(hpd) Wir können im Überfluss schwelgen, wenn wir intelligent verschwenden. Michael Braungart und William McDonough, die Begründer des "Cradle to Cradle" Konzepts, haben nachgelegt und stellen in "Intelligente Verschwendung" das Prinzip des "Upcycling" vor: Alles wird so produziert, dass es nach seiner Verwendung die Welt befruchtet, gar verbessert, im biologischen wie im technischen Bereich.
Was wäre, wenn eine Türklinke nicht Bakterien, sondern Substanzen abgeben würde, die die Gesundheit fördern? Wenn ein Haus die Umwelt besser macht, wenn das Wasser aus einer Fabrik sauberer abfließt als es hineinfloss? Wenn man T-Shirts und die Bezüge von Autositzen prinzipiell essen und Shampoo trinken könnte? Wenn Fernseher nach 10.000 Stunden zurückgenommen würden und man sich von der Firma ein neues Gerät sozusagen least. Die Rohstoffe werden dankend neu verwendet für weitere Produkte, ohne jeglichen Qualitätsverlust.
Solche und weitere Projekte werden zunehmend umgesetzt, in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Städten, Ländern, Institutionen oder Privatleuten. Da sie während seiner Amtszeit im Weißen Haus ein Projekt zur Reduzierung des Energieverbrauchs realisierten, schrieb der ehemalige US-Präsident Bill Clinton das Vorwort zu „Intelligente Verschwendung“, das erst vor kurzem auf Deutsch erschien. Brad Pitt ließ sich von dem Professor für Chemie, Michael Braungart, und dem Architekten Will McDonough beraten, als er nach dem Hurrikan Katrina das Siedlungs-Projekt "Make it Right" ins Leben rief. Bei sämtlichen Schritten von der Planung bis zur Errichtung der Gesunden Häuser wurden die "Cradle to Cradle"-Prinzipien angewendet: Häuser, die die Gesundheit ihrer Bewohner aufgrund der verwendeten Materialien fördern und durch die Konstruktion die Nebenkosten extrem niedrig halten.
Außergewöhnliche Lösungen
Aber auch von Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung von "Cradle to Cradle" aufkommen können, und wie sie damit umgehen, berichten die Autoren. Meist sind es Menschen, die sich gegen Veränderungen wehren. Bestechend ist ihre Bereitschaft, auf jeden Menschen zuzugehen und nach Lösungen zu suchen, Lösungen, die auch außergewöhnlich sein können. Lösungen, die stets die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen und daher nicht unbedingt verallgemeinerbar sind.
Besonders bei Unternehmen gewinnt letztlich der ökonomische Vorteil, den die Umstellung auf "Cradle to Cradle" bringt. Umweltauflagen müssen nicht mehr erfüllt werden, da die Produkte nicht (mehr) giftig sind. Die Energie ist immer da, giftig sind Substanzen nur, wenn sie sich am falschen Ort befinden. Und so wird bei der Analyse von Produktionsprozessen jeder Zulieferer auch bei der Herstellung seiner Produkte beraten. Bis alles frei von Giften ist. Zulieferer, die nicht mitspielen wollen, werden gewechselt.
Wir haben, so die Autoren, kein Energieproblem, ebenso wenig ein Umweltproblem. Die Energie ist immer da, wie im allgegenwärtigen Kernreaktor Sonne oder im Wind oder im Wasser. Abwasser kann sogar von Gemeinden aufbereitet und zu einer Einnahmequelle werden, indem daraus Düngemittel gewonnen werden: Aus Kohlendioxid wird Düngemittel für Algen, die wiederum als Futter für Barsche dienen können – sofern das Kohlendioxid nicht mehr in die Luft oder ins Wasser, sondern in die Erde geleitet wird. Auch von mehrstöckigen unterirdischen Gewächshäusern ist die Rede, deren LED-Beleuchtung zum Beispiel von Windenergie gespeist wird, die oberhalb der Gewächshäuser gewonnen werden kann.
Reine Rohstoffe verbessern die Umwelt
Das Buch präsentiert eine fantastische Idee nach der anderen – alle scheinen umsetzbar, viele von ihnen sind gar bereits realisiert worden. Und zwar in unglaublich vielen Bereichen, von der Lösung eines Problems mit Tiger-Wilderern in Indien bis zum nachhaltigen High-Tech-Gebäude für die NASA. Der grundlegend andere Ansatz ist einfach wie wirkungsvoll: Statt wie bisher technische Produkte in die biologische Sphäre zu überführen, wo sie als Abfall die Luft, die Erde und das Wasser kontaminieren, werden technische Produkte von vorneherein auf ihre Wiederverwendbarkeit hin designt und konstruiert. Und das ohne Qualitätseinbuße, wenn möglich sogar so, dass sie die Umwelt verbessern und die Rohstoffe rein bleiben. Die biologischen Produkte werden problemlos abgebaut und befruchten die Erde, indem sie etwa kompostiert werden können. Es gibt keinen Abfall, nur noch Nährstoffe.
Bei der Entwicklung von Produkten – seien es Häuser, Kinderwagen oder Bezugsstoffe – werden zunächst die Werte festgelegt, nicht etwa, wie sonst üblich, das Budget. Werte beim Bau einer Raumstation können beispielsweise sein, eine Umgebung zu schaffen, die das menschliche wie auch das planetarische Wohlergehen befördert. Danach werden in Gruppen die Prinzipien festgelegt, etwa sich der Verantwortung für die Konsequenzen bewusst zu sein, die die Entwürfe auf das menschliche Wohlergehen, die Funktionsfähigkeit natürlicher Systeme und deren Recht auf Koexistenz haben. Darauf folgen Ziele, Strategien, Taktiken und Maßstäbe der Effektivität. Heraus kommt eine NASA-Raumstation, die den Angestellten erlaubt, ein Fenster zu öffnen, wenn sie Vogelgesang hören möchten, und dabei die Zeit- und Budgetvorgaben erfüllte. Abgesehen davon, dass ein System von Lamellenfenstern nachts den Wind durch das Gebäude wehen lässt, um es für den nächsten Tag zu kühlen (es steht in Kalifornien), die Sonne zur Energiegewinnung genutzt wird und die Toiletten zur Spülung Regen- und Brauchwasser aus Dusche und Waschbecken verwenden.
Wir können unsere Welt retten
In sieben Kapiteln stellen die beiden Autoren unterschiedlichste Projekte vor, von denen jedes fasziniert. Es ist viel mehr möglich, als man denkt. Unglaubliche Projekte wurden bereits realisiert, weitere sind in Planung, von der Schmetterlingszucht in einem pharmazeutischen Labor in Barcelona bis zu Peking, dessen Bevölkerung sich in den nächsten 50 Jahren verdoppeln, dabei aber 25 Prozent weniger Energie als jetzt verbrauchen soll. Das Buch gibt Hoffnung, dass die Welt, unsere Welt noch zu retten ist, und jeder kann einen Teil dazu beitragen.
Maxie Weber
Michael Braungart, William McDonough: Intelligente Verschwendung: The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft. Oekom (1. Oktober 2013), 208 Seiten, 17,95 Euro, ISBN-13: 978-3865813169