Wofür stehen… die Freireligiösen?

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Ausschnitt aus moderner Darstellung der freireligiösen Flammenschale (Pfalz)

MANNHEIM. (hpd) Immer wieder gibt es Diskussionen, warum die Freireligiösen Gemeinden Mitglied in säkularen Organisationen seien – ob das kein Widerspruch in sich selbst sei. Dazu eine Klärung in einem Interview mit Ute Janz, die in der Freireligiösen Landesgemeinde Baden u. a. für die Jugendarbeit zuständig ist.

hpd: Hallo Frau Janz, immer wieder kommen beim hpd Anfragen an, was denn die Freireligiösen mit der säkularen Szene zu tun hätten. Die formale Antwort lautet dann einfach, dass die Freireligiösen über die Mitgliedschaft im Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) auch Mitglied im KORSO (Koordinierungsrat Säkularer Organisationen) sind. Das ist aber eher nur formal. Könnten Sie diese Frage aus ‚erster Hand’ inhaltlich beantworten? Was ist bei den Freireligiösen „frei“ und was ist „religiös“?

Ute Janz: Wie die "Säkularen" lehnen die Freireligiösen jegliche transzendente Art der Weltdeutung ab. Wir leben in einer aus und in sich selbst begründeten Welt. Wir glauben an das Leben vor dem Tod. Ja, das ist vielleicht das Wichtigste!

Die Ausübung der Freien Religion ist für uns eine Möglichkeit, gemeinsam mit Gleichgesinnten, unsere Freude darüber, dass etwas ist, zum Ausdruck zu bringen.

Freie Religion legt uns nahe, Lebensfreude zu leben, über die Natur zu staunen, sie in allen Formen zu achten, unsere Sinne und unseren Verstand zu nutzen, um zu Erkenntnis zu gelangen und  dabei zu erkennen, dass wir für "Sinn"  selbst zuständig sind.

Während  Sinn in den herkömmlichen Religionen durch eine wie auch immer geartete Transzendenz verbürgt wird, verwirklicht sich Sinn für uns immer nur im konkreten Tun, im konkreten menschlichen Leben. Also im menschlichen Miteinander, im Wirken in der Welt, im Engagement für z. B. die Menschenrechte, für Geistesfreiheit und Selbstbestimmung, im Einsatz für einen vernünftigen, also nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen etc. .

Religiös empfinden wir uns dennoch, weil wir das Wort Religion als einen sehr weiten, freien Begriff fassen und verwenden. Wir wissen uns abhängig von den eigenen, individuellen Gegebenheiten, Fähig- und Möglichkeiten, wir wissen uns abhängig und verbunden von und mit anderen Menschen, abhängig von und in der Geschichte und wir wissen uns abhängig von den Gegebenheiten und Gesetzen der Natur, der Erde, des Universums.

Wir wissen uns abhängig in vielerlei Hinsicht, aber eben auch eingebunden. Daraus resultiert ein gewisser Gestaltungsspielraum.

Religion bedeutet uns die innere, selbstgewählte Verpflichtung, im Wissen um die Abhängigkeiten, unseren Spielraum verantwortungsvoll und selbstbestimmt wahrnehmen zu wollen.

Religion, so wie wir sie verstehen, fördert das Bewusstsein um die Einmaligkeit unseres Lebens, gibt Trost oder Halt in Lebenskrisen, indem sie uns auf die Gemeinschaft der Menschen und das Eingebundensein ins Ganze verweist und ermutigt uns, Sinn immer wieder neu zu definieren und zu verwirklichen. Selbstbestimmt und eigenverantwortlich, eben frei.

Wir verstehen uns als eine säkulare Religion.

Vielleicht könnte man auf die Begrifflichkeit der Religion oder des Religiösen verzichten. Aber warum sollten wir die Deutungshoheit über diesen für die Kulturgeschichte so bedeutsamen Bereich den herkömmlichen Religionen überlassen?

Innerhalb der Unitarier, die ja ebenfalls übe den DFW Mitglied im KORSO sind, gibt es seit Jahrzehnten eine Diskussion über das eigene Selbstverständnis und es gibt Stimmen mit dem Vorschlag, sich „atheistische Religionsgemeinschaft“ zu nennen. Sehen Sie darin eine Ähnlichkeit zu den Freireligiösen?

Die Unitarier in Deutschland stehen den Freireligiösen inhaltlich sehr nah. Sowohl bei uns als auch bei den Unitariern wird die Diskussion um den Begriff der Religion, bzw. der Religionsgemeinschaft geführt. In beiden Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften findet sich in der Mitgliedschaft das breite Spektrum von Pantheisten, über Agnostikern bis hin zu Atheisten und Skeptikern. Verbindend für alle ist das, was ich vorhin schon versucht habe zu beschreiben: das Bewusstsein eingebunden zu sein in die Natur, den Kosmos, Sinn aber nur zu erfahren im konkreten menschlichen Leben, über das verantwortungsvolle Miteinander in der menschlichen Gemeinschaft.

