Weltliches Arbeitsrecht seit dem 1. Januar?

Das bedeutet natürlich auch, dass gewerbliche Betriebe – etwa die rechtlich unselbst­ständige Kloster­brauerei einer Ordens­gemeinschaft, die Körper­schaft des öffent­lichen Rechts ist – den ent­sprechenden Gesetzen unterliegen (VGH München: Entscheidung vom 13.09.1989 - 17 P 89 00759). Wenn etwa das Bistum Eichstätt die Aktien­mehr­heit eines großen Ingol­städter KFZ-Her­stellers über­nimmt, dann soll in den Fabriken dieses Unter­nehmens nicht das kirch­liche Mit­bestimmungs­recht zur An­wendung kommen. Es handelt sich in einem solchen Fall zwar eigen­tums­rechtlich, nicht aber arbeits­rechtlich um eine „kirch­liche Ein­richtung“.

Zugleich wird im Personal­vertretungs­gesetz auch die Erwartung des Staates wieder­gegeben, wonach die Religions­gemein­schaften ein eigenes Personal­vertretungs­recht schaffen sollen. Diese Erwartung ist für die Kirchen durch das Mit­arbeiter­vertretungs­gesetz (MVG, evangelisch) oder die diözesanen Mit­arbeiter­vertretungs­ordnungen (MAVO, katholisch) und die Bildung entsprechender Mit­arbeiter­vertretungen (MAV) erfüllt worden.

Loyalitätsanforderungen

Nachdem das Betriebs­verfassungs­gesetz und damit auch die Bestimmung des Art. 118 Abs. 1 für „Tendenz­betriebe“ für die Kirchen nicht galten, kam es zu Streitig­keiten darüber, ob die Kirchen denn ent­sprechende An­forde­rungen für ihre Beschäf­tigten stellen könnten.

Das Bundes­verfassungs­gericht hat dazu entschieden, dass es den Kirchen frei steht, sich auch der Privat­autonomie zu bedienen, um ein Arbeits­verhält­nis zu be­gründen und zu regeln. Auf dieses soll dann das staatliche Arbeits­recht Anwendung finden. Dabei sei es den verfassten Kirchen möglich, Maßstäbe für Grund­ver­pflich­tungen fest­zulegen, die auf das Arbeits­verhältnis ange­wendet werden können. Es bleibe „grund­sätzlich den ver­faßten Kirchen über­lassen, ver­bind­lich zu be­stimmen, was "die Glaub­würdig­keit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesent­lichen Grund­sätze der Glaubens­lehre und Sitten­lehre" sind und was als - gegebenen­falls schwerer - Verstoß gegen diese anzu­sehen ist.“ Ob ein Loyalitäts­verstoß eine Kündigung recht­fertigen würde, sei dagegen „nach den kündigungs­schutz­rechtlichen Vor­schriften des § 1 KSchG, § 626 BGB zu beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz im Sinne der Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeits­gericht­licher An­wendungen“.

Nicht jeder Dorfpfarrer kann also bestimmen, welche Loyalitäts­anforde­rungen von den Beschäf­tigten der Pfarrei ein­zu­halten sind. Und ob bei einem Verstoß eine Kündigung zu­lässig ist, sei – so zu­mindest das Bundes­verfassungs­gericht – in jedem Einzel­fall nach den Maß­stäben des für alle geltenden Gesetzes zu prüfen, zu denen inzwischen auch das All­gemeine Gleich­behandlungs­gesetz (AGG) getreten ist.

Arbeitsvertragsrecht und Ausschluss gewerkschaftlicher Beteiligung

Das Tarif­vertrags­gesetz (TVG) ist im Gegen­satz zum Betriebs­verfassungs­gesetz ein „für alle geltendes Gesetz“. Es nimmt die Kirchen nicht aus, ist aber für die Kirchen wie für jeden anderen Arbeit­geber auch nur ein Angebot. Danach können Tarif­verträge (nur) mit den Gewerk­schaften abge­schlossen werden.

Obwohl die 1938 geschaffene TO-A bzw. TO-B nur gegen den Wider­stand der Diözesen über­nommen worden waren, behielten nach 1945 die evangelische Kirche und in einem Akt der ökumenischen Solidarität auch die katholische Kirche dieses aufge­zwungene System bei. Arbeits­vertrag­liche Inhalte sollen nicht durch Tarif­verträge geregelt, sondern von Arbeits­recht­lichen Kommissionen beschlossen werden. Dadurch werden nach Meinung der kirch­lichen Arbeit­geber auch die Gewerk­schaften aus­geschlossen und zugleich die üblichen Regularien des Arbeits­kampf­rechts (Aus­sperrung und Streik) für den kirch­lichen Bereich sistiert. Im Konflikt­fall soll ein verbind­liches Ver­mittlungs­verfahren („Zwangs­schlichtung“) die Einigung in der Kommission ersetzen.

Die Beschlüsse der Kommissionen – in der Regel wird eine 2/3 Mehr­heit benötigt – oder des Schlichtungs­ver­fahrens werden vom jewei­ligen Diözesan­bischof als Kirchen­gesetz in Kraft gesetzt. Damit werden die diesem Bischof kirchen­recht­lich unter­stehen­den Ein­richtungen ver­pflich­tet, die so in Kraft gesetzten Rege­lungen in ihren Arbeits­ver­trägen zu­grunde zu legen. Es handelt sich somit um „Allgemeine Geschäfts­bedingungen“.

