ERLANGEN. (hpd) Warum hat der Penis die Form, die er hat? Auf diese Frage geben Evolutionspsychologen eine faszinierende Antwort: Der Krieg der Spermien hat ihn geformt. Allerdings stört dabei ein anatomisches Detail: die Vorhaut.
Eine mindestens ebenso faszinierende Theorie erklärt dieses Detail besser: Frauen haben die Form des Penis durch sexuelle Selektion perfektioniert.
Krieg der Spermien
Jesse Bering und Gordon Gallup sind sicher: Der Penis wurde im Krieg der Spermien über Jahrmillionen in seine Form geschmiedet. Die Idee dahinter geht davon aus, dass im Laufe der Evolution die Konkurrenz der Männer auch nach der Kopulation im Vaginaltrakt der Frau weiterging.
Wenn eine Frau Sex mit mehreren Männern hatte, kommt es zum Krieg der Spermien. Der Eichelkranz wirkt durch seine Form wie ein Saugkolben, der das Sperma anderer Männer wieder heraus befördert. Diese Saugwirkung wird allerdings erheblich gehemmt durch ein anatomisches Detail: die Vorhaut. Denn sie staut sich bei der Rückwärtsbewegung hinter dem Eichelkranz auf und puffert die Ausschabung ab. Auf die Frage nach der Vorhaut gibt Jesse Bering eine bemerkenswerte Antwort: "Einige Wissenschaftler haben dafür argumentiert, dass wir mit dem Aufkommen der kulturellen Innovation, dem Ritual der Beschneidung so etwas wie den perfekten Penis geschaffen haben [we kind of created the perfect penis]. Der Grund dafür ist natürlich: Je ausgeprägter dieser Eichelkranz ist, desto mehr Sperma kann er tatsächlich nach außen befördern."
Auch Gordon Gallup antwortet auf die Frage nach der Vorhaut ähnlich: "Ich vermute, dass die Vorhaut der Eichel Schutz bietet, und was Sie sehen, ist das Ergebnis eines statistischen Kompromisses."
In dieser Antwort drückt sich also ebenfalls die Vorstellung aus, dass ein wirklich perfekter Penis keine Vorhaut hätte. (Dazu muss noch angemerkt werden, dass Gallup seine Theorie mit Sexspielzeug getestet hat, und Dildos haben meist keine Vorhaut.)
Die Theorie der Spermienkonkurrenz ist in letzter Zeit unter Druck geraten. Obwohl Robin Baker und Mark Bellis ihre Theorie bereits in den 1990er Jahren veröffentlicht haben, konnten bis heute beim Menschen keine Kamikaze- oder Killerspermien nachgewiesen werden. Anscheinend aber ist die Geschichte zu gut, um beim breiten Publikum an der mangelnden Beweislage zu scheitern.
Trotzdem spricht einiges dafür, dass auch Menschen eine polygame Spezies sind, etwa die im Primatenvergleich größeren Hoden. Viele Spezies mit Spermienkonkurrenz entwickeln Penisse mit Schaufeln, Schabern, Saugern oder Geißeln, daher ist auch der Saugmechanismus durch den Eichelkranz durchaus plausibel. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass der Penis ohne Vorhaut nicht das Ergebnis natürlicher Auslese, sondern eine sehr junge kulturelle Erfindung ist. Nach wie vor wird jeder Mann mit einer Vorhaut geboren. Das deutet darauf hin, dass das Entfernen von fremdem Sperma nicht die einzige Funktion ist, die ein "perfekter" Penis erfüllen muss.
Sexuelle Selektion durch Frauen
Und es gibt zumindest eine weitere Funktion, die ein Penis – bzw. ein Mann – offensichtlich erfüllen muss, vielleicht zu offensichtlich, um direkt in den Sinn zu kommen: Er muss zunächst einmal überhaupt Zugang zu einer Frau erhalten. Die Frau muss bereit sein, mehrmals mit ihm zu kopulieren. Dann wird schnell klar: Form und Anatomie des Penis sind vor allem das Ergebnis weiblicher Wahl.
Geoffrey Miller beschreibt in The Mating Mind (Die Sexuelle Evolution) die Evolution des Penis als Instrument zur Erzeugung weiblicher Lust. Die Werbung der Männer und die Wahl der Frauen endeten nicht mit der Kopulation, sondern diese sei die zentrale und entscheidende Prüfung der gesamten Bewerbung. Penis und Klitoris haben sich demnach in einer Art Runaway-Wettrüsten der Lust gegenseitig geformt. Die Klitoris dient dabei als Messinstrument für die erotischen Fähigkeiten des Mannes (und nicht zur Festigung der Paarbindung, wie zum Beispiel Desmond Morris vermutet). Das erklärt, warum Frauen nicht leicht und mit jedem Partner zum Orgasmus kommen. Nur wenn "alles stimmt", wenn der Mann physisch, psychologisch und erotisch überzeugt, kommt es zum weiblichen Orgasmus und zu weiterem Sex – und dadurch zu einer sehr viel größeren Empfängniswahrscheinlichkeit.
