ŚWIEBODZIN. (hpd) Es ist Mittagszeit, die Sonne hängt über uns, der Himmel ist leicht bewölkt; wir sind im Zentrum angekommen, in Świebodzin. Der Stadtkern der rund 70 km von der deutschen Grenze entfernten Stadt wirkt verlassen. Wir sind gekommen, um uns anzuschauen, wie die katholische Kirche in Polen in der Jetztzeit einen religiösen Kristallisierungsort inszeniert: die Christus-König-Statue.
Wenige Familien, Jugendliche schlendern am historischen Rathaus entlang, das vor langer Zeit zum Regionalmuseum umfunktioniert wurde. Und ältere Menschen sind zu sehen. Dazu passen auch die Fassaden – im Stadtkern sind einige renoviert, aufgehübscht, andere wiederum wirken, als wären die Häuser verwaist, kaum bewohnt. Die Stadtverwaltung von Świebodzin, die ebenso in einem schmucklosen und von außen abgenutzten Zweckbau neben dem historischen Rathaus residiert, hat in Sorge um das äußere Erscheinungsbild der Stadt ein Subventionsprogramm aufgelegt, aus dem heraus auch die Renovierung von Kirchen finanziert wird. Doch die Mittel sind in der Stadt mit 20.000 Einwohnern begrenzt und so schreiten die Renovierungen im Stadtzentrum nur langsam voran.
Die Kirche hat nachgezogen
Anders verhält es sich dagegen an den äußeren Ringen der Stadt. Es zeigt sich eine urbane Entwicklung, die sich auch in vielen anderen Orten in Ost-Deutschland wie in Polen aufzeigen lässt. Die wohlhabenden Bürger der Stadt bauen sich in idyllischer Natur am Stadtrand Einfamilienhäuser, für die weniger Wohlhabenden wurden moderne mehrgeschossige Wohnbauten in Grünanlagen errichtet. Und auch die Kirche ist mitgezogen, hinaus ins Grüne.
Die Pfarrgemeinde Gottes Barmherzigkeit wurde in der Wohnsiedlung Luzyckie am Stadtrand zum Ende der 1980er Jahre gegründet, unweit der Einfamilienhäuser, die auf die gehobene Mittelschicht der Stadt hinweisen, und in direkter Nachbarschaft zu den mehrgeschossigen Wohnbauten. Priester Prälat Sylwester Zawadzki erhielt im Jahre 1987 vom früheren Bischof Josef Michalik die Anweisung, im Wohngebiet eine Kirche oder Kapelle zu errichten, um für die angrenzende Bevölkerung Möglichkeiten der Seelsorge und eventuell eine weitere Pfarrgemeinde zu schaffen. 1990 machte sich Priester Zawadzki an die Planung des Baus und nach neun Jahren entstand die Pfarrgemeinde – Zawadzki wurde ihr erster Pfarrer.
Priester Zawadzki, eine Legende in der Stadt und beschrieben als sehr leidenschaftlicher und charismatischer Bauherr, wollte nach Schaffung der Pfarrgemeinde weitere Bauvorhaben in Świebodzin initiieren. Eine Gelegenheit dazu bot sich im Jahre 2000. Die gläubigen Einwohner der Stadt feierten damals das Christuskönigsfest, bei dem die Stadt Jesus Christus anvertraut wurde. Daraus erwuchs bei Zawadzki die Idee, dem Fest eine äußere Form zu geben. Die Planungen begannen – zuerst wollte er an vier verschiedenen Stellen in der Stadt kleine Jesus-Statuen erstellen, die die vier Himmelsrichtungen symbolisieren sollten. Doch aufgrund beschränkter Ressourcen und mangels erwarteter Hilfe der Stadtverwaltung beschränkte sich Zawadzki auf nur eine Jesus-Statue.
Die Weihung der größten Jesus-Statue der Welt, kirchlich-offiziell Christus-König-Statue genannt, vollzog der polnische Bischof der örtlichen Diözese Stefan Regmunt. Dem voran ging ein langer Planungs- und Bauprozess. Während der Planungsphase wurde die Statue immer größer. Am Ende kam Zawadzki zu dem Schluss, sie solle 33 Meter hoch sein - in Anlehnung an die Jahre, die Jesus laut Bibel auf der Welt gelebt habe. Die Krone der Statue des „Königs der Menschen“ ist drei Meter hoch, weil Jesus drei Jahre lang vor seiner Kreuzigung als Prediger durch das Land gezogen sei. Die 16 Meter aufgeschüttete Anhöhe, auf der die 440 Tonnen schwere Jesus-Statue aus Stahl und Beton weilt, umfasst fünf Ringe als Symbol für die fünf Kontinente, auf denen er herrschen würde.
