"Wie auf einer Probebühne durchspielen..."

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Helge Nynke, Foto: © Evelin Frerk

(hpd) Als Zeichner des "Ferkelbuches" erregte er große öffentliche Aufmerksamkeit. Nun hat Helge Nyncke erneut ein Kinderbuch vorgelegt, das sich kritisch mit religiösen Regeln auseinandersetzt. Schon der Titel dürfte nicht überall auf Gegenliebe stoßen: "Ich darf das!".

Der hpd sprach mit ihm über sein neues Buch, die Ermutigung von Kindern und die notwendige Diskussion über den multireligiösen Regelwettbewerb.

hpd: Ist im öffentlichen Bewusstsein neben dem "Ferkelbuch" noch Platz für ein weiteres religionskritisches Kinderbuch? 

Helge Nyncke: Na ja, manchmal frage ich mich eher, ob es denn überhaupt schon ein nennenswertes öffentliches Bewusstsein zu diesem Themenkomplex gibt. Gerade Ereignisse wie die schrittweise Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in ausgewählten hessischen Schulen oder das unsägliche Eilgesetz zur Abschaffung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Kindern im Falle religiös motivierter Beschneidung zeigen doch, wie viel Aufklärungsarbeit hier dringend noch zu leisten ist. Und da ist ein weiteres humanistisch-kritisches Kinderbuch sicher ein wichtiger Baustein.

Was ist diesmal anders?

Anders ist vor allem die Handlungsebene: Das Ferkelbuch ist ja eine fast klassische Reisefantasiegeschichte, die über einen äußeren Weg (durch für Kinder zumindest in dieser Reihung einigermaßen exotische Stationen) eine innere Entwicklung beschreibt, also letztlich das Unterwegs-Sein zu sich selbst, hier speziell zu der Frage: Wie halte ich’s mit Gott? In "Ich darf das!" ist die Bewegung anders herum: Die Fragestellung, hier etwas zugespitzt auf den Umgang mit religiösen Regeln, drängt sich quasi auf in einer für Kinder völlig alltäglichen Situation, die sie immer wieder in ihrem sozialen Kontext erleben. Es ist also ein ganz nachvollziehbares und wiedererkennbares Szenario (eine multikulturelle Spielsituation / Geburtstagsfeier), das einfach nach praktischen Konfliktlösungen verlangt.

Welche Zielgruppe hattest du im Auge?

Am liebsten natürlich alle Kinder im Bilderbuchalter und ihre vorlesenden Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher! Ich denke, es gibt in unseren breit gemischten Kindergärten und Schulen doch reichlichen Bedarf an Antworten auf Fragen, die jedem Kind im alltäglichen Umgang mit Kindern anderer kultureller und religiöser Prägung in den Sinn kommen.

Aber meistens scheuen sich die Erwachsenen vor klaren Stellungnahmen oder gar offenen Diskussionen und ziehen eine watteweiche Toleranzgesinnung gegenüber allem, was sich selbst als heilig bezeichnet, vor. Wenn nunmehr neben den christlichen vielerorts auch noch die islamischen und eventuell auch die jüdischen Feiertage in Kita und Schule freudig mitgefeiert und einschränkende Regeln eher als folkloristische Bereicherung begrüßt werden, braucht es unbedingt auch diese andere Perspektive – für alle Kinder, die neugierig sind auf Antworten, die sich keinen Spaß verderben lassen wollen und ebenso für diejenigen Erwachsenen, die nicht länger religiöse Handlangerdienste ausüben wollen.

Im "Ferkelbuch" standen Igel & Ferkel den religiösen Menschen gegenüber. Diesmal sind alle Protagonisten Tiere. Warum?

Zum Einen haben einige bitterböse Reaktionen auf das Ferkelbuch gezeigt, dass Menschenfiguren bei aller Sorgfalt in der Ausgestaltung immer Anlass zu Missverständnissen oder Projektionen geben können. Dem kann man natürlich aus dem Wege gehen, indem man das Personal wie in der Fabel ganz auf die Tierebene verschiebt. Außerdem ergibt sich dadurch einfach ein gleichberechtigteres Miteinander der Figuren, deren Umgang hier ja ausdrücklich nicht auf Konfrontation angelegt ist, sondern darauf, wie alle am besten gut miteinander auskommen können.

Das "Ferkelbuch" hat damals eine Debatte über die religiöse Indoktrination von Kindern ausgelöst. Rechnest du damit, dass es diesmal wieder gelingt?

