Notizen zu Nordkorea (6)

BERLIN. (hpd) Die Nachricht, dass Jang Song Thaek, ein angeheirateter Onkel Kim Jong Uns, seiner Ämter enthoben, verhaftet und hingerichtet wurde, war das das bestimmende Thema in der Berichterstattung über Nordkorea in diesem Monat. Spekulationen über die Hintergründe gehen in die unterschiedlichsten Richtungen.

Was aber sicher gesagt werden kann: In Pjöngjang tobt ein Machtkampf. In dieser Ausgabe sollen die vielen Informationen über den Sturz Jangs zusammengetragen und bewertet werden.

Nach südkoreanischen Geheimdienstinformationen hat sich die Anzahl öffentlicher Hinrichtungen in Nordkorea in diesem Jahr verglichen mit 2012 drastisch erhöht. Das Regime versucht offenbar mit einer Verstärkung der "Terrorherrschaft", abweichende Meinungen im Staat zu unterdrücken, und schafft damit eine Atmosphäre der Angst in allen Provinzen. 
Vorläufiger Höhepunkt einer sich anscheinend im Land vollziehenden Hinrichtungswelle ist die Exekution von Kim Jong Uns Onkel Jang Song Thaek. Da nordkoreanische Medien allerdings von einer ganzen Gruppe um Jang berichten, wird vermutet, dass dies lediglich der Auftakt zu einer groß angelegten Säuberungsaktion ist.

Jang Song Thaeks tiefer Fall

Jang war seit 1972 mit Kim Kyong Hui, einer Schwester Kim Jong Ils, verheiratet. Er besetzte hohe Positionen im Regime (eine ausführliche Beschreibung von Jangs Karriere bietet NK Leadership Watch) und war zuletzt unter anderem Vize-Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, dem wichtigsten Entscheidungsgremium des Landes.

Schon 2002, als er als Mitglied, aber nicht als offizieller Kopf einer nordkoreanischen Delegation Südkorea besuchte, hatten Beobachter ihn als den mächtigsten Mann der Gruppe wahrgenommen. Als sich Kim Jong Il 2008 von einem Schlaganfall erholen musste, soll Jang die Regierungsgeschäfte geführt haben. Nach dessen Tod im Dezember 2011 wurde er dem neuen Machthaber Kim Jong Un als Berater zur Seite gestellt, wobei seine Rolle von vielen als "Macht hinter dem Thron" bewertet wurde. 2012 reiste Jang nach China, wurde dort wie ein Staatsoberhaupt behandelt und traf sich mit den damaligen Staats- und Regierungschefs Hu Jintao und Wen Jiabao.

In beispielloser Offenheit hat Nordkorea nun erst von einer Sondersitzung des erweiterten Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der Partei der Arbeit Koreas (PdAK) berichtet, in der Jang am 8. Dezember aller Ämter enthoben und aus der Partei ausgeschlossen wurde, und vier Tage darauf vom Gerichtsprozess vor dem "speziellen Militärtribunal des Ministeriums für Staatssicherheit", in dem Jang nach nur einem Verhandlungstag zum Tode verurteilt wurde und direkt im Anschluss exekutiert worden sein soll.

Der zeitliche Ablauf und auch die Vorwürfe gegen Jang, den "beispiellosen dreimal verfluchten Verräter" und "menschlichen Abschaum", dürfen nicht unkritisch als glaubwürdig erachtet werden, doch lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die offizielle Version Nordkoreas zu werfen.

Jang: Gegner der Machtübergabe an Kim Jong Un?

Jang wird vorgeworfen, dass er die Machtübergabe an Kim Jong Un, die einstimmig den Willen des Volkes widerspiegeln würde, nicht unterstützt und sich diesem gegenüber respektlos verhalten habe. So habe er unter anderem nur halbherzig geklatscht, als Kim Jong Un als Vize-Vorsitzender der Zentralen Militärkommission gewählt wurde, während alle anderen in „enthusiastischen Jubel“ ausgebrochen seien.

