(hpd) Die Fachjournalisten Andrea Röpke und Andreas Speit legen eine Gesamtdarstellung sowohl zur historischen Entwicklung des Rechtsterrorismus wie zum aktuellen Wissen um die NSU-Serienmorde vor. Die Beiträge des Sammelbandes beeindrucken durch akribische Faktenkenntnis und genaue Recherche, ihnen fehlt aber mitunter eine stärker analytische Dimension zur Einordnung der geschilderten Ereignisse.
Die Serienmorde des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ stehen für das bisher höchste Ausmaß an Brutalität und Menschenverachtung rechtsextremistisch motivierter Gewalt. Indessen gab es bereits zuvor im Nachkriegsdeutschland eine Fülle von Anschlägen und Tötungen durch Angehörige einschlägiger Gruppen oder Parteien. Die inhaltliche Verkopplung der historischen und aktuellen Dimension steht auch für die besondere Perspektive des Sammelbandes „Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“, der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegeben wurde.
Die beiden Journalisten sind durch akribische Recherchen zum Thema mit Artikeln und Büchern bekannt geworden. Ihr neuestes Werk, worin sich auch weitere Beiträge der Journalisten Andreas Förster, Julia Jüttner und Anton Maegerle finden, ist nicht ein weiteres „NSU-Buch“ im konventionellen Sinne. Die Autoren wollen das neonazistische Trio in den Kontext der rechtsextremistischen Gewaltentwicklung von 1945 bis in die Gegenwart stellen.
Dabei wechselt die formale Gestaltung des Bandes zwischen historischer und aktueller Perspektive hin und her: Im ersten Beitrag geht es um die Entwicklung rechtsextremistischer Gewalt bis zur Wiedervereinigung, wobei auch das Agieren heute meist vergessener Gruppen in den 1970er und 1980er Jahre behandelt wird. Danach steht der NSU im engeren Sinne hinsichtlich seiner drei Aktivisten mit Angaben zur biographischen und politischen Entwicklung im Zentrum des Interesses. Hier findet man auch wichtige Informationen zu den Taten. So heißt es etwa: „Der letzte Mord, der der Terrorzelle zugeordnet wird, ist der rätselhafteste – und der, um den sich die meisten Verschwörungstheorien ranken: der tödliche Überfall auf die Polizistin ... (S. 82). Die Textstelle veranschaulich exemplarisch, dass man sehr wohl auch offene Fragen anspricht, aber nicht zu wilden Spekulationen neigt. Im folgenden Beitrag wird wieder die historische Perspektive mit Erinnerungen an Anschläge in der ersten Hälfte der 1990er Jahre von Rostock-Lichtenhagen bis Solingen eingenommen.
Der nächste Text geht dann wieder dezidiert auf den NSU – und diesmal auf sein Umfeld ein. Hier wird die behördliche Auffassung, wonach die Täter ein „Dreier-Kommando“ gewesen wären und autonom gehandelt hätten, mit dem Hinweis auf die Unterstützung von „Kameraden und Kameradinnen“ (S. 148) kritisiert. Auch das gewaltgeneigte Umfeld in einem weiteren Sinne findet dann bezogen auf die Entwicklung in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre besondere Aufmerksamkeit, wobei insbesondere das Agieren des „Blood and Honour“-Netzwerkes von Bedeutung gewesen sei. Die Entwicklung zwischen 2000 und 2004 habe „genügend Anhaltspunkte dafür geliefert, dass es in der Neonazi-Szene eine ‚hochexplosive Stimmung’ gab“ (S. 168). Die letzten beiden Texte gehen auf die Fehler der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus und die aktuelle Gefahrenentwicklung ein. So heißt es etwa: „Die Verbrechen der NSU scheinen die Neonazi-Szene nicht nachhaltig von ihrer Militanz und Aggressivität abzubringen ...“ (S. 238).
Auch dieses Buch von Röpke und Speit fällt durch die genauen Detailinformationen und die gründliche Recherche auf. Beide Autoren haben sich seit Jahren auf das Themenfeld „Rechtsextremismus“ spezialisiert und können sich in ihren Publikationen auf ein profundes Wissen stützen. Dabei liefern sie meist eine beschreibende Darstellung und vermeiden willkürliche Deutungen. Gleichwohl gehen mit dieser Perspektive auch Nachteile einher: Über weite Strecken werden detailliert – leider aufgrund der journalistischen Betrachtung ohne Belege – einzelne Gewaltakte beschrieben. An einer genauen Einschätzung und vergleichenden Erörterung fehlt es aber. Hier und da hätte man sich durchaus etwas mehr Analyse gewünscht: So wird etwa überzeugend belegt, dass es sehr wohl eine Unterstützer-Szene für den NSU im Untergrund gab. Wussten die Helfer aber auch von dessen mörderischen Taten? Wer aber in erster Linie eine beschreibende Gesamtdarstellung zur rechtsextremistischen Gewalt sucht, findet mit dem Buch ein profundes Werk.
Armin Pfahl-Traughber
Andrea Röpke/Andreas Speit (Hrsg.), Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Berlin 2013 (Ch. Links-Verlag), 286 S., 19,90 €.