Hass macht blöd

(hpd) Andreas Altmann war in Palästina und in Israel, um zu verstehen. Er sprach mit vielen Menschen, Frauen und Männern, die unterschiedliche Perspektiven haben, mit Religionsvertretern, Soldaten, Taxifahrern, Widerständlern, palästinensischen und israelischen Kämpfern für die Freiheit Palästinas, Studentinnen, Barbetreibern und Hoteliers. Er kommt den Menschen teilweise sehr nah. Sie werden greifbar, so wie er.

“Verdammtes Land: Eine Reise durch Palästina” ist ein Reisebericht. Den überwiegenden Teil der Zeit hält sich der Autor in Palästina auf, gerät mitunter in gefährliche, oftmals in abstruse Situationen und die meisten seiner Gesprächspartner sind Palästinenser. Er gibt ihnen eine Stimme. Andreas Altmann wollte ein paar seiner Stationen geplant besichtigen und erleben, die meisten Ereignisse und Gespräche mit Menschen ergaben sich jedoch einfach. Das Ergebnis ist sehr persönlich, ohne den Anspruch auf Objektivität, aber mit Hintergrundwissen und Fachkenntnis verfasst.

Was er schreibt, wird manche stören, andere werden zustimmend nicken, verstörend ist es meist. Ich muss dauernd lachen über seine genialen Wortschöpfungen und unerwartete Gedankenwendungen, bin manchmal zu Tränen gerührt, mal geht das Herz auf. Er will, so schreibt er, nichts als Geschichten erzählen, weiß, dass er nicht die Antwort finden wird. Und doch beantworten er und die Menschen, mit denen er spricht, viele Fragen, die ich mir vorher gar nicht gestellt hatte.

Er stellt zu Beginn klar, dass in seinem Buch mit keiner Zeile das Existenzrecht Israels diskutiert wird. “Israel existiert und das ist gut so. Und in keiner Zeile wird darüber nachgedacht, ob man Israel kritisieren darf. Natürlich darf man, nein, soll man, nein, muss man: ohne gleich als ‘Antisemit’ – der penetrante Standardvorwurf – geschändet zu werden. Auch ein Holocaust schützt ein Volk nicht davor, sich in schreckliche Irrtümer zu verrennen.” (S. 15) Jeder Mensch hat das Recht auf ein annehmbares Leben, so Altmanns Prämisse.

Doch religiöser Irrsinn, Hass und Gier machen es unmöglich, in Palästina ein annehmbares Leben zu führen. 1993 und 1995 erkennen sich Israel und Palästina in den Oslo-Verträgen zum ersten Mal an, schreibt Altmann. Zu diesem Zeitpunkt hatte Palästina bereits viel Land an Israel verloren, mit den Verträgen erhalten sie im eigenen Land für drei (!) Prozent des Westjordanlands autonome Regierungskompetenzen, in einen Viertel teilen sie sich die Verwaltung mit Israel, die anderen 70 Prozent werden allein von den Israelis kontrolliert. Auf den Punkt gebracht, “stiehlt ein Staat, Israel, einem Volk, den Palästinensern, sein Land.” (S. 59)

Religion ist für Altmann die Ursache vieler Übel und verhindert auch bei den Palästinensern die freie Entfaltung der Frau. Eltern sind oftmals enttäuscht, wenn sie keinen Jungen bekommen, Sexualität ist eine verkniffene Angelegenheit. Von einem winzigen Balkon im “Kloster der Versuchung”, in dem “der Steinbrocken aller Steinbrocken” steht, wo Jesus saß, als er vom Teufel versucht wurde, wirft der Reisende einen phantastischen Blick auf Jericho: “Schon verständlich, dass man in einer solchen Umgebung den Verstand verliert und von Himmelsherrschern und Höllenfürsten deliriert. Doch wie rätselhaft: Sogar bei Sicht auf eine so berauschende Welt träumen Abermillionen vom Jenseits. Was für ein undankbarer Haufen.” (S. 123f.)

Der (jüdische) Siedler Ehud erzählt dem Reisenden, das israelische Volk sei auserkoren und Hitler sei von Gott gesandt worden, um die Juden zu bestrafen. Schließlich hätten die Juden in den Hunderten von Jahren vor Auschwitz gesündigt, indem sie ihren Glauben verwässerten, die Gebote lax handhabten, Nicht-Juden heirateten, die Beschneidung ablehnten und den Sabbat ignorierten. Nun habe Gott Zahltag und schenke den Juden Groß-Israel als Wiedergutmachung für die sechs Millionen. (S. 163) So denken viele Juden, auch junge Männer, normale Zeitgenossen.

Schwer religiöse jüdische Siedler besetzen einfach Teile Palästinas und bauen dort Ortschaften, die sie mit neun Meter hohen Mauern schützen. Diese Mauern sind bereits jetzt neunhundert Kilometer lang – 2005 so von der Knesset beschlossen. Im Gegensatz zu den Israelis, von denen einige realisiert haben, wie die Situation in Palästina tatsächlich aussieht, die meisten jedoch nicht, berichtet Altmann nicht vom Hass der Palästinenser auf Israel, sondern von Verzweiflung, Stolz, Mut, Hoffnung, dem Versuch, in Würde zu leben und den Beschränkungen ein Schnippchen zu schlagen. Das Problem, meint er, bestehe darin, “jene nicht zu hassen, deren Gegner man ist. Hass macht blöd. Damit kommt die Welt nicht vom Fleck”. (S. 121)

Wie gesagt, es gibt auch andere Israelis, wie jene, die mit Palästinensern für die Befreiung des Landes zusammenarbeiten oder Führungen und Busreisen organisieren, um Menschen zu informieren. Einer von ihnen, Avner, sagt, er liebe sein Land, aber ihm fiele die Liebe leichter, wenn alle Israelis gemeinsam für ein Nebeneinander von Juden und Arabern kämpfen würden. (S. 234)

Andreas Altmann gelingt es, sehr starke Eindrücke zu hinterlassen. Auf Beobachtungen banaler Details folgen Schilderungen brutaler Gewalt und der Blick in melancholische Augen. Er plädiert für die Öffnung des Herzens und gegen den Hass. Er sieht den Menschen, versucht, die Frauen und Männer zu verstehen, mit denen er spricht und vermag es, diesen Blick an den Leser weiterzugeben. Seine Sprache ist einfühlsam und fulminant, das heikle Thema Palästina/Israel geht er eindeutig an und ergreift Partei für die Menschenrechte, gegen Gewalt. Ein sehr empfehlenswertes Buch.

 


Andreas Altmann: Verdammtes Land: Eine Reise durch Palästina. Piper, März 2014, 304 Seiten. ISBN–10: 3492056245, 19,99 Euro


Ausschnitte aus dem Buch gibt es sowohl beim hpd als auch auf der Webseite der Giordano Bruno Stiftung. Ein Interview mit Andreas Altmann zum Buch hat der hpd ebenfalls veröffentlicht.