Wenn der Führer (Mitte) applaudiert, müssen alle anderen es ihm gleichtun. Dachte Jang (links), dass er über diesem "Gesetz" stand? (Quelle: Korean Central Television)

Er habe, indem er ein falsches Bild von sich konstruierte, innerhalb der Partei seine Anhänger rekrutiert, die "schwach im Glauben" und "Schmeichler" waren. Die sogenannte "Jang-Gruppe" habe die Linie und Politik der Partei nicht akzeptiert, sondern vorsätzlich missachtet, verdreht und ostentativ nicht ernst genommen. Sie habe sich den Befehlen des Obersten Führers widersetzt und dafür Jang "Genossen Nummer 1" genannt – eine Bezeichnung, die ausschließlich für den gerade amtierenden Kim reserviert ist.

Jang habe sich im In- und Ausland als jemanden dargestellt, der über den Entscheidungen der Partei und mit den Kims auf Augenhöhe steht.

Faktionsbildung und Umsturzpläne

Nach dem Tode Kim Jong Ils im Dezember 2011 habe Jang gesehen, dass seine Zeit gekommen war. Er soll innerhalb der Arbeiterpartei eine eigene Faktion gebildet haben, deren Ziel es war, das Kim-Regime zu stürzen.

"Er unternahm große Anstrengungen, um alle Angelegenheiten des Staates unter seine Kontrolle zu bringen, erhöhte massiv die Zahl der Mitarbeiter in seiner Abteilung und den ihr unterstellten Organen und breitete seine Tentakel in Ministerien und nationalen Institutionen aus. Er verwandelte seine Abteilung in ein 'kleines Königreich', das unantastbar war."

Desweiteren habe Jang solche Personen in einflussreiche Positionen gebracht, die unter Kim Jong Il schon einmal in Ungnade gefallen und für schwere Vergehen bestraft worden waren. Namentlich werden in diesem Zusammenhang Ri Ryong Ha und Jang Su Gil aus der Administrativen Abteilung der PdAK, dessen Direktor Jang war, genannt. Beide sollen nach südkoreanischen Angaben bereits vor Wochen wegen Unterschlagung hingerichtet worden sein.

Aber nicht nur die Partei habe er unterwandert: "Jang war so unbesonnen in seiner Gier nach Macht, dass er seine Klauen selbst in die Volksarmee streckte, in der dämlichen Annahme, er würde einen Putsch mit der Unterstützung der Armee erfolgreich durchführen können."

Jang soll sich vor Gericht so geäußert haben: "Ich habe versucht, im Militär und im Volk Unzufriedenheit darüber auszulösen, dass das gegenwärtige Regime nur solche Maßnahmen ergreift, durch die die Wirtschaft des Landes und das Leben der Menschen in eine Katastrophe geführt werden. Der Genosse Oberster Führer ist das Ziel des Putsches."

Und weiter: "Ich wollte den Staatsstreich mithilfe von hochrangigen Armeeangehörigen durchführen, mit denen ich enge Beziehungen pflegte, oder die Teile der Streitkräfte nutzen, die von meinen Vertrauten kontrolliert wurden. Ich weiß nicht viel über kürzlich ernannte hochrangige Funktionäre im Militär, aber habe Verbindungen zu solchen, die schon länger im Amt sind. [...] Ich habe mir gedacht, dass sich die Armee dem Putsch anschließen würde, wenn sich die Lebensbedingungen für Armee und Volk in Zukunft weiter verschlechtern."

Schäden für die Wirtschaft

Die kürzlich entfernten konterrevolutionären Elemente hätten "die Politik der aufrichtigen Liebe zum Volk" der PdAK nicht unterstützt und damit die wirtschaftliche Entwicklung und die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung stark behindert.

So konnten Bauprojekte in Pjöngjang angeblich nicht erfolgreich durchgeführt werden, weil Jang qualifiziertes Personal zu seinen Vertrauten geschickt habe, die mit ihnen Geld verdient hätten. Zur persönlichen Bereicherung sollen diese auch beauftragt worden sein, willkürlich Kohle und andere wertvolle Rohstoffe billig an andere Länder verkauft zu haben. Hiermit ist sicherlich der Export von Rohstoffen nach China gemeint, mit dessen Konditionen Nordkorea schon lange sehr unzufrieden ist.