Zwischen Religionstourismus und Pilgerfahrten
Umringt von weitem flachen Land, schaut die große Statue auf Świebodzin – die Arme der Statue sind ausgebreitet, um den Menschen zu zeigen – ihr könnt alle zu mir kommen und ich werde euch alle aufnehmen. Und es kommen Menschen aus der ganzen Welt, um die Statue zu besichtigen. 2013 waren, nach Angaben der Kirche, schätzungsweise 400.000 Besucher da, die Fotos von der Statue machten, auf der Anhöhe am Fuße der Statue die Aussicht bewunderten oder beteten.
Priester Zygmunt Zimnawoda, der aktuelle Vorsteher der Pfarrgemeinde, die Priester Zawadzki einst gründete, macht uns auf den Unterschied zwischen Religionstouristen und Pilgern aufmerksam. Ihm gehe es nicht um die touristische Attraktion der Christus-König-Statue; gelegentlich werde ein Feldaltar aufgebaut, um dort eine feierliche Messe zu begehen. Doch nach Meinung des Geistlichen ist der echte heilige Ort das Sanktuarium des Kirchengebäudes, dort sollen die Pilger hinkommen und beten. Daher weise die rechte Hand der Jesusstatue auf die Kirche, so als wolle sie in stiller Form sagen: Macht nicht nur Fotos, sondern geht in die Kirche, da ich in Wirklichkeit dort anwesend bin. Somit ist die Kirche nach Aussagen von Priester Zimnawoda seit 2006 Tag und Nacht für den Publikumsverkehr geöffnet. Er selbst habe in den Sommerferien aufgrund des Ansturms keine Zeit, um Urlaub zu machen oder seine Familie zu besuchen. So bekommen nach Meinung des Priesters auch Religionstouristen einen Impuls, der sie zum Glauben hinführen soll.
Der größte Jesus der Welt kann jedoch nicht nur als begehrtes Reiseziel für Touristen und Pilger glänzen. Nein – er dient zudem als Veranstaltungszentrum für Świebodzin und manchmal für ganz Polen. Zum Beispiel veranstaltete die Vereinigung der Familien von Świebodzin (ARS FAMILIA) dieses Jahr zum zweiten Mal ein Familienfest unter der Figur. Davor gab es eine heilige Messe im Sanktuarium, danach sind die Gläubigen zur Statue gegangen, wo eine Szene für diesen Anlass aufgebaut und ein Volksfest veranstaltet wurde. Mit dabei waren Besucher aus der deutschen Partnerstadt Friesoythe (im Oldenburger Münsterland). Auch werden Läufe in der Stadt veranstaltet, wobei Zentrum dieser die Jesusstatue ist.
Ein Ereignis von nahezu polenweitem Charakter war das „Śzwiebodzinerio“, veranstaltet zur Zeit des Weltjugendtages 2013 in Rio de Janeiro. Dabei hat die Kirche eine Art nationalen Weltjugendtag für junge Gläubige veranstaltet, die sich die Reise nach Rio nicht leisten konnten. Dazu wurde vor der Statue eine ligurische und eine Musikszene aufgebaut – zur Veranstaltung kamen Jugendliche aus der ganzen Westwand Polens (ca. 3.000 Personen).
Kosten
Die von den Gläubigen und der Kirche getragenen Kosten sind nach Aussagen von Priester Zimnawoda nicht in Zahlen zu fassen. Je nach Quelle werden bis zu 3,5 Millionen Euro genannt. Zwar könne man die zweckgerichteten Spenden auf den Konten zusammenrechnen, meinte Priester Zimnawoda, doch wurden daneben viel ehrenamtliche Arbeitskraft sowie kostenlose oder vergünstigte Baumaterialien zu Verfügung gestellt, was die Aufrechnung schwierig machen würde. Die Kosten für den Unterhalt der Statue sind auch nicht bekannt – Priester Zimnawoda erwartet, dass die innere Konservierung der Statue circa zehn Jahr hält, bisher sind Unterhaltskosten nicht angefallen.
Die Stadt Swiebodzin gibt ihren Teil dazu
Säkulare Kommentatoren und Kritiker, die in Polen oft als „kirchenfeindlich“ bezeichnet werden, monieren häufig die hohen Subventionen, die die Kirchen und Glaubensgemeinschaften aus dem Staatshaushalt erhalten. Analog dazu kam bei der Errichtung der Statue die Anschuldigung gegenüber lokalen Volksvertretern auf, der Bau der Jesus-Statue sei offen oder verdeckt subventioniert worden.
Krzystof Tomalak, Stellvertreter des Bürgermeisters, entgegnet diesen Vorwürfen, die Stadt habe nie etwas mit der Errichtung der Figur zu tun gehabt und half in keiner Weise dabei. Die Idee stamme ausschließlich von der Kirche und hätte sich die Stadt daran beteiligt, hätten bestimmte Verfahren wie zum Beispiel die öffentliche Ausschreibung eingehalten werden müssen. Das Grundstück, auf dem die Statue stehe sei ferner von der staatlichen Agentur landwirtschaftlicher Immobilien verpachtet.
