2011 auf ihrer Website ein Flugblatt, das den Holocaust leugnet. Anlässlich des Gazakriegs 2009 griff der RotFuchs zu drastischer  Rhetorik. Israel attackiere in Nazi-Manier die Palästinenser. Zudem seien die Angriffe auf die Hamas antisemitisch. Dies verwundert, denn auf den ersten Blick würde man Antisemitismus mit Judenfeindschaft assoziieren. Was der RotFuchs sagen will, ist, dass Antisemitismus sich auf alle semitischen Völker und damit auch auf die Araber erstreckt. Die kommunistische Publikation begreift nicht (oder will es auch nicht), dass sie damit den Rechten in die Hände spielt. Denn die NPD kann fortan behaupten, nicht antisemitisch zu sein, da sie sich ja mit den Arabern solidarisiert. Ein weiteres Beispiel für rein taktischen Antirassismus.

Ein Linker kann aber vor allem deshalb kaum objektiver Antirassist sein, weil er nur das als Rassismus erkennt, was er in einen Wirkzusammenhang mit dem Kapitalismus setzen kann. Aber ist dem wirklich so?

Die Besitzer der Walmart-Kette gelten als konservativ. Familie Walton legt Wert darauf, dass ihre Angestellten keine Beziehungen am Arbeitsplatz eingehen. Außerdem spendet sie große Summen an die Republikanische Partei. Gleichzeitig aber betreiben die Waltons Lobby-Arbeit für eine moderatere Einwanderungspolitik. Die ultrakapitalistische Walmart-Kette setzt auf Niedriglohn-Arbeiter. Und solche sind die Latinos, die in die USA drängen, zumeist. Selbst dann wenn ein Mexikaner nicht direkt bei Walmart arbeitet, hilft er dem Konzern. Denn eine Schwemme von Niedriglöhnern drückt auch die Gehälter der weißen Mehrheitsbevölkerung. Aus genau diesem Grund positionieren sich die amerikanischen Gewerkschaften, die traditionell der Demokratischen Partei nahestehen, gegen eine ungezügelte Einwanderungspolitik. Welche dieser Positionen ist rechts, welche links? Ist es rassistisch, Latinos nicht im Land haben zu wollen, oder in ihnen nur Lohnsklaven zu sehen?

Dieses Beispiel illustriert wohl am besten, warum politische Studien in schöner Regelmäßigkeit demonstrieren, dass das größte Wählerpotential für eine neue rechte Partei eben nicht in der CDU, sondern in der Linkspartei zu verorten ist.

Natürlich weiß auch ein verblendeter Linker, dass der Islam nicht friedlich ist – als militärischer Bündnispartner gegen den Westen wäre er damit ja nutzlos. Großen Dank sollte er für seine Haltung jedoch nicht erwarten. Im Iran stürzten Islamisten und Linke vereint den diktatorisch herrschenden Schah. Doch als die Ayatollahs ihre Macht gefestigt hatten, verschwanden die iranischen Kommunisten in den Folterknästen des Regimes.

Dennoch: Oft genug üben Linke Kritik am Islam. In den entsprechenden Publikationen finden sich scharfe Anklagen gegen den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Sein Islamisierungskurs wird verurteilt. Doch ist dies glaubwürdig? Immerhin halten sich die gleichen Blätter zurück, wenn es darum geht, seinen Islamisierungskurs in Deutschland anzuprangern. Der Grund für das angespannte Verhältnis ist ein anderer: Erdogan hält der NATO die Treue und geht energisch gegen die PKK vor. (Ob der jetzige Friedensprozess von Erfolg gekrönt sein wird, lässt sich erst in einigen Jahren abschätzen.) Darum also sucht man nach Dreck, mit dem man Erdogan bewerfen kann. Echte Islamkritik sieht anders aus.

Hier sollte gelten, was auch sonst im Leben gilt: Ganz oder garnicht!

Lukas Mihr