Damit habe es die "Jang-Gruppe" unmöglich gemacht, die Weisungen Kim Il Sungs und Kim Jong Ils umzusetzen, und gemäß der Juche-Ideologie (sprich "Dschutsche", die Staatsideologie Nordkoreas) die wirtschaftliche Selbstversorgung mit Juche-Eisen, Juche-Dünger und Juche-Vinalon (eine Kunstfaser, die nur in Nordkorea produziert wird) sicherzustellen.

Um Schulden, die aufgrund seiner Machenschaften entstanden, zu tilgen, habe Jang in der Sonderwirtschaftszone Rason Grundstücke für 50 Jahre an ein anderes Land verpachtet (auch das bezieht sich auf China). Ebenso soll er der Drahtzieher der Währungsreform von 2009 sein, die zu einer massiven Entwertung des Won führte. Damals wurde der damalige Direktor der Planungs- und Finanzabteilung des ZK der PdAK Pak Nam Gi als Sündenbock hingestellt und hingerichtet. "[Jang] träumte den abstrusen Traum [...], die Macht der Partei und des Staates an sich zu reißen, und brachte große Teile der Ökonomie unter seine Kontrolle, um das Kabinett auszuschalten." Explizit werden dabei Einrichtungen genannt, die für den Außenhandel und die Beschaffung von Devisen zuständig sind.

"Es war meine Intention [...] Ministerpräsident zu werden, wenn die Wirtschaft gänzlich bankrottgeht und der Staat kurz vor dem Zusammenbruch steht. Ich dachte, wenn ich das Problem des Lebensstandards der Bevölkerung in einem bestimmten Rahmen verbessere, indem ich enorme Mengen an Geld dafür aufwende, das ich als Ministerpräsident unter verschiedenen Namen angehäuft habe, dass Volk und Armee mich bejubeln werden und ich den Putsch ohne Probleme durchführen kann." Jang habe den "dümmlichen Traum" gehabt, dass nach seiner Machtergreifung sein "jämmerliches wahres Gesicht als 'Reformer'", wie er im Ausland bekannt sei, seiner "neuen Regierung" helfen würde, von anderen Nationen in kurzer Zeit "anerkannt" zu werden.

"Kapitalistischer" Lebensstil: "korrupt und degeneriert"

Desweiteren wird Jangs ausschweifender, kapitalistischer Lebensstil thematisiert. Er wurde beschuldigt "ideologisch krank" zu sein und diesen "Virus" in der nordkoreanischen Gesellschaft verbreitet zu haben. So habe er beispielsweise unangemessene Beziehungen zu mehreren Frauen gehabt, Drogen missbraucht, ausschweifende Dinnerpartys in Hinterzimmern luxuriöser Restaurants gefeiert sowie "pornographische Bilder" an seine Anhänger verteilt.

"Er führte ein lasterhaftes und verdorbenes Leben, verprasste Geld, wohin er auch ging. Er nahm mindestens 4.6 Mio. Euro aus seiner geheimen Kasse und verschwendete es komplett im Jahre 2009 und vergnügte sich in einem Kasino im Ausland."

Dass Jang ein sehr mächtiger Mann in Nordkorea war, sein eigenes Netzwerk an Getreuen hatte und über viel Geld verfügte, das er nicht zum Wohle des Volkes ausgab, ist sicherlich unbestritten. Nur ist er bestimmt nicht der einzige im Politbüro, dem man solche Vorwürfe machen kann. Eine Quelle aus Nordkorea sagt zu den Anschuldigungen bezüglich Jangs Lebensstils: "Alle Kader machen solche Sachen, also warum soll das jetzt plötzlich ein Problem sein?"