Die Schwierigkeit für uns und die Unitarier besteht darin, unseren sehr weit gefassten Begriff der Religion immer wieder erklären zu müssen, auch unseren eigenen Mitgliedern. Daher die fortwährende Diskussion über Begrifflichkeiten und Benennungen. Der Vorteil dieser Diskussion: unsere Gemeinschaften befinden sich in einem lebendigen Entwicklungsprozess, in dem die Gemeinschaft immer wieder neue Positionen findet, auch unterschiedliche Positionen nebeneinander zu respektieren lernt. Ich find das ist ein großer Vorteil.

Den Begriff atheistische Religionsgemeinschaft finde ich persönlich nicht so glücklich, weil er Religion zu sehr auf den Theismus einengt. Wir freireligiösen Gemeinschaften, die im Bund freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammengefasst sind, gehen den Weg, verschiedene Benennungen nebeneinander bestehen zu lassen: so findet sich neben dem Begriff Religionsgemeinschaft auch der der Weltanschauungsgemeinschaft. Wenn sich Dinge in einer Gemeinschaft entwickeln sollen, muss man auch die Möglichkeit der Entwicklung zulassen.

Für einen Außenstehenden ist es etwas irritierend, wenn er einen Briefbogen der Freireligiösen sieht, auf dem im Kopf des Briefbogens in der zweiten Zeile groß steht: „Staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft“. Nehmen Sie diese Irritation als Missverständnis gelassen hin?

Wenn der „Staat“ unsere Interpretation des Begriffes Religion denn auch verstanden hätte, müssten bzw. könnten wir sogar stolz darauf sein das Attribut staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft zu tragen!

In der Tat sind wir auch ein bisschen stolz darauf, denn unsere Gemeinschaften haben die staatliche Anerkennung als Dissidenten, denen man z. T. grundlegende Bürgerrechte abgesprochen hat, hart erkämpft. Staatlich anerkannt zu sein, bedeutet zumindest theoretisch auch den anderen Religionsgemeinschaften gegenüber gleichgestellt zu sein. Das ist nicht unwichtig in einem Staat, der die Trennung von Staat und Kirche nie wirklich vollzogen hat und dies in absehbarer Zeit wohl auch nicht vorhat.

Das Etikett „staatl. anerkannte Religionsgemeinschaft“, das für die in neuerer Zeit gegründeten säkularen Verbände irritierend sein muss, verweist also einerseits auf unsere Geschichte und eröffnet andererseits Möglichkeiten Gleichbehandlung einzufordern.

Aber es ist nicht immer leicht, gelassen mit dem Missverständnis umzugehen. Z.B. hinderte es die säkularen Verbände, uns bei der Forderung nach einer Vertretung säkular orientierter Menschen im Rundfunkrat (beim SWR) zu unterstützen. Schade eigentlich!

Mmh, das kann ich verstehen, aber gibt es denn Zusammenarbeiten mit säkularen Verbänden? In Ludwigshafen kooperiert die Freireligiöse Gemeinde zwar mit dem IBKA (Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V.), aber wenn ich dann lese, dass in internationalen Treffen der Jugendverbände der „interreligiöse Dialog“ mit Katholiken, Lutheranern, Hindus, Buddhisten, u. a. m. gesucht und geübt wird, aber nicht mit säkularen Jugendverbänden wie z. B. den JuHus (Junge Humanisten), dann erscheinen mir die Vorbehalte aber verständlich. Vielleicht weiß ich dazu aber auch vielleicht zu wenig?

Also, der interreligiöse Dialog mit Katholiken, Lutheranern, Muslimen, Buddhisten, Hindus hat sicher nicht unsere erste Priorität. - Dass es neulich ein gemeinsames Projekt der Freireligiösen Jugend Karlsruhe mit der katholischen Aktion „72 Stunden“ samt Abschlussgottesdienst gab, war eine absolute Ausnahme, hat mich selbst überrascht und – ich gestehe es – ich fand es zumindest „grenzwertig“. Aber in solchen Entscheidungen sind die Gemeinden, auch die Jugend in den Gemeinden, bei uns eben autonom.

Beispielbild
Ute Janz / Foto (c) Evelin Frerk
Wichtiger sind uns die Kontakte zu den Mitgliedsverbänden des DFW zum Beispiel zu den Humanistischen Freidenkern Brandenburg, zur IHEYO (International Ethical and Humanist Youth Organisation). Wir rufen auf zur Teilnahme an (Jugend)kongressen des Bündnisses für Demokratie und Toleranz oder der EHF (European Humanist Federation) und arbeiten insgesamt in enger Kooperation mit der EHF. Wenn es zu den „JuHus“ noch keine direkten Kontakte gab, dann hat das vielleicht mit personellen Dingen zu tun.

Aber wir arbeiten in der Tat international in zwei sehr unterschiedlichen Verbänden mit: in der IHEU(International Ethical and Humanist Union) und in der IARF (International Association for Religious Freedom). Beides hat seine je eigene Tradition.

