Ein Universum aus Nichts

Seit einer Veröffentlichung von Edwin Hubble im Jahr1929 wissen wir, dass sich die Galaxien von unserer eigenen Milchstraße entfernen und zwar mit einer Fluchtgeschwindigkeit, die proportional mit dem Abstand zunimmt. Extrapoliert man die Fluchtbewegung zurück in die Vergangenheit, so scheint alle Materie am Anfang des Universums in einem Punkt konzentriert gewesen zu sein. Dieser Befund führte zur Formulierung der Urknalltheorie. In den letzten Jahrzehnten konnten diese Messungen erheblich verfeinert werden. Zur Abstandsmessung wird die scheinbare Helligkeit von Sternexplosionen (Supernovae) herangezogen. Am Ende des Lebens von Sternen oberhalb einer bestimmten Masse explodieren diese. Dauer und Helligkeit dieser Explosionen folgen einem festen Muster, sodass aus dem Verlauf der Explosion die absolute Helligkeit berechnet werden kann. Aus Vergleich der absoluten mit der scheinbaren Helligkeit kann dann die Entfernung bestimmt werden.

Ein großer Vorteil dieser Methode ist auch, dass die Helligkeiten der Explosionen so stark sind, dass sie in der Größenordnung der Gesamthelligkeiten von Galaxien liegen und damit über riesige Entfernungen hinweg detektiert werden können. Die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien kann über deren durch den Dopplereffekt zu größeren Wellenlängen hin verschobenes Lichtspektrum (Rotverschiebung) bestimmt werden. Nun sollte man eigentlich erwarten, dass sich die Fluchtgeschwindigkeit mit der Zeit etwas verringert, da die Gravitation zwischen den Galaxien bremsend wirkt. Genauere Messungen an besonders weit entfernten Galaxien zeigten aber genau das Gegenteil. Es tritt eine Beschleunigung ein. Physikalisch erklärt werden kann dies nur über ein bisher unbekanntes Kraftfeld das mit Dunkler Energie bezeichnet wurde.

Da man nach Einstein Masse in Energie umrechnen kann, stellt sich die Frage wie groß die gesamte Dunkle Energie im Vergleich zur gesamten Masse ist. Das aktuelle Ergebnis ist, dass die Dunkle Energie 68,3% ausmacht und der Rest aus 4,9% Materie (Atome) und 26,8% Dunkler Materie besteht. Der sichtbare Teil des Universums, d.h. die leuchtenden Sterne, macht dabei insgesamt nur etwa 1% aus. Sowohl die gesamte Masse als auch die Gesamtmenge der Dunklen Energie lassen sich zusammenfassen als positive Gesamtenergie des Universums. Ihr gegenüber steht die gesamte Gravitationsenergie, die ein negatives Vorzeichen hat. Zählt man diese beiden Beiträge zusammen, so ergibt sich innerhalb einer Fehlergrenze von wenigen Prozent eine Gesamtenergie von Null.

Die Vermessung des Universums

Eine der zentralen Fragen der Kosmologie ist die nach der Geometrie des Raumes. Leben wir in einem positiv gekrümmten Universum, das geschlossen ist oder einem negativ gekrümmten, offenen Universum oder genau an der Grenze zwischen diesen beiden Möglichkeiten, nämlich in einem flachen Universum? In einem flachen Universum ist die Winkelsumme eines Dreiecks genau 180°, während sie in einem positiv gekrümmten größer ist und in einem negativ gekrümmten kleiner. Krauss legt dar, wie durch Messung der räumlichen Verteilung der Fluktuation der kosmischen Hintergrundstrahlung eine Bestimmung der Geometrie möglich wurde. Die bisher präzisesten Kartierungen dieser Strahlung stammen von den Forschungssatelliten WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) und Planck.

Die Ergebnisse deuten mit einer Genauigkeit von einem Prozent auf ein flaches Universum hin. Dies deckt sich genau mit der oben erwähnten Bestimmung der Gesamtenergie des Universums, denn die Theorie fordert für ein flaches Universum eine Gesamtenergie von Null. Mit anderen Worten, für die Entstehung des Universums ist überhaupt keine Energie erforderlich und deshalb kann es durch Quantenfluktuationen aus dem Nichts entstanden sein.

