BERLIN. (hpd) Wozu brauchen wir heute eigentlich noch Zoos? Als „Arche“? Als Bildungsstätte? Als Forschungseinrichtung? Vier Trockennasenaffen wagen sich aus ihren Baumhäusern und erkunden neues Terrain, um sich eine fundiertere Meinung bilden zu können.
Mit 27 muss ich feststellen, dass ich den großen Zoo meiner Heimatstadt Berlin noch nie von innen gesehen habe. Da ich mich aber sehr für die Ergebnisse der Verhaltensforschung nicht-menschlicher Tiere interessiere und der Meinung bin, dass wir diese konsequenterweise ernst nehmen müssen, beschäftigt mich das altmodische Konzept von Zoologischen Gärten sehr. Im gbs-Beirat gehen die Meinungen gegenüber Zoos im Zeitalter des Internets anscheinend stark auseinander.
In Berlin versuchen wir die Problematik in einer sehr überschaubaren Gruppe innerhalb der EHBB e.V. zu ergründen. Ziehen wir drei warme Mahlzeiten, ärztliche Versorgung und vorgesetzte Geschlechtspartner in künstlicher Behausung einem Leben voller Gefahren und Hunger in Freiheit vor? Würden wir uns für die rote Pille entscheiden, um ein selbstbestimmtes aber gefährliches Leben außerhalb der Matrix zu leben oder doch eher die blaue für ein zwar sterbenslangweiliges aber abgesicherten Dasein vorziehen?
Darüber wollten wir zur Abwechslung mal nachdenken, während wir den Elefanten, Gorillas und Flamingos in die Augen schauen. Natürlich handelt es sich im Folgenden um keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern nur um den oberflächlichen Eindruck, den ich innerhalb von vier Stunden gewinnen konnte.
Zu viert traten wir unsere bewusstseinserweiternde Mission bei Wetter aus dem Zoobilderbuch an. Nicht unvoreingenommen, versteht sich, denn wir kennen die Berichte von Colin Goldner, die Strafanzeigen von PeTA und der Grünenabgeordneten Claudia Hämmerling sowie die unschmeichelhaften Zeitungsberichte über den Zoodirektor Berhard Blaszkiewitz, der sein Abitur übrigens an dem berühmt-berüchtigten katholischen Canisius-Kolleg ablegte und Mitglied der Berliner Komturei des Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem ist, die er zwischen 2003-2011 sogar leitete.
Seiner katholischen Ader ist wahrscheinlich auch die Idee zu den regelmäßigen Führungen zu den „Tieren der Bibel“ entsprungen, „bei denen die Besucher über Bibelzitate ihren Weg durch den Zoo [finden]“. Wir haben aber auch die Forschungsergebnisse über die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von bestimmten Zootieren diskutiert, die enorm zu unserem Verständnis über die Psyche unserer nächsten Verwandten (und damit auch unserer eigenen) beigetragen haben (Vgl. hierzu [1] und [2]).
Ist es nicht paradox, dass wir mit Hilfe der unwürdigen Lebensbedingungen Informationen sammeln, die uns ermahnen, diese Bedingungen radikal zu überdenken?
Just vor nicht einmal einer Woche stellten die drei Tierschutzorganisationen der „EU Zoo Inquiry“ ihren Bericht in Brüssel vor. In Deutschland überprüften sie 25 Zoos in 12 Bundesländern und ziehen eine recht negative Bilanz (Zusammenfassung nachzulesen in [4]). Im Berliner Zoo waren sie zwar nicht, dafür aber im Tiergarten Berlin. Die Ergebnisse sind hier nachzulesen. Die „öffentliche Aufklärung“ kommt ziemlich schlecht bei weg. Was uns zu der Frage bringt:
Wozu Zoologische Gärten?
Laut ihrer Satzung fördert die Firma „Zoologischer Garten Berlin AG“ Tierzucht, Tierschutz, Bildung und Forschung. Diese Ziele stehen auch in der Richtlinie 1999/22/EG des Rates über die Haltung von Wildtieren in Zoos: „Zoos [sollen] ihre wichtige Aufgabe bei der Arterhaltung, der Aufklärung der Öffentlichkeit und/oder der wissenschaftlichen Forschung angemessen erfüllen.“ Diese Existenzberechtigungen müssen der Anspruch eines modernen europäischen Zoos sein und nicht, wie Blaszkewietz immer wieder gerne betont: „Tiere zu präsentieren“.
Die „Zoo AG“, zu der auch der Tierpark Berlin gehört, erhält jährlich mehr als 6 Mio. Euro vom Berliner Senat und darüber hinaus EU Fördergelder. Die darin enthaltenen 2 Mio. Euro an den Zoo wurden nach dem Hype um Knut, der die Zookassen mächtig klingeln ließ, 2012 abgelöst. Darunter (aber nicht nur darunter!) scheinen auch die Tierpfleger zu leiden: Mit 1.100 Euro netto verdienen sie 1.000 Euro weniger als ihre Kollegen in Leipzig. Das sorgte Anfang 2013 für den ersten Streik im Berliner Zoo. Ein Ticket kostet übrigens 13 Euro! Dafür gibt es Ermäßigungen bis runter zu 6,50 Euro. Noch teurer sollten die Eintrittspreise also nicht werden.
