Gleiche Arbeitnehmerrechte auch in den Kirchen

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Rolf Schwanitz, Foto: © Evelin Frerk

LEIPZIG. (hpd) Der Leipziger Bundesparteitag der SPD vom 14. bis 16. November 2013 kannte medial eigentlich nur ein Thema: die noch offenen Verhandlungen und das ausstehende Mitgliedervotum zu einer großen Koalition. Dabei ist der Öffentlichkeit fast völlig entgangen, dass dieser Parteitag auch zu einem anderen, wichtigen Thema neue Maßstäbe gesetzt hat.

von Rolf Schwanitz

Nach den in Leipzig gefassten Beschlüssen bekennt sich ein SPD-Parteitag nun endlich wieder zu gleichen Arbeitnehmerrechten auch in den Kirchen und fordert für dortige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Tarif- und Streikrecht sowie die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. 

Dieser Beschluss, den die Parteitagsdelegierten nach streitiger Debatte gegen den Wunsch des sozialdemokratischen Establishments fassten, ist ein wichtiger Teilerfolg und der vorläufige Höhepunkt eines längeren weltanschaulichen Emanzipationsprozesses innerhalb der SPD. Eigentlich ist die SPD bereits seit 1959 keine ideologische Partei mehr, sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die aus verschiedenen Glaubens- und Denkrichtungen kommen (Godesberger Programm). Die Einseitigkeit oder gar Dominanz weltanschaulicher Prägung und daraus erwachsender Politik liegt dieser Partei also eigentlich fern. Und obwohl sich die Sozialdemokraten bereits in ihrem Berliner Programm von 1989 dazu bekannten, dass allgemein geltende Arbeitnehmerrechte auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein müssen, fand in den Jahren danach eine allmähliche und meist stille Revision dieser Forderungen statt.

Obwohl Deutschland nach 1990 weltanschaulich immer vielfältiger wurde und der Anteil der konfessionsfreien Bürgerinnen und Bürger von 22 auf 38 Prozent (2011) angewachsen war, orientierte sich die SPD-Programmatik hingegen immer stärker an den Interessen der beiden christlichen Kirchen. Die Entwicklungen verliefen also durchaus gegenläufig – die Bevölkerung wurde weltanschaulich immer pluraler, während sich die entsprechenden programmatischen Aussagen der SPD zugleich immer einseitiger ausrichteten. Wesentlicher Grund dafür war sicherlich auch die verstärkte kirchliche Lobbyarbeit innerhalb der SPD.

Vorläufiger Tiefpunkt dieser Entwicklung war das Hamburger Programm der SPD aus dem Jahre 2007. Dort wurde nicht nur die Forderung nach allgemein geltenden Arbeitnehmerrechten auch in kirchlichen Einrichtungen ersatzlos aus dem Programm gestrichen. Die SPD übernahm darüber hinaus sogar die von den Kirchen überhöhte Interpretation des „Böckenförde-Diktums“ in ihr Programm und sprach dort (anders als im Godesberger Programm von 1959) nicht mehr von einer notwendigen Toleranz gegenüber dem „Andersglauben und Andersdenken“, sondern nur noch von einer „Toleranz in Fragen des Glaubens“.

Vielen Mitgliederinnen und Mitgliedern der traditionsreichen, auch und gerade in der Aufklärung und im Humanismus verwurzelten Sozialdemokratie wird dieser Veränderungsprozess kaum bewusst gewesen sein. Nur so erklärt sich, dass vor sechs Jahren der Hamburger Parteitag diese Revision des Berliner Grundsatzprogrammes ohne Aussprache beschließen konnte. Natürlich musste die SPD aber in dieser programmatischen Einseitigkeit immer stärker in Konflikt zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und vor allem in Konflikt zu ihrem Anspruch als politische Interessenvertreterin der Arbeitnehmerschaft geraten. Schließlich arbeiten in Deutschland mittlerweile rund 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im kirchlichen Bereich, ohne dass ihnen die gleichen Rechte auf Koalitionsfreiheit, Streikrecht, Mitbestimmung und Diskriminierungsschutz gewährt werden. In manchen Regionen unseres Landes sind die Kirchen und ihre Sozialverbände sogar die größten Arbeitgeber überhaupt, wodurch die Schlechterstellung der dortigen Arbeitnehmer quasi zum allgemein vorherrschenden Zustand wird. Die SPD durfte und konnte deshalb ihre politischen Ziele nicht länger einseitig an den kirchlichen Arbeitgebern ausrichten.