Offensichtlich ist es jetzt ein Problem: Es soll in diesem Jahr mehrere Skandale wegen pornographischer Aufnahmen gegeben haben und Menschen wegen der Verbreitung oder auch nur wegen des Besitzes von Erotikfilmen öffentlich hingerichtet worden sein. Ebenso soll der Konsum von Crystal Meth in Nordkorea weit verbreitet sein. Die detailreiche Auflistung der Verfehlungen Jangs ist ein klares Zeichen an die Bevölkerung.

Nordkorea: "Neben Kim Jong Un kennen wir niemanden"

Es ist offenkundig, dass diese öffentliche Säuberungsaktion ein deutliches Warnsignal gegenüber möglichen Abweichlern ist. In den Tagen nach der Veröffentlichung wurde der Schwerpunkt in den nordkoreanischen Medien auf die Loyalität zu den Kims gelegt. Es gibt sogar ein neues Lied mit dem Titel "Neben Ihnen kennen wir niemanden".

Die PdAK als die Partei des Führers könne ihre historische Mission nur erfüllen, wenn die absolute Einheit im Volk und in der Partei sichergestellt sei, die auf der monolithischen Idee von einer einheitlichen Führung beruhe. Das Zentrum der Partei sei Kim Jong Un. "Wie viel Wasser auch unter den Brücken durchfließen wird, wie oft eine Generation von der nächsten abgelöst wird, die Blutlinie des Paektu [d.h. die Kim-Familie] wird unverändert und unersetzbar bleiben."

In Reden wurden unisono die Vergehen Jangs aufs Schärfste kritisiert und es wurde der feste Wille ausgedrückt, der Führung von Kim Jong Un treu ergeben zu sein und hingebungsvoll das Zentralkomitee der Partei politisch und ideologisch und mit dem Leben zu verteidigen.

Tenor war die Prämisse: Egal wie bösartig eine kleine Handvoll von Gegnern der Partei und konterrevolutionären, faktionalen Elementen arbeiten mag, sie wird niemals den revolutionären Glauben der Parteimitglieder, der Soldaten und des Volk erschüttern können, die Kim Jong Un als einzigartiges Zentrum der Einheit und Führung in großen Ehren halten.

Jang hingegeben wird aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht. Wie das "Ministerium für Wahrheit" in Orwells Roman "1984" arbeiten die Propaganda-Abteilungen in Nordkorea nun eifrig daran, Jang aus Bildern und Filmen zu tilgen.

Jang Song Thaek wird aus dem öffentlichen Gedächtnis entfernt. Eine Suchanfrage auf der Homepage von Nordkoreas staatlicher Nachrichtenagentur KCNA zu seinem Namen am 8. Dezember 2013 spuckte nur noch einen Artikel aus. (Quelle: www.kcna.kp)

Selbst auf den Tüten eines Einkaufszentrum in Pjöngjang, das Jang Song Thaek gehört haben soll, wird jetzt mit Filzstift das Logo der Mall übermalt.

Mögliche Motive für den Sturz

Jang soll schon länger im Visier derjenigen gewesen sein, die nun für seinen Sturz gesorgt haben. Schon vor Wochen wurde darüber berichtet, dass sein Einfluss in Bezug auf wichtige Entscheidungen gestutzt worden sei. Auch war er in diesem Jahr verglichen mit 2012 viel seltener gemeinsam mit Kim Jong Un zu sehen.

Vor etwa zwei Monaten soll ein Vertrauter Jangs geflüchtet sein und sich Berichten zufolge in der Obhut südkoreanischer Behörden in China befinden. Dieser Mann soll Jangs Vermögen im Ausland verwaltet und auch detailliertes Wissen über das Vermögen der Kim-Familie haben. Er wird als der höchstrangige Flüchtling der letzten 15 Jahre angesehen.

Möglicherweise musste Jang für ihn nun den Kopf hinhalten. Vielleicht war die Flucht aber auch eine Reaktion auf den Sturz Jangs, der sicherlich nicht erst Anfang Dezember in der Führungselite bekannt war. Dass sich die Verhaftung Jangs erst Anfang Dezember ereignet hat, wie von Nordkorea behauptet und öffentlich inszeniert, darf bezweifelt werden.