Menschenaffen wie wir
Welchen Eindruck gewinnen wir also von der Einhaltung der EU Richtlinien, nach einem vierstündigen Spaziergang durch den Zoo? Zuerst biegen wir bei den Primaten ein: Paviane, Brüll- und Klammeraffen, Kapuziner- und Totenkopfäffchen, Totenkopfäffchen werden kurz und knapp auf kleinen Tafeln vorgestellt. Wir erfahren nicht, wo die einzelnen Tiere geboren sind oder in welchen sozialen Systemen sie leben. Dafür aber, was sie fressen und wer sie gerne frisst. Stammbäume fehlen mir am meisten, den anderen dreien aber nicht so sehr.
Da sind wir schon am Außengehege der Schimpansen. Auf den Informationstafeln sind hier Portraitaufnahmen, Geburtsdaten und Namen abgebildet, jedoch erfahre ich nicht, wo die Tiere das Licht der Welt erblickt haben und wie oft sie schon umziehen mussten. Der Satz „Schimpansen haben ein „verflochtenes“ Sozialsystem“ deutet immerhin an, dass es sich um Individuen mit höheren sozialen Bedürfnissen handelt.
Nebenan liegen die Gorillas in der Sonne und wir warten zusammen mit Ivo, Mpenzi, Bibi und Djambala auf die angekündigte Fütterung. Der Tierpfleger stellt alle Individuen und ihre Lebensgeschichten vor, während er sie abwechselnd mit Obst und Gemüse aus der Reserve lockt. Er macht das auf eine wirklich sehr interessante Weise, informativ und einfühlsam und kommt sehr gut ohne Anzüglichkeiten in Hinblick z.B. auf das Paarungsverhalten aus. Mir fällt das auf, weil in Zusammenhang mit unseren nächsten Verwandten und ihren Sozialverbänden, rote Pavianhinterteile, Konfliktbewältigung bei Bonobos oder Haremsysteme bei Gorillas leider vielen Menschen immer wieder nahrhaften Boden für klischeebehaftete und peinliche Bemerkungen geben.
Eine Gorilladame hat so einen Tick mit der Hand, die sie immer am Ohr hält und eine andere macht ununterbrochen die Geste von Mr. Burns von den Simpsons, wenn er „ausgezeichnet“ sagt.
Die Tiere haben ein sehr gepflegtes - aber natürlich im Verhältnis zur freien Wildbahn - kleines Gehege mit der Möglichkeit zum Klettern, aber nur sehr kleine Rückzugsmöglichkeiten vor den Blicken der Besucher. Den meisten Teil der Fütterung sehen wir übrigens durch fremde Cameradisplays, die nichts verpassen wollen, Zoo 2.0.
Enrichment, also kleine Herausforderungen für die Tiere mag dieser Zoodirektor nicht. In Leipzig wird den Menschenaffen angeboten, Futter aus komplizierten Vorrichtungen zu fischen. Das fordert und beschäftigt sie. Auch Versuche mit den Verhaltensforschern finden vor den Augen der Besucher statt. Das unterhält die Affen und ganz nebenbei auch die Besucher. Mit Verhaltensforschung im Berliner Zoo hat der Direktor aber so seine Probleme. Nur unter strengen (absurden) Auflagen dürfen Wissenschaftler z.B. die Elefanten beobachten. Psychologische Verhaltensuntersuchungen mit den Primaten sind anscheinend unerwünscht (persönliche Kommunikation mit einer Primatenforscherin).
Als nächstes dürfen wir bei der Fütterung der Orang Utans zusehen. Wir erfahren, dass es sich um eine stark bedrohte Art handelt und man auf die Herkunft des Palmenöls in Nahrungsmitteln und Biodiesel achten sollte, weil für deren Gewinnung der Lebensraum der Tiere stark gefährdet ist. Wir beobachten, wir ein Orang dem Tierpfleger den Löffel klaut und bereitwillig gegen eine Weintraube wieder eintauscht. Eine eindrucksvolle Geste.
Der Tierpfleger erwähnt auch, dass die Tiere äußerst geschickt und zum Leidwesen der Pfleger mit Werkzeugen problemlos umgehen können. Nur mit dem Nachwuchs will es anscheinend nicht so recht klappen. Nach der Fütterung frage ich den Tierpfleger, was mit dem Orang-Utan Kevin passieren wird, von dem in den (Boulevard-)Medien schon viel berichtet wurde. Anscheinend habe man nun einen passende Gruppe in einem holländischen Zoo gefunden, in den der 33 Jahre alte Orang eingegliedert werden kann.
