Zu Besuch bei Verwandten

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Gorillagreisin / Fotos: Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Wozu brauchen wir heute eigentlich noch Zoos? Als „Arche“? Als Bildungsstätte? Als Forschungseinrichtung? Vier Trockennasenaffen wagen sich aus ihren Baumhäusern und erkunden neues Terrain, um sich eine fundiertere Meinung bilden zu können.

Mit 27 muss ich feststellen, dass ich den großen Zoo meiner Heimatstadt Berlin noch nie von innen gesehen habe. Da ich mich aber sehr für die Ergebnisse der Verhaltensforschung nicht-menschlicher Tiere interessiere und der Meinung bin, dass wir diese konsequenterweise ernst nehmen müssen, beschäftigt mich das altmodische Konzept von Zoologischen Gärten sehr. Im gbs-Beirat gehen die Meinungen gegenüber Zoos im Zeitalter des Internets anscheinend stark auseinander.

In Berlin versuchen wir die Problematik in einer sehr überschaubaren Gruppe innerhalb der EHBB e.V. zu ergründen. Ziehen wir drei warme Mahlzeiten, ärztliche Versorgung und vorgesetzte Geschlechtspartner in künstlicher Behausung einem Leben voller Gefahren und Hunger in Freiheit vor? Würden wir uns für die rote Pille entscheiden, um ein selbstbestimmtes aber gefährliches Leben außerhalb der Matrix zu leben oder doch eher die blaue für ein zwar sterbenslangweiliges aber abgesicherten Dasein vorziehen?

Darüber wollten wir zur Abwechslung mal nachdenken, während wir den Elefanten, Gorillas und Flamingos in die Augen schauen. Natürlich handelt es sich im Folgenden um keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern nur um den oberflächlichen Eindruck, den ich innerhalb von vier Stunden gewinnen konnte.

Zu viert traten wir unsere bewusstseinserweiternde Mission bei Wetter aus dem Zoobilderbuch an. Nicht unvoreingenommen, versteht sich, denn wir kennen die Berichte von Colin Goldner, die Strafanzeigen von PeTA und der Grünenabgeordneten Claudia Hämmerling sowie die unschmeichelhaften Zeitungsberichte über den Zoodirektor Berhard Blaszkiewitz, der sein Abitur übrigens an dem berühmt-berüchtigten katholischen Canisius-Kolleg ablegte und Mitglied der Berliner Komturei des Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem ist, die er zwischen 2003-2011 sogar leitete.

Seiner katholischen Ader ist wahrscheinlich auch die Idee zu den regelmäßigen Führungen zu den „Tieren der Bibel“ entsprungen, „bei denen die Besucher über Bibelzitate ihren Weg durch den Zoo [finden]“. Wir haben aber auch die Forschungsergebnisse über die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von bestimmten Zootieren diskutiert, die enorm zu unserem Verständnis über die Psyche unserer nächsten Verwandten (und damit auch unserer eigenen) beigetragen haben (Vgl. hierzu [1] und [2]).

Ist es nicht paradox, dass wir mit Hilfe der unwürdigen Lebensbedingungen Informationen sammeln, die uns ermahnen, diese Bedingungen radikal zu überdenken?

Just vor nicht einmal einer Woche stellten die drei Tierschutzorganisationen der „EU Zoo Inquiry“ ihren Bericht in Brüssel vor. In Deutschland überprüften sie 25 Zoos in 12 Bundesländern und ziehen eine recht negative Bilanz (Zusammenfassung nachzulesen in [4]). Im Berliner Zoo waren sie zwar nicht, dafür aber im Tiergarten Berlin. Die Ergebnisse sind hier nachzulesen. Die „öffentliche Aufklärung“ kommt ziemlich schlecht bei weg. Was uns zu der Frage bringt:

Wozu Zoologische Gärten?

Laut ihrer Satzung fördert die Firma „Zoologischer Garten Berlin AG“ Tierzucht, Tierschutz, Bildung und Forschung. Diese Ziele stehen auch in der Richtlinie 1999/22/EG des Rates über die Haltung von Wildtieren in Zoos: „Zoos [sollen] ihre wichtige Aufgabe bei der Arterhaltung, der Aufklärung der Öffentlichkeit und/oder der wissenschaftlichen Forschung angemessen erfüllen.“ Diese Existenzberechtigungen müssen der Anspruch eines modernen europäischen Zoos sein und nicht, wie Blaszkewietz immer wieder gerne betont: „Tiere zu präsentieren“.