Ich denke, nicht zuletzt durch die oben erwähnten Ereignisse ist die inhaltliche Spannung bei diesem Thema eher noch gewachsen, allerdings nicht unbedingt die öffentliche Auseinandersetzungsbereitschaft. Daraus könnte entweder ein Abwehrreflex folgen, mit dem solche Auseinandersetzungen unterbunden oder zumindest diskreditiert werden sollen, ähnlich dem damaligen Indizierungsantrag gegen das Ferkelbuch. Das würde Anlass zu einer öffentlichen Diskussion und Aufmerksamkeit bieten. Oder die Abwehrstrategie geht in Richtung wegducken und totschweigen. Damit wäre das Buch schwerer bekannt zu machen. Allerdings ist natürlich auch ein positiver Effekt denkbar, indem sich interessierte Verbände oder prominente Personen öffentlich für die Förderung der Diskussion am Beispiel dieses Buches einsetzen würden. Das wäre natürlich bei weitem die sympathischste Lösung.

Im Buch ist die Geschichte so aufgebaut, dass die Kinder sich der Frage nach Gott alleine annehmen und selbst Konsequenzen ziehen. Ist das in dieser Altersgruppe realistisch?

Das ist etwa genau so realistisch wie dass Tiere sprechen können. Es geht ja in solch einer Geschichte gar nicht in erster Linie um eine dokumentarische Realitätsbeschreibung oder Rezepte zur Alltagsbewältigung, sondern um die fantasievolle Bearbeitung einer Problemsituation. Das ist genau die Ebene, in der Kinder (und natürlich ebenso poetisch und fantasiebegabte Erwachsene) den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen lernen und wie auf einer Probebühne durchspielen können, so wie es tagtäglich in unser aller innerem "Kopfkino" geschieht.

Was wir davon wie im Alltag durchsetzen können, kommt immer sehr auf die konkreten Umstände an. Wichtig ist mir, den Kindern früh genug dieses Fenster der Möglichkeiten vorzuführen, selbst Fragen zu stellen und auch den eigenen Antworten zu trauen, ohne dabei stets die mögliche Intervention der Eltern oder anderer Erwachsener in vorauseilender Selbstzensur vorweg zu nehmen. Dieses bewusste Umgehen der Eltern-Ebene ist quasi ein Freiraum, den ich öffnen will, um Platz zu schaffen für die Entwicklung eigenständiger Fragen und Gedanken der Kinder. Hier kann ein Stück von dem Selbstvertrauen wachsen, das man dann braucht, wenn es zu einer Diskussion mit anderen Kindern oder Erwachsenen kommt.

Wäre es dann nicht nötig, ein Lernbuch für Erwachsene "Meine Kinder dürfen das" gleich mitanzubieten?

Ach nein, man muss doch nicht alles vorkauen. Die Art der direkten Fragestellung unter bewusster Umgehung der sonst allseitig zuständigen Institutionen ist doch Anstoß genug für Diskussionen und eigene Überlegungen, wie man angemessen mit solchen Situationen umgehen könnte. Wer dabei nichts dazu lernt, der käme auch mit einem Eltern-Lernbuch keinen Schritt weiter.

Ich denke, mein Appell für mehr Eigenständigkeit und weniger Obrigkeits- oder auch Mainstreamgefolgschaft im alltäglichen Umgang mit religiösen Regeln bietet eine breite Plattform für ein sehr konstruktives Miteinander auf rein humanistischer Grundlage. Wer das erst einmal begriffen und freudig akzeptiert hat (und dazu ermuntert ja dieses Buch), der braucht kein zusätzliches Buch darüber, nach welchen Regeln man Regeln abschafft.

Vom "Ferkelbuch" gibt es auf YouTube den Videoclip einer Lesung von dir und Michael-Schmidt-Salomon. Steht das für "Ich darf das" auch an?

Ja, wir haben die Premieren-Lesung von "Ich darf das!" im Rahmen der diesjährigen Frankfurter GegenBuchMasse-Veranstaltungen aufgezeichnet und eine Zusammenfassung wird in Kürze ins Netz gestellt. Wer den ganzen Text live und mit allen 13 Sprechstimmen vorgetragen erleben will, kann mich sehr gerne über den Verlag für weitere Lesungen anfragen und buchen, ebenso wie für Diskussionen zum Thema. Und ich finde, jeder, der das gerne tun will, der darf das!

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.