"Lügt er?" - Inselpastor im Dritten Reich

HIDDENSEE. (hpd) Bei meinem letzten Besuch wurde ich im Gerhart-Hauptmann-Haus auf dieses Buch aufmerksam. Aber zunächst waren mir 29,80 Euro dafür zu teuer. Nachdem ich allerdings mit einer Frau in der Kirche im Dorf Kloster ins Gespräch kam und sie sofort bei dem Namen Owe Gustavs meinte: »Der lügt«, war meine Neugier geweckt.

Immerhin ist Owe Gustavs der Enkel jenes Pastors, der jahrelang auf Hiddensee gewirkt hatte. Der Enkel hatte beim Sortieren des umfangreichen Nachlasses erschrocken festgestellt, dass sein Großvater mit den Nationalsozialisten und dem NS-Staat sympathisiert hatte. Wie war das möglich?

Owe Gustavs sortierte die vielen Schriftstücke des Großvaters (tagebuchartige Aufzeichnungen, Kirchenchroniken, Briefe etc.), ließ sich stenografierte Predigten „übersetzen“, sichtete danach die damalige evangelische Presse, wie z.B. die Blätter „Evangelisches Gemeindeblatt für Stralsund“, „Bote für die Pommersche Frauenhilfe (BPF)“ und „Rügensches Kirchenblatt“ etc. und hat damit eine sehr umfangreiche Materialsammlung angelegt. Dazu gehört auch der Schriftwechsel mit dem Gemeindekirchenrat, der dem Autor Owe Gustavs zuerst keinen Einblick in das Hiddenseer Pfarrarchiv gestatten wollte, da ja, wie er abwehrend meinte, „... schließlich schon alles über Hiddensee geschrieben wurde“.

Im ersten Teil des Buches werden die Quellen aus dem Nachlass von A. Gustavs sowie aus kirchlichen und staatlichen Archiven vorgestellt, die die ursprünglich positive Haltung des Pastors und der Pommerschen Kirche zum Nationalsozialismus und auch die Haltung zum Ersten Weltkrieg und zur Weimarer Republik deutlich werden lassen. Im zweiten Teil finden sich Dokumente u. a. zu den Themenkomplexen „Auslanddeutschtum und evangelische Kirche“, „Protestantische Sendung“, „Der osteuropäische Raum“, „Kolonialismus“, „Rassenhygiene“, „Tapferkeit, Heldentum“ etc.

Hier einige mir bemerkenswert erscheinende Zitate: (Alle Textstellen, die mich beeindruckt haben – in jeder Hinsicht – hier zu erwähnen, würde allerdings den Rahmen sprengen.)

"Es ist die übereinstimmende Überzeugung aller Kriegsprediger, daß Gott durch den Krieg bestimmte Erziehungsabsichten verfolgt, und daß auch das furchtbare Übel des Krieges in Gottes Hand zum Mittel einer erziehenden Weisheit wird, also zum Segen für die, welche die erzieherische Absicht Gottes verstehen und auf sich wirken lassen", so Pfarrer Franz Köhler, 1915, S. 36. (Anmerkung: Man beachte das Wort Kriegsprediger!)

"Es zeigte sich wieder einmal die Wahrheit des Sprüchwortes: 'Not lehrt beten'", A. Gustavs am 5.8.1914 über den gutbesuchten Gottesdienst, Vermerk in der Kirchenchronik 1916, (im Buch S. 33).

"Der Krieg und seine Not hat unserem deutschen Volke die Bedeutung und den Wert des christlichen Glaubens wieder recht deutlich gemacht. Und mancher, der sonst wenig davon hielt, hat ihn wieder schätzen gelernt", so äußert sich das "Vorpommersches Kirchenblatt" im April 1915, ( im Buch S. 32).

Theologen sahen ganz offenbar im „’Aufbruch des August 1914’ eine einmalige, ja letzte Chance einer Bekehrung zum christlichen Glauben“.

Ganz ohne Widerstand und Murren seitens der Bevölkerung ging es aber nicht. Pastoren wurden während und nach dem Krieg als Kriegshetzer betitelt, da sie ja den Krieg gerechtfertigt, gesegnet und geheiligt hatten. Beim Eintreiben der Kirchensteuern in Vitte – damals wurde die Kirchensteuer ja noch nicht vom Staat eingezogen – wurde gemurrt und gefragt: „Wo dat Geld bliwt“.

Nach dem ersten Weltkrieg, vor allem nach dem Ende der Monarchie und in der Zeit der „Führerlosigkeit“ fühlte man sich bedroht:

„Unsere evangelische Kirche steht heute im ständigen Kampf nach drei Seiten. Angreifer sind: die Freidenker, die bis in die kleinsten Dörfer hinein ihre Flugschriften und Agenten schicken. Daneben sind es Sekten, welche die Zeit ausnützen, um gerade angeregte Christen für sich zu gewinnen. Schließlich ist die römisch-katholische Kirche im Stillen ständig an der Arbeit, gerade in rein evangelischen Gegenden, Gemeinden zu sammeln und Konvertiten zu gewinnen ...“ Zitat aus »Rügenscher Hausfreund«, dem christlichen Familienblatt, 1931 (im Buch auf S. 49).

„In Zeiten äußeren Druckes sowohl als auch in Zeiten übersättigter Kultur schaut man sehnsuchtsvoll nach einem Erlöser aus ... Der Druck von außen durch Not und Einengung ist in unserem Volke ganz gewiß heute so stark, daß der Schrei nach Erlösung eine Selbstverständlichkeit ist, und es fehlt in manchen Schichten unseres Volkes auch nicht an kultureller Übersättigung. Man schaut aus nach einem Mann, der uns aus dem politischen und wirtschaftlichen Elend heraushilft; man blickt umher nach religiösen Werten, welche die Le(e)re der Seele auszufüllen vermögen“ (A. Gustavs, 1932, S. 57).