Ebenso scheint sich die Behauptung, Jang würde Kims Autorität nicht respektieren, nicht zu bestätigen, da Kenji Fujimoto, der ehemalige Koch von Kim Jong Il, der schon vor Jahren als erster vorhergesagt hatte, dass Kim Jong Un seinen Vater beerben würde, berichtet, dass er bei einem gemeinsamen Abendessen mit dem Führungskreis vor einem Jahr ein entsprechendes Verhalten nicht beobachten konnte.

Auf der anderen Seite trat bei Jangs Auftritten im In- und Ausland sehr deutlich zutage, dass er sich für etwas Besonderes hielt. Sah Kim dadurch womöglich seine Autorität gefährdet?

Generationswechsel?

"Kim entmachtet seinen Onkel." Das war die erste Reaktion vieler Medien auf den Fall Jangs. Dabei ist längst nicht gesichert, dass tatsächlich Kim Jong Un derjenige war, der Jang gestürzt hat, denn es stellt sich die die Frage, ob Kim wirklich an Macht gewinnt, wenn er ein Familienmitglied schasst. Sollte er nicht eher davon ausgehen, dass ein Onkel ihm gegenüber loyaler ist als Menschen außerhalb der Familie? Wenn die Familie die Kontrolle über die Ökonomie des Landes inklusive der Zweige zur Devisenbeschaffung innegehabt hat, so wird auch Kim Jong Un davon profitieren. Und warum hätte Jang Kim entmachten wollen? Wenn er wirklich die Fäden im Hintergrund zog, wird er gewusst haben, dass man einen "reinen Kim" als Gallionsfigur benötigt.

Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass die nordkoreanische Propaganda tatsächlich auf einem wahren Kern beruht und Jang Song Thaek einen Umsturzversuch plante. Als Indiz mag gelten, dass durch die Veröffentlichung dieser Nachricht der Ruf der Kims als unfehlbare Herrscher beschädigt wird, wenn sie sich über Jahrzehnte von einer Person so heftig haben täuschen lassen. Somit könnte der Fall zu einer Schwächung Kims führen. Aber es erscheint unwahrscheinlich, dass entsprechende Absichten von jemandem, der so eng mit der Familie Kim verbunden war, so lange nicht bemerkt worden sind.

Möglicherweise hat Kim aber tatsächlich die Geduld verloren und sich vielleicht auch in seiner Ehre verletzt gefühlt, dass Jang im Ausland und möglicherweise auch im Inland als eigentlicher Regent angesehen wurde und sich als jemand darstellte, der sich Kim nicht in derselben Form unterordnen muss, die von anderen erwartet wird.

Der Sturz Jangs kann demnach auch als Signal Kims gewertet werden, dass Rivalen beseitigt werden – selbst wenn sie aus der eigenen Familie kommen. Seit seinem Amtsantritt wurde knapp die Hälfte der wichtigsten Beamten, Kader und Offiziere ausgewechselt und von den sieben Begleitern, die zusammen mit Kim Jong Un das Geleit für Kim Jong Ils Leichenwagen gegeben haben, wurden mittlerweile fünf beseitigt oder degradiert. Oft wird in diesem Zusammenhang von einem Generationswechsel gesprochen. So sollen inzwischen auch Kim Jong Uns Geschwister Jong Chul (Jahrgang 1981) und Yo Jong (Jahrgang 1987) im Hintergrund wichtige Positionen ausfüllen.

Offenbart Jangs Sturz die wahren Faktionskämpfe?