Es ist schon äußerst beeindruckend wie das gemeinsame Anliegen der religiösen Freiheit z.B. bei einem der Weltkongresse geeignet ist, Menschen unterschiedlichster, religiöser und kultureller Herkunft und Überzeugung, in respektvoller, vertrauensvoller aber auch kritischer Zusammenarbeit zusammen zu führen.

Es geht uns ja nicht um eine Abschaffung der Religionen schon gar nicht der Religiosität, die wir, verkürzt gesagt, als das Staunen vor dem Unbegreifbaren verstehen. Wir halten religiöse Menschen nicht per se für geistig zurückgeblieben.

Was wir wollen ist „nur“, dass Religionen den Menschen in seiner geistigen Freiheit nicht gängeln, dass sie die Menschenwürde und die Menschenrechte uneingeschränkt gelten lassen, dass sie anders Glaubende und andere Standpunkt nicht diskriminieren oder gar verfolgen und dass sie sich aus dem Staat heraushalten.

Da ist es durchaus sinnvoll auch nach Verbündeten innerhalb der Religionsgemeinschaften zu suchen, Menschen, die ihre Religionen für entwicklungs- und diskursfähig halten und daran arbeiten.

Wenn Sie die praktische Arbeit der Freireligiösen Jugend in den Blick nehmen, dann werden Sie sehen, dass religiöse Themen und Standpunkte da weniger wichtig sind. Die Veranstaltungen der Jugend – wie übrigens auch der Erwachsenenorganisationen – sind immer offen für alle Menschen. Wichtiger als die religiöse Überzeugung eines Teilnehmers ist die Begegnung, die möglichen Gemeinsamkeiten, gemeinsames Tun, der Mensch.

Natürlich ist unsere Haltung anderen Überzeugungen gegenüber geprägt durch ein kritisches Hinterfragen derselben, aber bei einer Freizeit für Kinder und Jugendliche steht das nicht im Vordergrund. Da geht es um gemeinsame Freizeitgestaltung, kreativ und selbstbestimmt mit viel viel Spaß am Zusammensein: nicht „interreligiös“ sondern zwischenmenschlich. Eine prägende Erfahrung für alle.

Danke, das klärt für mich zumindest einiges. Nun noch eine letzte Frage: Die Freireligiösen in Bayern haben sich schon vor langer Zeit für den Schritt in die Umbenennung „Bund für Geistesfreiheit“ entschieden und ebenso hat sich vor wenigen Jahren – nach einem mehrjährigen internen Diskussionsprozess – die „Freireligiöse Gemeinde Württemberg“ in „Die Humanisten Württemberg“ umbenannt und ist schließlich vor kurzem – nach der Erweiterung als „Die Humanisten Baden-Württemberg“ Landesverband des Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) geworden. Das hat auch nach außen die historische Entwicklung und die internen Diskussion deutlich werden lassen. Warum ‚verharren’ die übrigen Freireligiösen Gemeinden auf ihrer Traditionsbezeichnung aus dem 19. Jahrhundert?

Wer sagt denn, dass wir „verharren“? (Ha,ha) Im Ernst. Wir haben an uns selbst als Religionsgemeinschaft von Anfang an den Anspruch gestellt unsere Weltanschauung immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und neuen Erkenntnissen anzupassen. Das macht, wie man an den von Ihnen genannten Beispielen sieht, vor dem Namen nicht Halt.

Im BFGD (Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschland) ist es im Augenblick aber eher so, dass man nach vielen Jahren, in denen die Namensdiskussion eine große und unschöne Rolle gespielt und auch zu Abspaltungen geführt hat, keine Lust mehr auf diese Debatte hat. Ob wir uns freireligiös oder freigeistig, oder freireligiös-humanistisch oder wie auch immer nennen, das bringt uns weder Mitglieder, noch bringt es uns inhaltliche Impulse.

Eine andere Sache ist es, sich, wie die Württemberger, einem anderen Verband anzuschließen – oder geschluckt zu werden? - So ein Zusammenschluss kann sinnvoll sein. Aber man muss auch genau hinsehen, welche Interessen dabei eine Rolle spielen, und sich dann entscheiden, ob man das will.

Wir haben uns vor vielen Jahren mit der Mitgliedschaft im DFW (Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften) für einen anderen Weg entschieden: nicht Aufgehen in einen anderen Verband, sondern Zusammenschluss gleichberechtigter Verbände und Zusammenarbeit auf allen Ebenen, auf denen sich Synergien nutzen lassen. Bisher sind wir damit sehr gut gefahren. Es hat sich da eine überaus loyale und fruchtbare Zusammenarbeit entwickelt, die getragen ist von einem offenen und vertrauensvollen Dialog. Das werden wir auf keinen Fall aufgeben. – Warum wird eigentlich der HVD nicht Mitglied im Dachverband?

Danke für das Interview

Die Fragen stellte Carsten Frerk