Kirchliche Arbeitsgerichte

Da der Staat die gerichtliche Über­prüfung dieser kirchen­eigenen Ordnungen ab­lehnt, haben die Kirchen eigene kirch­liche Arbeits­gerichte gebildet, die Rechts­streitig­keiten aus der An­wendung der entsprechenden Ordnungen entscheiden sollen.

Den katholischen Arbeitsgerichten fehlen zwei entscheidende Befugnisse:
einmal fehlt den Gerichten die Mög­lich­keit der Normen­kontrolle, da sie nur im Auftrag und Namen des Bischofs „Recht sprechen“. Sie sind also nicht befugt, darüber zu be­finden, ob der gesetz­gebende Bischof, in dessen Auf­trag sie tätig sind, gegen über­geord­netes Recht ver­stoßen hat, und dann fehlt die Mög­lich­keit der „Zwangs­voll­streckung“. Wenn die unter­legene Seite eine Ent­scheidung nicht befol­gen will, bleibt als schärfste Mög­lichkeit …. der Liebes­entzug.

Aus „gehalten“ wird „verpflichtet“

Auf all diesen Grund­lagen haben die deutschen Diözesan­bischöfe die bereits genannte Grund­ordnung (GrO) er­lassen und dabei die kirch­lichen Sonder­regelungen in einer gemein­samen Rechts­grund­lage zusammen­gefasst. Die GrO ist von den Bischöfen in jeder Diözese als kirchen­eigenes Gesetz in Kraft gesetzt worden. Sie gilt für alle Ein­richtungen, die den Bischöfen kirchen­rechtlich unter­stellt sind.

Problematisch ist aber die Geltung dieser Regelungen für die über­diözesan tätigen Gemein­schaften wie den Deutschen Caritas­verband, ins­besondere aber für die un­mittelbar dem Vatikan unter­stehenden Orden „päpst­lichen Rechts“. Diese Ordens­gemein­schaften unter­stehen in der Regel einem eigenen Ordens­bischof.

Unter Kirchen­rechtlern (Kanonikern) ist heftig um­stritten, ob die Gesetze der diözesanen Bischöfe auch für diese Orden gelten.

Die den Orden nahe stehenden Kanoniker meinen, der Diözesan­bischof habe gegen­über den Orden keiner­lei Recht­setzungs­befug­nis, ins­besondere aber nicht in Ver­mögens­ange­legen­heiten, zu denen die Frage der Ent­lohnung von Beschäf­tigten gehört. Die den Bischöfen nahe stehenden Kanoniker halten dem ent­gegen, der Ordens­bischof habe nur gegen­über den Ordens­mit­gliedern eine ent­sprechende Recht­setzungs­gewalt, nicht aber gegen­über den Laien, die dem Orden durch einen Arbeits­vertrag ver­bunden sind.

Daher hatten die Bischöfe in der ursprüng­lichen Fassung der GrO fest­gelegt, die den Bischöfen nicht unmittel­bar unter­stehen­den Ein­richtungen seien „gehalten“, die GrO zu über­nehmen. Wer das nicht tut – so war die Recht­sprechung der kirch­lichen Arbeits­gerichte – ent­zieht sich dem maß­geb­lichen Ein­fluss der Bischöfe und kann sich daher nicht auf die „Kirch­lich­keit“ seiner Ein­richtung berufen.

In einem Streit­fall hatte nun der unter­legene Arbeit­geber – das Kolping Werk Paderborn – die Ent­scheidung des obersten Kirchen­gerichts, der „Aposto­lischen Signatur“ in Rom zur Frage erbeten, ob dieser Arbeit­geber ver­pflich­tet sei, die GrO und damit das ent­sprechende kirch­liche „Tarif­recht“ zu über­nehmen. Ein für diesen Streit­fall gebil­detes „Sonder­gericht“ kam zur Ent­scheidung, dies sei auf­grund der Wort­wahl „sind gehalten“ nicht der Fall. „Sind gehalten“ bedeute nicht „sind ver­pflich­tet“.

Darauf haben die Bischöfe reagiert und aus dem „gehalten“ eine „Ver­pflich­tung“ gemacht. Wer bis 31.12.2013 die GrO nicht rechts­verbind­lich in seinen Statuten über­nommen hat, kann sich dem­nach arbeits­recht­lich nicht auf die Kirch­lich­keit seiner Ein­richtung berufen. Aus der Formulierung „bis spätestens 31.12.2013“ in der GrO ergibt sich, dass es sich um eine Aus­schluss­frist handelt.

Seit dem Jahres­wechsel gibt es nur noch entweder - oder und kein Hin und Her zwischen den Regelungen, d. h. keine katholische Ein­richtung kann ein bisschen schwanger sein, sondern muss entweder das welt­liche oder das katho­lische Arbeits­recht an­wenden.

Inzwischen sollen angeblich kirchliche Rechts­träger gegen diese Ver­pflich­tung erneut eine Ent­scheidung aus Rom ein­klagen. Deren Auf­fassung nach dürfe „katholisch“ nicht mit der Weigerung gleich­gesetzt werden, Tarif­verträge mit einer Gewerk­schaft abzu­schließen oder anzu­wenden (die kath. Sozial­lehre fordert das „Gewerk­schafts­prinzip“ - vgl. unter anderem die Enzyklika „DEUS CARITAS EST“ vom 25.12.2005, Rd.Nr. 27 m.w.N.).