Doch was ist mit dem Konsum von Marihuana, der Blasphemie, der Homosexualität, der Prostitution oder der Pornographie? Das Schadensprinzip hat auch hierauf eine eindeutige Antwort: Sie dürfen bestenfalls reguliert, nicht aber kriminalisiert werden!
Nehmen wir die Prostitution. Sofern sich eine Frau freiwillig dazu entscheidet, ihren Körper zu verkaufen, ist es allein ihre Angelegenheit. Niemandem entsteht hierdurch ein Schaden, der ein Eingreifen des Staates rechtfertigen würde. Vorausgesetzt, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich erfolgt, gibt es keinerlei Handlungsbedarf. Die Prostitution wird wie die Pornographie im Englischen daher bezeichnenderweise auch als “Victimless Crime”, also als “opferloses Verbrechen”, bezeichnet – und Verhaltensweisen, bei denen sich kein Opfer oder Geschädigter findet, dürfen nach dem Schadensprinzip nicht strafrechtlich verboten werden.
Manche mögen einwenden, dass eine Frau, die ihren Körper vermarktet, sei es durch Prostitution oder durch Pornographie, sich selbst schadet. Doch wie das Schadensprinzip ausdrücklich feststellt, ist der Staat nicht dazu da, die Bürger vor sich selbst zu schützen, sondern dazu da, sie vor Schaden durch andere zu schützen. Und dies gilt selbstverständlich auch für eine Vielzahl anderer Verhaltensweisen, mit denen der jeweils Handelnde sich selbst schädigen mag, ob nun durch den Konsum von Nikotin, Alkohol oder Marihuana.
Wie spätestens die so genannte “Prohibition” gezeigt hat, kann eine Kriminalisierung eines bestimmten Verhaltens nachweislich mehr Schaden anrichten als verhindern. Es war sicherlich gut gemeint, als der amerikanische Staat in den 1920er Jahren beschloss, den Konsum von Alkohol zu verbieten. Jeder wird einsehen, dass Alkoholismus dazu führen kann, dass Menschen sich und ihre Familie ruinieren. Doch die Prohibition hat letztlich nur dafür gesorgt, dass ein Schwarzmarkt entstand, Verbrecher sich dumm und dämlich verdienten, der Schnaps gepanscht wurde und der vertriebene Fusel schließlich weit mehr Menschen schadete als zuvor. Dasselbe ließe sich heute zumindest auch von „weichen Drogen“ wie Marihuana sagen. Die strafrechtliche Verfolgung dieser Form des Drogenkonsums hat viel mehr Schaden angerichtet als verhindert.
Und was ist mit der Homosexualität, der Blasphemie oder der Pornographie? Wie schon gesagt, sie mögen die moralischen, religiösen oder ästhetischen Gefühle vieler Menschen verletzen. Doch sie fügen niemandem einen Schaden zu, der es dem Gesetzgeber gestattete, sie strafrechtlich zu verbieten.
Mir scheint es offenkundig, dass eine rechtliche Verankerung des Schadensprinzip in unser aller Interesse ist. Es gibt uns die Freiheit, unser Leben so zu leben, wie wir es für richtig halten, solange wir anderen keinen Schaden zufügen. Und der einzige Preis, den wir für diese Freiheit zu entrichten haben, ist der, dass wir es tolerieren müssen, dass andere ihr Leben in einer Weise leben mögen, die wir für falsch, unsittlich oder gar gottlos halten, ohne deshalb jedes Mal gleich nach der Polizei rufen zu können.
Trailer (englisch)
Larry Flynt – die nackte Wahrheit (The People vs. Larry Flynt, USA 1996), Regie: Milos Forman, Darsteller u.a. Woody Harrelson, Courtney Love, Edward Norton.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie auf hpd.de. An Freitagen werden verschiedene Autoren ihre Lieblingsserien oder -filme vorstellen, die nicht unbedingt aktuell sein müssen, aber aus humanistischer Perspektive) interessant sein sollten.