Mit Beginn der 30er Jahre widmeten sich die leitenden Kirchenbehörden verstärkt dem Kampf gegen die Freidenker, die u. a. für weltliche Schulen, kostenlose kommunale Feuerbestattungen und Austritt aus der Kirche Propaganda machten.

„Das ist sicherlich unser fester Glaube, daß das Wort das Schwert des Geistes bleibt, mit dem wir alle Angriffe überwinden, die von Rom und Moskau auf unsere evangelische Kirche eindringen. Über die Wucht und den Ernst dieser Angriffe dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben“, so formulierte Arnold Gustavs 1931 (S. 51).

Allerdings: „Es ist gottlob auf Hiddensee mit der Sittlichkeit im großen und ganzen ganz gut bestellt. Die Hiddenseer sehen das Treiben der Städter – was übrigens auf Hiddensee nicht so arg schlimm ist – es erscheint ihnen als städtische Torheit, die sie ablehnen.   Natürlich bleibt trotzdem die Gefahr bestehen, die im Badeleben liegt. Besonders Gefahr bringend sind nicht die Badegäste, als vielmehr die Saisonangestellten, welche oft zweifelhafter Herkunft sind. Die Hausväter versprachen, mit dem Pastor zusammen wachen zu wollen über den Seelen der Gemeinde“. (Kirchenvisitation, 1929, im Buch S. 52).

Auch zum Wahlrecht, das Frauen bekanntlich nach dem 1. Weltkrieg bekamen, findet sich ein interessanter Beitrag:

„Das evangelische Konsistorium der Provinz Pommern hatte sich aus ernster Sorge um die Zukunft und den Bestand ‚unserer evangelischen Landeskirche’“ veranlasst gesehen, am 4.1.1919 in einem Schreiben an die ihr unterstellten Geistlichen „angesichts der nahe bevorstehenden Wahlen zur deutschen und preußischen Nationalversammlung in letzter Stunde noch einmal zur eifrigen Werbearbeit aufzufordern“.  Bei dieser Werbearbeit handelte es sich „ganz besonders um die Beeinflussung der Frauenwelt“.

Da heißt es dann weiter: „Von ganz besonderem Werte wird es ferner sein, daß an den nächsten Sonntagen in den Predigten auf die Bedeutung der Wahlen für die Entwicklung des Reiches Gottes auf Erden hingewiesen und um deswillen die Beteiligung an der Wahl auch der gläubigen Gemeinde zur Pflicht gemacht wird“. Weiter heißt es dann: „... es ist dahin zu streben, daß die Stimmen nur für Kandidaten derjenigen Parteien abgegeben werden, deren Vorstände sich zur Vertretung der kirchlichen Interessen und zur Erhaltung des Religionsunterrichtes in den Schulen grundsätzlich verpflichtet haben.“ (Quelle: Ev. Kons. Pomm., Tgb.1, Nr.2, 4.1.1919; im Buch S. 45f.).

Zum Frauenbild gehörte nicht nur, dass „der Mann des Hauses Haupt und die Frau des Hauses Herz sei, die Kinder wie Ölzweige um den Tisch herum ...“ (BPF 1934, im Buch S. 349) sondern auch „Jede Evangelische Frau gehört in die Kampftruppe Adolf Hitlers ...“ (BPF1934, im Buch S. 376).

„Bisher waren wir, ohne es zu wissen und zu wollen, vielleicht Ohnehin-Christen. Aber Gott wollte, daß wir tiefe Christen würden. Deshalb kann er nicht alle heißen Wünsche erfüllen! Deshalb forderte er uns dieses Opfer ab“. So die Aussagen zweier Frauen, deren Söhne im Krieg gefallen waren. (BPF 1940, im Buch S. 375).

Zur Rassenhygiene äußerte man sich in Kirchenkreisen durchaus auch so: „Der deutsche christliche Staat könne nur Bestand haben auf der Grundlage der deutschen christlichen Familie. Für sie habe die Evangelische Frauenhilfe von jeher gekämpft, indem sie in den schweren Nachkriegsjahren, als christlicher Geist um seine Existenzberechtigung kämpfte und deutsches Volkstum vom Bolschewismus untergraben wurde, das kostbare Erbgut des Volkes geschützt habe.“ (BPF 1934, im Buch S. 394)

„7. Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen Gottes Gesetz ist. Daher ist der Rassenvermischung entgegen zu treten. Die deutsche äußere Mission ruft auf Grund ihrer Erfahrung dem deutschen Volke seit langem zu: ‚Halte deine Rasse rein’ und sagt uns, daß der Christusglaube die Rasse nicht zerstört, sondern vertieft und heiligt“. So der Text in „Glaubensbewegung deutsche Christen – 10 Richtlinien: Wofür kämpfen wir deutsche Christen“ (EDR 1.1.1933, S. 63).

„Jüdisches Volk ist also stets Ghetto. Außerhalb des Ghettos ist es Gift, Gegenstand und Ferment der Zersetzung.“ (AEK – Auslanddeutschtum und evangelische Kirche 1934, 37, im Buch S. 420).

„Die Kirche ist verpflichtet, die Erscheinungen des Geburtenrückganges und die Gefahren der rassischen und konfessionellen Mischehen in die kirchliche Verkündigung mit einzubeziehen“. (ebenda, S. 420).