Die „Zoo AG“, zu der auch der Tierpark Berlin gehört, erhält jährlich mehr als 6 Mio. Euro vom Berliner Senat und darüber hinaus EU Fördergelder. Die darin enthaltenen 2 Mio. Euro an den Zoo wurden nach dem Hype um Knut, der die Zookassen mächtig klingeln ließ, 2012 abgelöst. Darunter (aber nicht nur darunter!) scheinen auch die Tierpfleger zu leiden: Mit 1.100 Euro netto verdienen sie 1.000 Euro weniger als ihre Kollegen in Leipzig. Das sorgte Anfang 2013 für den ersten Streik im Berliner Zoo. Ein Ticket kostet übrigens 13 Euro! Dafür gibt es Ermäßigungen bis runter zu 6,50 Euro. Noch teurer sollten die Eintrittspreise also nicht werden.

Menschenaffen wie wir

Welchen Eindruck gewinnen wir also von der Einhaltung der EU Richtlinien, nach einem vierstündigen Spaziergang durch den Zoo? Zuerst biegen wir bei den Primaten ein: Paviane, Brüll- und Klammeraffen, Kapuziner- und Totenkopfäffchen, Totenkopfäffchen werden kurz und knapp auf kleinen Tafeln vorgestellt. Wir erfahren nicht, wo die einzelnen Tiere geboren sind oder in welchen sozialen Systemen sie leben. Dafür aber, was sie fressen und wer sie gerne frisst. Stammbäume fehlen mir am meisten, den anderen dreien aber nicht so sehr.

Da sind wir schon am Außengehege der Schimpansen. Auf den Informationstafeln sind hier Portraitaufnahmen, Geburtsdaten und Namen abgebildet, jedoch erfahre ich nicht, wo die Tiere das Licht der Welt erblickt haben und wie oft sie schon umziehen mussten. Der Satz „Schimpansen haben ein „verflochtenes“ Sozialsystem“ deutet immerhin an, dass es sich um Individuen mit höheren sozialen Bedürfnissen handelt.

Nebenan liegen die Gorillas in der Sonne und wir warten zusammen mit Ivo, Mpenzi, Bibi und Djambala auf die angekündigte Fütterung. Der Tierpfleger stellt alle Individuen und ihre Lebensgeschichten vor, während er sie abwechselnd mit Obst und Gemüse aus der Reserve lockt. Er macht das auf eine wirklich sehr interessante Weise, informativ und einfühlsam und kommt sehr gut ohne Anzüglichkeiten in Hinblick z.B. auf das Paarungsverhalten aus. Mir fällt das auf, weil in Zusammenhang mit unseren nächsten Verwandten und ihren Sozialverbänden, rote Pavianhinterteile, Konfliktbewältigung bei Bonobos oder Haremsysteme bei Gorillas leider vielen Menschen immer wieder nahrhaften Boden für klischeebehaftete und peinliche Bemerkungen geben.

Eine Gorilladame hat so einen Tick mit der Hand, die sie immer am Ohr hält und eine andere macht ununterbrochen die Geste von Mr. Burns von den Simpsons, wenn er „ausgezeichnet“ sagt.

Die Tiere haben ein sehr gepflegtes - aber natürlich im Verhältnis zur freien Wildbahn - kleines Gehege mit der Möglichkeit zum Klettern, aber nur sehr kleine Rückzugsmöglichkeiten vor den Blicken der Besucher. Den meisten Teil der Fütterung sehen wir übrigens durch fremde Cameradisplays, die nichts verpassen wollen, Zoo 2.0.

Enrichment, also kleine Herausforderungen für die Tiere mag dieser Zoodirektor nicht. In Leipzig wird den Menschenaffen angeboten, Futter aus komplizierten Vorrichtungen zu fischen. Das fordert und beschäftigt sie. Auch Versuche mit den Verhaltensforschern finden vor den Augen der Besucher statt. Das unterhält die Affen und ganz nebenbei auch die Besucher. Mit Verhaltensforschung im Berliner Zoo hat der Direktor aber so seine Probleme. Nur unter strengen (absurden) Auflagen dürfen Wissenschaftler z.B. die Elefanten beobachten. Psychologische Verhaltensuntersuchungen mit den Primaten sind anscheinend unerwünscht (persönliche Kommunikation mit einer Primatenforscherin).