Die Außengehege sind mit trockengelegten Gräben von den Zoobesuchern getrennt, auf wassergefüllte verzichtet man zum Glück größtenteils. Colin Goldner vom Great Ape Project, das sich für Grundrechte für Menschenaffen einsetzt, hat die Haltung der rund 450 Menschenaffen in 40 deutschen Zoos und zooähnlichen Einrichtungen untersucht und dem Berliner Zoo ein „mangelhaft“ („Die Haltungsbedingungen müssen besser werden“) erteilt [3]. Das heißt nicht, dass alle Tiere nicht ausreichend gut gehalten werden. Die meisten Vögel z.B. haben große Anlagen und werden sogar freiwillig von ihren „wilden“ Verwandten aus der Stadt (Krähen, Spatzen und Tauben) besucht.
Der artenreichste Zoo der Welt!
Bei den afrikanischen Elefanten bekommen wir aber wirklich einen Schreck. Zwei so große Tiere teilen sich einen Vorgarten mit Sand ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit, soweit ich das erkennen kann. Die asiatischen Verwandten haben etwas mehr Platz. Wer kontrolliert eigentlich, dass der Zoo die EU-Richtlinien einhält?
Die Zoo-eigene Stiftung ist dafür ja wohl nicht unabhängig genug. Die Grünen-Politikerin Claudia Hämmerling legt sich schon seit Jahren mit dem Zoodirektor an und beklagt: „Leider ist der staatliche Einfluss auf den Zoo und unmittelbare Belange des Tier- und des Artenschutzes sowie die Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften aufgrund der privaten Rechtsform und seiner wirtschaftlichen Eigenständigkeit beschränkt.“ Auf ihrer empfehlenswerten Webseite sind viele Vorfälle gelistet, die sie nun schon seit Jahren anprangert.
Im artenreichsten Zoo der Welt (!) kommen wir noch an nachtaktiven Tieren, rosa Flamingos, Seevögeln, Bibern und Rindern vorbei. Eine Tafel erklärt, wie die Menschen aus dem Auerochsen das Hausrind gezüchtet haben und die Besucher können lernen, was sie da eigentlich auf dem Wurstbrot haben.
Ich kann mir vorstellen, dass die Großstadtkinder hier tatsächlich etwas Wichtiges mitnehmen. Mit einer pädagogisch ganz gut gemachten Drehscheibe erfahren sie auch, von welchen landlebenden Säugern die Wasserlebenden abstammen. Allerdings lernen die Kinder ebenfalls, dass Eisbären den ganzen Tag in der Sonne liegen und welche Tiere auf Noahs Arche mitgefahren sein sollen. Vor Allem lernen Zoobesucher aber, dass es auf die „Babytiere“ ankommt. Auf Neugeborene wird mit Extraschildern hingewiesen und der wichtigste Sport ist vor den meisten Käfigen stets: „Finde das Kleinste!" Ich ertappe mich auch dabei, unentwegt „süß“ oder „ach neeeee“ voller Entzücken zu rufen.
Nach vier Stunden haben wir immer noch nicht alles gesehen, können und wollen aber auch nicht mehr. Worauf können wir uns abschließend aber einigen? Wir halten es, wie C. Hämmerling, für verwerflich, den unnötig hohen Tierbestand weiterhin aufrecht zu erhalten. Warum sich nicht auf einige wenige relevante Arten spezialisieren und über diese dann aber ausführlich und pädagogisch wertvoll aufklären?
Wäre es nicht möglich, sich auf ein oder einige wenige ökologische Habitate zu beschränken und den ganzen Zoo so umzugestalten, um so eine möglichst authentische Landschaft nachzuempfinden? Dann gibt es vielleicht nur ein Dutzend Arten, dafür aber Rückzugsmöglichkeiten und eine hinreichend artgerechte Haltung.
Auf große Raubtiere kann bei diesem Zoo-Konzept übrigens ganz verzichtet werden. Von Aussichtstürmen und sicheren Käfigen in der Anlage (verkehrte Welt!) könnten Besucher und Forscher die Tiere beobachten, in Vorträgen und Filmen über sie lernen. Die Probleme sind uns aber auch bewusst: Wohin mit den vielen Tieren? Viele Tierpfleger würden arbeitslos, die Sicherheitsstandards müssten komplett geändert werden…
Wir können uns jetzt in unsere Höhlen zurückziehen, die Zootiere müssen sich noch bis Feierabend begaffen und fotografieren lassen. Morgen wieder. Jeden Tag. Ich bin froh, dass ich auf der anderen Seite des Zauns stehe aber es muss sich endlich was ändern!
Adriana Schatton
[1] Raymond Corbey: Menschen, Menschenaffen, Affenmenschen. Zur Geschichte
der Idee der menschlichen Sonderstellung. Hg. von der Interdisziplinären
Arbeitsgemeinschaft Tierethik Heidelberg. Erlangen: Harald Fischer 2007
[2] Judith Benz-Schwarzburg (2006): „Personale Rechte für Menschenaffen
und Delphine? Bedingungen einer gelungenen Integration kognitiver
Fähigkeiten von Tieren in tierethischer Argumentation“
[3] National Georaphic vom Juli 2012, Seite 70-71
[4] EU Wochenbericht Nr. 22-2013 vom 10.06.2013 KW. 24 der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union