Durch die neuesten Ereignisse wurde von Nordkorea zugegeben, dass es Teile in der Führung gibt, die mit der Linie der Partei nicht einverstanden sind. Selbst wenn jetzt die große Einheit beschworen wird, wird deutlich, dass Nordkorea nicht das "monolithische System" ist, als das es sich selbst darstellt. So ist aus diplomatischen Kreisen die Einschätzung zu hören, dass die Exekution Jangs nicht zu einer Stärkung Kims führen werde, sondern sogar zeige, dass er im Machtkampf an den Rand gedrängt wurde. Es wird vermutet, dass die Hinrichtung mitnichten auf Kims Direktive zurückzuführen ist, sondern ihm vom Militär aufgezwungen wurde. Dass Kim Jong Un trotzdem als Führer und Alleinherrscher auftritt, muss nicht als Widerspruch gesehen werden, denn das nordkoreanische System mit seinem extremen Führerkult könnte ohne ihn nicht fortbestehen.

Nachdem in der letzten Zeit die Rolle der Partei betont wurde, scheint es nun so zu sein, dass das Militär seine Vormachtstellung unter Beweis stellen muss. Hier kommt möglicherweise Choe Ryong Hae, Vizemarschall der Koreanischen Volksarmee (KVA), zurzeit Leiter der Politischen Hauptverwaltung der KVA, Mitglied des Präsidiums des Politbüros des ZK der PdAK sowie Mitglied der Nationalen Verteidigungskommission, als Rivale von Jang ins Spiel: Je nach Lesart gelten Jang als Hardliner, Choe als Wirtschaftsfachmann; Jang als Reformer, Choe als konservativ. Es mehren sich Anzeichen dafür, dass Choe Ryong Hae zukünftig die Rolle der "Nummer 2" einnehmen wird. Seine hohen Posten im Militär sind jedoch nicht unumstritten, da er sein Berufsleben fast ausschließlich im zivilen Bereich verbracht hat.

Jang wurde, zumindest in den letzten Jahren, von vielen aber als (relativer) Reformer wahrgenommen – und so wird er auch von den Staatsmedien tituliert. Er stand nicht nur für ökonomische Reformen, sondern soll darüber hinaus eine ablehnende Haltung in Bezug auf Nuklearwaffentests eingenommen haben. Beides bietet eine Erklärung dafür, warum er in China gerne gesehen war. Sicherlich ist er mit dieser Haltung dem Militär auf die Füße getreten, das auch einen großen Teil der nordkoreanischen Wirtschaft kontrolliert.

Es wurde schon im letzten Jahr spekuliert, dass Nordkorea seine Landwirtschaft etwas liberalisieren möchte. Die Kolchosen können Berichten zufolge selbstständiger entscheiden und einen Teil der Ernte selbst auf dem Markt verkaufen. Ähnliche Reformen soll es auch in der Industrie geben. Gerüchte verlauteten, dass Jang seine Macht dazu genutzt habe, der Armee das Bergbaugeschäft zu entziehen. Möglicherweise ein Grund dafür, dass das Militär nun eindrucksvoll unter Beweis stellen musste, wer wirklich das Sagen im Land hat. Ob die Hinrichtung Jangs aber zur Stabilität des Systems beitragen wird, muss abgewartet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass nach dem Vorfall etwa siebzig seiner Vertrauten geflohen seien, darunter hochrangige Funktionäre, Diplomaten und Militärangehörige. Einer von ihnen soll kürzlich geheime militärische Dokumente an südkoreanische Behörden weitergegeben haben.

Folgen für das Volk

Die Bürger Nordkoreas mussten seit dem Sturz Jangs noch nicht unter besonderen Repressalien leiden. Für die Bevölkerung sehr einschneidend wären Einschränkungen des Handels, die aber nicht beobachtet werden konnten. Offenbar gehen die Behörden davon aus, dass entsprechende Maßnahmen, sofern sie mit der Verhaftung von Jang und seinen Anhängern in Verbindung gebracht würden, Unruhen in der Bevölkerung schüren könnten. Es wurde jedoch von einer massiven Aufstockung der Sicherheitsbeamten sowohl in Pjöngjang als auch auf dem Land berichtet, die sich zudem sehr angespannt verhielten. Andererseits sei aber die Elektrizitätsversorgung verbessert worden – damit die Bürger die Ereignisse um die Verhaftung Jangs in den Staatsmedien verfolgen können.

