Das Faustrecht kehrt zurück

Den Amerikanern hat man’s nicht gezeigt

Damit, dass man es den Amerikanern gezeigt hat, hat das gar nichts zu tun. Man hat sich offenbar durchlaviert. Vielleicht war es das Beste, was die Republik in der Situation tun konnte. Die einzige Möglichkeit, um Morales den Weiterflug zu ermöglichen. Fragwürdig bleibt es allemal. Und hat langfristige Konsequenzen.

Für die Großen gelten Sonderregeln

Fragwürdig ist die Sache auch im Licht von Beobachtungen, die ich 2004 als Reporter des ORF NÖ machte. Der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil war wenige Tage vor Ende seiner letzten Amtszeit verstorben. Zu seinem Staatsbegräbnis kamen Staatsoberhäupter und Ehrengäste aus der ganzen Welt. Wladimir Putin reiste an. Arnold Schwarzenegger, damals Gouverneur von Kalifornien, vertrat den amtierenden US-Präsidenten George W. Bush.

Die Flugzeuge landeten alle auf einem Sonderabschnitt des Flughafens Wien. Dort, wo auch die Maschine von Morales vor wenigen Tagen stand. Ich berichtete über die Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen.

Es wimmelte von Polizisten der österreichischen Spezialeinheit Cobra, Scharfschützen auf den Dächern etc. etc. Nachvollziehbar. Gemeinsam mit Vertretern von Flughafen und teilweise des Außenministeriums begrüßten sie die ausländischen Gäste und brachten sie durch die Schleuse im VIP-Zentrum auf österreichisches Staatsgebiet (der Transitbereich von Flughäfen ist bekanntermaßen exterritorial, ebenso die Landebahnen). Ohne Passkontrolle, versteht sich.

Secret Service hypernervös

Besonders zuvorkommend war man Amerikanern und Russen gegenüber. Schwarzenegger flog seine Gulf Stream selbst. Agenten des Secret Service nahmen in Empfang. Die Kameras der Reporter machten sie nervös. Zuerst wollten sie uns verscheuchen. Das funktionierte nicht. Dann holten sie einen Lieferwagen einer Cateringfirma, mit dem sie versuchten, uns das Blickfeld zu blockieren. Der Flughafen, eher interessiert an positiver PR, organisierte für uns eine fahrbare Leiter. Mit der konnten wir über die Blockade drüberschauen. Die Amerikaner positionierten den Wagen neu, wir stellten die Leiter um, um wieder drübersehen zu können. Dann erst griffen österreichische Polizisten ein und erklärten dem Secret Service, das Ganze sei jetzt doch ein wenig übertrieben. Rechtlich gedeckt war das Vorgehen des Secret Service nicht.

Man darf auch davon ausgehen, dass einige der Agenten Sturmgewehre und andere automatische Waffen bei sich hatten. Der Secret Service hat immer schwere Bewaffnung mit auf Reisen, wenn man den zahlreichen internationalen Berichten Glauben schenken darf. Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun. Die Sturmgewehre hätten sie streng genommen nicht haben dürfen. Das dürfen laut österreichischem Recht nur Polizei und Bundesheer. Rechtlich gesehen sind Angehörige ausländischen Sicherheitspersonals in Österreich Privatpersonen. Jedem war’s egal. Da kam niemand auf die Idee, nachzuschauen.

Russische Atomcodes auf österreichischem Boden

Wladimir Putins Sicherheitsleute waren entspannt. Ich selber stand keine zwei Meter von Putin entfernt, als er in die gepanzerte Präsidentenlimousine stieg. Keiner seiner Leute hat auch nur mit dem Ohr gezuckt. Die wussten schon, wo sie aufpassen müssen und wo nicht. Direkt hinter Putin der Mann mit dem schwarzen Koffer. Der, in dem die Codes für die Nuklearwaffen drin sind.

Die Codes haben auf österreichischem Staatsgebiet nichts verloren. Österreich darf laut Staatsvertrag von 1955 keine Nuklearwaffen besitzen (und seltsamerweise auch keine U-Boote) und darf keine bewaffneten ausländischen Truppen auf seinem Territorium zulassen. Österreich ist neutral (zumindest formal) – darauf hat 1955 gerade die UdSSR bestanden.

Da lässt sich argumentieren, dass es die Republik Österreich nicht zulassen kann und darf, dass von ihrem Gebiet aus ein Einsatzbefehl für Nuklearwaffen erteilt wird. Das hat niemanden gekümmert. Der Mann mit dem schwarzen Koffer durfte ungehindert mit in die Präsidentenlimousine einsteigen. Russland ist eben Großmacht.

Nicht aufzuschreien bedeutet Zustimmung

Es gibt offenbar eine Diskrepanz zwischen dem, wie kleine Länder behandelt werden und dem, wie große behandelt werden. Die Diskrepanz zeigt sich nicht nur in der Art und Weise, wie große Länder ihre Interessen durchsetzen. Sie zeigt sich auch im österreichischen Herumlavieren in der Causa Morales. Neutraler Staat und gleichzeitig politisch Verbündeter der USA sein, das geht nicht zusammen.

Es ist von diesem Standpunkt gesehen auch unerheblich, ob es die Alibi-Untersuchung oder Doch-Nicht-Untersuchung von Morales‘ Amtsflugzeug gegeben hat. Wichtig ist, dass man so tut, als habe man nachgesehen, ob Snowden an Bord ist und gleichzeitig behauptet, man habe die Exterritorialität des Flugzeugs respektiert. Das ist mit Verlaub eine Schmierenkomödie.

Auch im Nachhinein versucht man sich durchzulavieren. UHBP sagt zwar, so etwas wie die Posse am Flughafen habe er nie erlebt. Aber verurteilt irgendjemand unmissverständlich, dass auf offensichtlichen Druck der USA die Prinzipien des Völkerrechts gebrochen wurden?

Wer hier nicht laut aufschreit, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Rückkehr des Faustrechts auf die internationale Bühne mitermöglicht zu haben. Ob aus Opportunismus, Feigheit oder mangelnder politischer Vorstellungskraft, bleibt gleich.

Christoph Baumgarten

*) „Unser Herr Bundespräsident“ ist die ironisch-liebevolle und gleichsam offizielle Amtsbezeichnung für den österreichischen Bundespräsidenten. Sie wird von allen Medien verwendet, v.a. in der Abkürzung UHBP. Vergleiche etwa POTUS für „President of the United States“.

Notizen aus Wien ist die monatliche Kolumne unseres Österreich-Korrespondenten.