Innerhalb der SPD haben die laizistischen SozialdemokratInnen seit 2010 für das Ziel gleicher Arbeitnehmerrechte auch in kirchlichen Einrichtungen gekämpft. Dies war und ist eine der Kernforderungen, für die sich die über tausend SPD-LaizistInnen in den Landesverbänden und auf der Bundesebene der Sozialdemokratie stark machen. Im April 2011 brachte die LINKS-Fraktion einen entsprechenden Antrag in den Bundestag ein. Einen besonderen und zusätzlichen Push hat das Thema ohne Zweifel insbesondere durch das Engagement der Gewerkschaft VERDI und auch durch die GerDiA-Kampagne des IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) und der Giordano-Bruno-Stiftung sowie durch die Beträge weiterer humanistischer Organisationen erhalten.

Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion wurde ein Positionspapier zu den Arbeitnehmerrechten in kirchlichen Einrichtungen erarbeitet, welches die Grundlage für einen Beschluss des zweiten Parteikonvents der SPD im November 2012 bildete. Dieser Konventsbeschluss benennt die arbeitsrechtlichen Benachteiligungen und die Missstände bei kirchlichen Arbeitgebern klar und eindeutig. Er betont zwar ein angeblich existierendes (in der Sache aber strittiges) und vom Grundgesetz geschütztes Recht der Kirchen, die überbetrieblichen Arbeitsbedingungen selbst gestalten zu dürfen, verweist jedoch (richtigerweise) darauf, dass diese Kirchenautonomie nach Grundgesetz nur innerhalb der Schranken der allgemein geltenden Gesetze garantiert ist. Da das kirchliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht seine Schranken in den Grundrechten (der Arbeitnehmer) findet, muss - so der Konventsbeschluss weiter - das Tarif- und Streikrecht auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei kirchlichen Arbeitgebern gewährt werden.

Der Beschluss des zweiten Parteikonvents ist zwar insoweit schwammig und inkonsequent, als er bei den Schranken der Kirchenautonomie nur auf Grundrechte und nicht – wie es die Verfassung selbst formuliert – auf die allgemein geltenden Gesetze abstellt. Auch führen die Defizite bei der Mitbestimmung und beim Diskriminierungsschutz zu keinen Positionen geschweige denn Forderungen. Das klare und unmissverständliche Bekenntnis des Konvents zum Tarif- und Streikrecht der Arbeitnehmer in den Kirchen war aber ein klarer Fortschritt.

Der nun im November in Leipzig gefasste Parteitagsbeschluss entwickelt diese Position abermals – und zwar an entscheidender Stelle – weiter. Der Beschluss wiederholt den Text des Konventsbeschlusses aus 2012 und ergänzt ihn durch folgende Feststellung: „Gute Arbeit ist immer auch mitbestimmte Arbeit. Auch für die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen muss das Betriebsverfassungsgesetz gelten.“ Darüber hinaus fordert der Parteitag die Bundesregierung und die Abgeordneten nun auch auf, die Ausnahmeregelung für die Kirchen im Betriebsverfassungsgesetz zu streichen. Die Sonderbestimmungen des „Dritten Weges“ sollen insoweit aufgehoben werden. Damit begrenzt die SPD ihre Forderungen nun nicht mehr nur auf das Tarif- und Streikrecht, sondern bezieht auch das volle Mitbestimmungsrecht mit in den Forderungskatalog ein.

Natürlich ist ein solcher Beschluss noch kein Gesetz und auch keine Veränderung der Wirklichkeit am Arbeitsplatz. Der Anfang für die Veränderung der Wirklichkeit ist aber innerhalb der SPD gemacht. Gerade der weite, steinige und mit Rückschlägen verbundene Weg bis hierher macht Mut für unser weiteres Engagement in der Zukunft.

Rolf Schwanitz

Die Beschlüsse im Einzelnen:

Tarifliche Gleichstellung für kirchliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Gleiche Rechte für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der BRD

Arbeitnehmerrechte in kirchlichen Einrichtungen