Sicherheitspersonal wird auch verstärkt an der Grenze zu China eingesetzt: Soldaten patrouillierten häufig am Ufer des Grenzflusses und hielten wesentlich länger Wache als gewöhnlich. Die Zeitspanne, in der Anwohner Wasser dem Yalu-Fluss entnehmen können, sei von 12 bis 16 Uhr festgelegt worden, aber es seien ständig Soldaten anwesend, so dass sich die Leute unbehaglich fühlten.

Schwächung der chinesisch-nordkoreanischen Beziehungen?

Kim (oder wer auch immer tatsächlich hinter den Ereignissen steht) soll seinem Land und der Welt gezeigt haben, dass nicht nur Jang als Person, sondern auch die Idee, für die er stand, beseitigt wurde. Jang stand möglicherweise eher für ein Nordkorea der vorsichtigen Öffnung. Er war für viele Sonderwirtschaftszonen im Land verantwortlich (die Verpachtung vom Hafen von Rason an ein chinesisches Unternehmen wird ihm ja ebenfalls vorgeworfen) und liebäugelte möglicherweise – ganz im Sinne Chinas – mit ökonomischen Reformen. Daher könnten die Beziehungen zwischen Nordkorea und China weiter gestört werden. China hatte schon den letzten Atombombentest Nordkoreas im Februar ungewöhnlich scharf kritisiert und in dessen Folge im UN-Sicherheitsrat für Sanktionen gegen den Verbündeten gestimmt.

Desweiteren galt Jang als "Pekings Mann in Pjöngjang." Peking beeilte sich zu erklären, dass die Hinrichtung Jangs eine "innere Angelegenheit" sei, in die man sich nicht einmische. Indirekt wird aber die Verstimmung sehr deutlich, wenn von chinesischen Staatsmedien berichtet wird, dass "die Mehrheit der Öffentlichkeit [in China] eine negative Einstellung bezüglich der jüngsten Ereignisse in Pjöngjang" habe.

Nordkorea bemühte sich zwar sofort klarzustellen, dass sich durch die Exekution Jangs nichts am wirtschaftlichen Kurs des Landes ändern und an den Plänen festgehalten werde, ausländische Investitionen in Sonderwirtschaftszonen zu fördern. Direkte Folgen wurden auch noch nicht bemerkt, selbst am Tag, als der Ausschluss Jangs aus der PdAK bekanntgemacht wurde, wurde mit China eine Vereinbarung über den Bau einer Eisenbahnstrecke von Kaesong nach Peking getroffen.

Es wurde hingegen berichtet, dass viele nordkoreanische Geschäftsleute im Nordosten Chinas nach der Nachricht, dass Jang verhaftet wurde, eilig nach Nordkorea zurückgekehrt sind. Möglicherweise wird nun genau geprüft, wer Kontakte zu Jang hatte.

Es wird sich zeigen, ob China als wichtigster Verbündeter Investitionen in Nordkorea weiter fördern wird. Schließlich wurde auch von nordkoreanischer Seite deutlich, dass man mit der chinesischen Investitionspolitik nicht einverstanden ist. Von Vertrauen ist das Verhältnis nicht geprägt.

Weitere Quellen:
Nordkoreanische Quellen (englisch): YouTube: Voice of Korea, KCNA, "Traitor Jang Song Thaek executed", Rodong Sinmun

Hinweis: Nordkorea hat nach den jüngsten Vorkommnissen mehr als 35.000 Artikel aus seinen Nachrichtenarchiven entfernt. Das betraf zunächst nur die Seiten, die auf nordkoreanischen Servern liegen (.kp), aber nicht diese, die in Japan (.jp) gehostet werden. Trotzdem kann es sein, dass die angegebenen Links demnächst nicht mehr erreichbar sein werden.

Südkoreanische Quellen (koreanisch): Chosun Ilbo, Chosun Ilbo

Deutschsprachige Quellen: Deutsche Welle, FAZ, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau, Welt

Englischsprachige Quellen: Daily NK, Korea Herald, Telegraph, Telegraph, Time, Washington Times

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