Krauss zieht den Schluss: „Die Quantengravitation scheint nicht nur zuzulassen, dass Universen aus dem Nichts hervorgehen, sie könnte sie sogar erfordern. Das „Nichts“ – in diesem Fall kein Raum, keine Zeit, kein gar nichts! – ist tatsächlich instabil“. Das was diese Theorie so überzeugend macht, sind die voneinander unabhängigen Beobachtungsergebnisse, die alle in die gleiche Richtung zeigen, nämlich einem flachen Universum mit der Gesamtenergie Null. Selbst die Häufigkeitsverteilung der Elemente passt genau in dieses Bild.

Die letzte Lücke für einen Schöpfergott: Schaffung der Naturgesetze.

In die Enge getriebene Theologen sehen zuweilen die letzte Chance für die Argumentation der notwendigen Existenz eines Schöpfergottes darin, dass er die Naturgesetze geschaffen hat, nach denen der Urknall abgelaufen ist. Aber auch dieses Argument lässt sich entkräften. Die modernen Theorien der Quantengravitation und der Superstringtheorie deuten darauf hin, dass unser Universum nicht das einzige ist, sondern dass es Teil eines Multiversums ist, das aus einer riesigen Zahl einzelner Universen besteht. In den einzelnen Universen gelten dann zufällige Naturgesetze mit zufälligen Naturkonstanten. Nach dem anthropischen Prinzip leben wir zwangsläufig in einem Universum mit Naturgesetzen, die biologisches Leben ermöglichen. Von diesen Argumenten ganz abgesehen ist ein Gott, der die letzten verbliebenen Lücken naturwissenschaftlicher Erkenntnis füllt, ein recht armseliger Gott. Krauss fragt in einem Interview: Wohin geht Gott, wenn die letzten Lücken gefüllt sind?

Das düstere Ende der Welt

Man kann zwar im Rahmen der Kosmologie die Zukunft der Welt nicht mit absoluter Sicherheit vorhersagen. Aber nach unserer derzeitigen Kenntnis wird sich unser Universum immer weiter ausdehnen, die Sterne werden verglühen und die Materie wird restlos zerfallen. Irgendwann wird es aufgrund der physikalischen Bedingungen weder biologisches Leben noch künstliches Leben bzw. Intelligenz geben können. Sogar jedwede Information über irgendwelche Zivilisationen wird verschwinden. Insofern müssen wir feststellen, dass es einen höheren letzten Sinn unserer Existenz grundsätzlich nicht geben kann.

Das ändert allerdings nichts daran, dass wir unserem Leben einen auf die Dauer unserer Zivilisation begrenzten Sinn geben können. Krauss schreibt dazu: „Ein Universum ohne Zweck oder Lenkung mag manchem so erscheinen, als werde das Leben dadurch bedeutungslos. Für andere, zu denen auch ich mich zähle, wirkt ein solches Universum belebend. Es macht die Tatsache unserer Existenz noch erstaunlicher und motiviert uns, aus unserem eigenen Handeln Bedeutung abzuleiten und aus unserer kurzen Existenz unter der Sonne das Beste zu machen“.

Widerspruch

In Kreisen konservativer Philosophen und Theologen hat das Buch erheblichen Unmut und Widerspruch erzeugt. So bemängelt der New Yorker Philosoph David Albert, dass das von Krauss beschriebene Nichts ein Quantenvakuum sei, das in der Lage ist, Partikel in die Wirklichkeit zu bringen und es wäre somit etwas anderes als das von Philosophen und Theologen idealisierte Nichts.

Der Berliner Philosoph Claus-Peter Eichhorst schreibt in seinem Buch „Das falsche Nichts“ Aber ihr (Anm.: Physiker wie z.B. Lawrence Krauss und Stephen Hawking) Irrtum steht fest, ein Mahnmal pseudo-naturalistischer Hybris. Denn ein Nichts, aus dem ein Universum wird, ist — wie das Nichts der Schöpfungstheologen — kein Nichts: ein falsches Nichts. Der Münchner Philosoph und Jesuit Godehard Brüntrup meint, etwas was nicht existiert, kann auch nichts bewirken.

Krauss bezeichnet solche Kritiker als „idiotische Philosophen“, denn ein anderes Nichts, als das der physikalischen Definition, könne es in der Wirklichkeit nicht geben. Der Streit wird weiter gehen. Noch sind nicht wirklich alle Fragen der Kosmologie geklärt, aber der Nebel lichtet sich. Wissenschaft weiß noch nicht alles, Religion weiß nichts.

Bernd Vowinkel

Lawrence M.Krauss, „Ein Universum aus Nichts“. 256 Seiten, Albrecht Knaus Verlag, ISBN-13: 978-3813504682 (Originaltitel: A Universe from Nothing: Why There is Something Rather Than Nothing)