WIEN. (hpd) Der Skandal um die "Bürgerinitiative" "One of us" lenkt die Aufmerksamkeit auf das Instrument der direkten Demokratie, dessen sich radikale Abtreibungsgegner bedient haben. Die so genannte Europäische Bürgerinitiative ist ein Verfahren, das gelinde gesagt höchst anfällig für Missbrauch ist.
Sie soll den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich aktiv in die Politik der EU einzubringen: Die Europäische Bürgerinitiative. Die EU-Kommission macht es ihnen denkbar einfach. Eine Million (Online-)Unterschriften aus sieben Mitgliedsländern und man ist dabei. Klingt simpel und unbürokratisch.
Das ist es auch. Zu simpel und unbürokratisch. Eine Million Unterschriften – das sind etwa 2,6 Promille der Wahlberechtigten innerhalb der EU. Zum Vergleich: In Österreich muss ein Promille der Wohnbevölkerung einen Antrag auf ein Volksbegehren unterstützen, damit das Volksbegehren überhaupt eine Eintragungswoche bekommt. Umgelegt auf die Wahlberechtigten wären das etwa 1,25 Promille. In einem zweiten Schritt müssten 100.000 weitere unterschreiben, damit das Anliegen im Nationalrat behandelt wird. Das sind etwa 1,5 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung. Eine sechsmal höhere Hürde als EU-weit vorgesehen.
Lächerlich niedriges Quorum
Dieses lächerlich niedrige Quorum ist eine Einladung an gesellschaftliche Randgruppen, die EU-Politik beeinflussen zu wollen. So geschehen mit der "Bürgerinitiative" "One of us", die nicht mehr oder weniger ist als Frontorganisation für radikale Abtreibungsgegner aus ganz Europa.
Man muss nur straff organisiert sein und über eine Handvoll überzeugter Anhänger verfügen und schon funktioniert’s. Eine Million Unterschriften ist schnell gesammelt und schon muss sich die EU-Kommission mit den Anliegen befassen. Eine Anhörung vor dem EU-Parlament verschafft zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit. Eine Randgruppe kann sich als Mainstream präsentieren.
Man kann diskutieren, ob etwa die österreichische Hürde zu hoch ist. Die Ansicht ist legitim, auch wenn man sie nicht teilt. Für eine EU-weite Initiative sollte man zumindest eine Hürde von einem Prozent der Wahlberechtigten nehmen müssen. Das ist nicht unüberwindbar. Es stellt nur sicher, dass die Anliegen ein Mindestmaß an Verankerung in der Gesellschaft haben.
Man braucht nur die Führerscheinnummer des Nachbarn
Erschwerend kommt dazu, dass diese Unterschriften auch online gesammelt werden können. Niemand muss zu einem Amt gehen. Das mag als Erleichterung gedacht sein. Und lädt geradezu zum Missbrauch ein. Wer die Führerscheinnummer des Nachbarn hat (und mitunter braucht man nicht einmal das), kann jederzeit für ihn unterschreiben. Ob der will oder nicht. Die Behörden werden nur überprüfen, ob der angebliche Unterstützer das Mindestalter erreicht hat und Staatsbürger eines EU-Landes ist. Ob der auch selbst unterschrieben hat – wie soll das überprüft werden?
In manchen Mitgliedstaaten ist nicht einmal vorgesehen, dass ein Unterschriftswilliger seine vollständige Adresse angibt. Man darf offenbar schon froh sein, dass überhaupt noch nach dem Namen der Unterstützer gefragt wird.
Man kann an einem österreichischen Volksbegehren sicher einiges kritisieren. Nur, dort muss man am Gemeindeamt oder vor einem Notar unterschreiben und vorher einen Ausweis vorlegen. Das stellt sicher, dass nur der unterschreibt, der unterschreiben will. Man kann nicht für Dritte unterschreiben, die vielleicht gar nichts wissen von ihrem Glück.
Bei der Europäischen Bürgerinitiative kann niemand ausschließen, dass auf diese Weise manipuliert wird. Das ist nahezu Anstiftung zum Missbrauch.
Offenlegung der Finanzen? Fehlanzeige
Nicht besser wird es mit den Finanzierungsregeln. Die Betreiber einer Europäischen Bürgerinitiative müssen nur angeben, welche Finanzierungszusagen von mehr als 500 Euro sie bei der Registrierung haben. Was nachher zugesagt wird, muss offenbar nicht mehr öffentlich angegeben werden.
Es ist gut möglich, dass "One of us" bei der Registrierung vor eineinhalb Jahren nur eine verbindliche Zusage von 50.000 Euro von der Fondazione Vita Nova hatte. Mehr musste die "Bürgerinitiative" in dem Fall auch nicht angeben. Nur, dass es erheblich mehr Geldmittel geben würde, konnte man sich damals schon ausrechnen. Hinter "One of us" stehen der rechte Flügel der CDU/CSU und nicht gerade arme christliche Lobbyorganisationen wie das "European Center for Law and Justice" sowie katholische Anti-Abtreibungsinitiativen.
Nur, wenn man nicht verpflichtet ist, spätere Finanzierungszusagen anzugeben – warum tun? Dass "One of us" zu irgendeinem Zeitpunkt illegal gehandelt hätte, sei an dieser Stelle ausdrücklich nicht gesagt. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.
Nur so viel sei gesagt: Die 50.000 Euro Anschubfinanzierung können nicht lange gereicht haben. Dass "One of us" allem Anschein nach die weitere Finanzierung nicht offen legen muss, ist ein Problem der Richtlinien. Nicht das der Organisation, die gerne und allem Anschein nach reichlich von den überdimensionierten Schlupflöchern Gebrauch gemacht hat.
Ist das die Demokratie, die man will?
Mit Transparenz hat das nichts zu tun. Das ist eine Einladung zum Schummeln – vor allem für kleine, straff geführte Organisationen mit vollen Kriegskassen. Das mag rechtlich in Ordnung sein. Demokratiepolitisch ist es mehr als fragwürdig.
Mit der "Europäischen Bürgerinitiative" hat die EU fanatisierten Randgruppen ein Instrument in die Hand gegeben, das ihnen zahlreiche Möglichkeiten bietet, die EU-Politik mitzubestimmen. Es ist fraglich, ob das die Bürgerbeteiligung ist, die man fördern wollte. Und ob das das Zusammenleben in einer Gesellschaft fördert, die ihre Konflikte nach demokratischen und transparenten Spielregeln austragen will.
Christoph Baumgarten
Notizen aus Wien ist die monatliche Kolumne unseres Österreich-Korrespondenten.