Doch die Stadt leiste laut Tomalak ihren Beitrag aus Dankbarkeit für dieses Symbol, das die Stadt sehr bekannt gemacht hat und viele Touristen in den Ort lockt. Auf einem staatlichen Grundstück wird ein großer Parkplatz gebaut, auf dem einige Dutzend Autos und mehr als zehn Autobusse Parkmöglichkeiten erhalten. Hinzu kommt eine durch Mittel der Stadt gebaute asphaltierte Zufahrtsstraße.
Nach Angaben des stellvertretenden Bürgermeisters gebe es jedoch kein diesbezügliches Tourismuskonzept für die Stadt und den Kreis, da umliegende Kreise mit besseren Erholungsmöglichkeiten wie Seen und Wälder aufwarten können. Nachgedacht werde jedoch über Hinweisschilder an der Autobahn, von wo aus man den Jesus nicht sehen kann. In der Stadt selbst brauche es keine Hinweisschilder, da die Statue schon von weitem erkennbar und die Stadt klein ist. Allerdings ist die Statue auf der neuesten Informationstafel in der Stadtmitte (unten rechts) zu sehen.
Die "nagelneue" Stadtinformationstafel mit der Statue im Mittelfeld rechts unten
Logistik der Inszenierung
Die Stadt Świebodzin liegt an der internationalen Eisenbahnstrecke von Berlin nach Warschau. Bei der Vorbeifahrt ist die Statue aus den Waggons für die Reisenden zu sehen. Es kreuzen sich am Ort die überregionale Landesstraße S2 von Frankfurt/Oder nach Posen und die Landesstraße S3 von Stettin nach Zielona Góra. Die S3 ist vierspurig (als E 65) ausgebaut, hat eine direkte Ausfahrt zur Statue und ist der Zubringer zur nördlich an Świebodzin vorbeiführenden neuen Autobahn A2 (Berlin – Frankfurt/Oder – Warschau), die wichtigste Ost-West-Achse des polnischen Straßenverkehrs.
Zukunftsaussichten
Die Pläne sind da – die Umsetzung ist im Gange. Vor der Jesus-Statue ist weiterhin eine große Baustelle. Gebaut wird ein großes Pilgerzentrum, ein Flügel ist nahezu fertig. Er soll Pilgern als Aufenthaltsort und zur Besinnung dienen – auch Übernachtungen werden möglich sein. Der zweite Flügel ist noch auf dem Papier, wird aber bald gebaut; dieser soll eine gastronomische Einrichtung, einen großen Konferenzraum sowie eine Kapelle beherbergen. Das jetzige kleine Bistro mit wenigen einfachen Tischen und der aktuelle kleine Devotionalienladen werden in einigen Jahren vermutlich nicht wieder zu erkennen sein.
Gegenüber dem entstehenden Parkplatz am Fuße des Hügels mit der Statue hat sich schon ein erstes Restaurant etabliert. Weitere werden sicherlich folgen.
Es wäre nicht verwunderlich, wenn im Herbst – nach der katholischen Heiligsprechung des einzigen slawischen / polnischen Papstes Johannes Paul II, eine der weltweit verbreiteten Reliquien von Karol Józef Wojtyła – in Polen gibt es etwa 100 Orte, an denen u.a. Blut, das ihm zu Lebzeiten von Ärzten abgenommen wurde, die blutbefleckte Schärpe, die er am Tag des Attentats trug, wird bereits in Tschenstochau verehrt – ihren Weg nach Świebodzin finden wird und sich im westlichen Polen ein umsatzstarker Wallfahrtsort etabliert.
Abschied
Als wir Świebodzin wieder verlassen, hängt die Sonne tiefer, es ist kühler geworden. Was bleibt übrig von den zwischenmenschlichen Begegnungen und der Auseinandersetzung mit der größten Jesus-Statue der Welt?
Zum einen die Nachdenklichkeit, dass man auch als Nicht-religiöser von dieser gigantischen Statue beeindruckt sein kann. Ist es die unbewusste Erinnerung, der Rückfall in die Zeit als kleines Kind, als einem die Erwachsenen, insbesondere Vater und Mutter, auch so gigantisch groß erschienen? Zum anderen ein historisches Interesse, wie dieser Ort in fünf oder zehn Jahren aussehen wird, ob das Konzept der Inszenierung aufgegangen sein wird?
Die Gespräche zur Reportage führten die Autoren am 14. August 2013 mit dem Priester Zygmunt Zimnawoda und Krzystof Tomalak, dem Stellvertreter des Bürgermeisters. Die Fotos sind von Evelin Frerk.
Zum Größenvergleich: Zwei Menschen auf dem Sockel der Statue.