Ein Argument gegen (weibliche) Genitalverstümmelung?
Miller ist der Meinung, dass diese Theorie der sexuellen Selektion auch ein mächtiges wissenschaftliches Argument darstelle gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Er sieht darin die Vernichtung der weiblichen Fähigkeit zur sexuellen Auswahl.
Ich verstehe nicht recht, warum er das für ein solch mächtiges Argument hält. Denn genau diese Vernichtung ist wohl auch das Ziel der weiblichen Genitalverstümmelung. Frauen können ihre evolutionäre "Aufgabe" der sexuellen Selektion nur als relativ freie Menschen erfüllen. Sie müssen in der Lage sein, ihre Partner frei auszuwählen, und sie müssen sie zurückweisen und sich neuen Partnern zuwenden können. Die Theorie der female choice, der sexuellen Selektion durch die Frau, setzt eine solche erotische Freiheit über lange Zeiträume in der Entwicklung der Spezies voraus. Auch die martialische Theorie der Spermienkonkurrenz setzt voraus, dass Frauen oft mit mehreren Männern hintereinander kopulierten, allerdings muss das nicht freiwillig geschehen sein.
Patriarchale Kulturen haben immer nach Mitteln und Wegen gesucht, um Frauen daran zu hindern, diese evolutionäre Aufgabe auszuüben. Die Genitalverstümmelung ist dafür eine sehr effektive Maßnahme.
Sexuelle Selektion der Vorhaut
Welchen Sinn könnte die Vorhaut im Lichte der Theorie der sexuellen Selektion gehabt haben? Eine ausführliche Antwort geben Kristen und Jeffrey O’Hara. (Achtung, Beispiele aus Pornos, daher die übliche Warnung: Not safe for work!) Hier nur soviel: Die Vorhaut begünstigt den weiblichen Orgasmus, und die meisten in ihrer Studie befragten Frauen bevorzugen Sex mit einem natürlichen Penis. Der Mechanismus, der im Krieg der Spermien durch Beschneidung so erfolgreich ist, wird bei der erotischen Werbung um die Gunst der Frau zum Handicap: Nicht nur fremde Spermien werden durch den ausgeprägteren Eichelkranz effektiver nach außen befördert, sondern die gesamte Feuchtigkeit. Zwischen Krieg und Erotik kommt es zum Zielkonflikt.
Die Vorteile im Spermienkrieg reichen kaum aus, um zu erklären, warum auch bei Männern (bzw. männlichen Kindern) eine riskante Operation ritualisiert wurde, die obendrein auch noch ein erotisches Handicap darstellt. Denn niemand behauptet ja ernsthaft, dass diese Vorteile intendiert wären; sie sind höchstens unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Die tatsächlichen Motive müssen andere sein.
Es werden wohl die gleichen Motive sein, die auch zur weiblichen Genitalverstümmelung führten: Die Ausschaltung der weiblichen Wahl. Sobald Sex zu einer streng reglementierten und generell verbotenen Aktivität wird, sobald Frauen ihre Partner nicht mehr frei auswählen dürfen, kommt es zum Konflikt zwischen dieser Kultur und den einzelnen Menschen, die erotischen Sex wollen. Um dieses Bedürfnis zu unterbinden bzw. zu frustrieren, werden genau die Körperteile entfernt, die für die sexuelle Auswahl wesentlich sind, und die allererst durch sie entstanden sind.
In freien Wahlen über Jahrmillionen haben weibliche Wähler den natürlichen Penis immer weiter perfektioniert. Die patriarchalen Kulturen haben diese freien Wahlen abgeschafft und stattdessen eine Diktatur über die Frauen und über den Sex installiert. Die Zwangsbeschneidung gehört als effektives Mittel dazu. Die männliche Zwangsbeschneidung bietet als Nebenwirkung überdies den Vorteil im Spermienkrieg. Ironischerweise ist aber dieser Vorteil umso weniger erforderlich, je effektiver andere kulturelle Maßnahmen die Freiheit der Frauen eingeschränkt haben.
Bering und Gallup sind stark beeinflusst vom Beschneidungsdiskurs ihrer Cutting Culture. Bering hat sich schon öfter als glühender Verfechter der Zwangsbeschneidung gezeigt. Zu dieser Cutting Culture gehört auch, dass die meisten Frauen, die nur den beschnittenen Penis kennen, die Vorhaut ablehnen. Ganz egal aber, was Evolutionspsychologen und Frauen heute über Vorhäute sagen; viele Milliarden Frauen in Millionen von Generationen haben durch sexuelle Selektion entschieden, dass die Vorhaut zu einem perfekten Penis gehört.
Harald Stücker
Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autoren.