(hpd) Jeden Freitag veröffentlicht der hpd einen Artikel zu einem Film oder einer Serie, die mit einem “humanistischen Auge” gesehen werden. Der Philosoph Edgar Dahl erläutert anhand des Films “Das Meer in mir” eine Vielzahl an Formen der Sterbehilfe.
“Das Meer in mir” erzählt die Geschichte von Ramón Sampedro. Aus einem kleinen Dorf in Galicien stammend, heuert er im Alter von 18 Jahren als Matrose an, um die große weite Welt zu sehen. Mit 25 erleidet er jedoch einen fürchterlichen Unfall. Als er von einem Felsen ins Meer springt, bricht er sich das Genick und ist seither vom Hals abwärts gelähmt.
Obwohl er von seiner Familie rührend umsorgt wird und mit Hilfe einer nach eigenen Plänen gebauten Maschine Gedichte schreiben kann, sieht Ramón nach 24 Jahren Querschnittslähmung keinen Sinn mehr darin weiter zu leben. Bezeichnenderweise nennt er seine Gedichtsammlung denn auch “Briefe aus der Hölle”.
In der Hoffnung, dass ihm eine Sterbehilfeorganisation nicht nur mit Rat, sondern auch mit Tat zur Seite stehen wird, tritt er dem spanischen Verein “Würdevoll Sterben” bei. Wie er jedoch schon bald erfahren muss, beschränkt sich die Hilfe des Vereins auf eine psychologische Beratung und eine juristische Unterstützung. Die Sterbehilfeorganisation darf ihm kein Medikament verschaffen, mit dessen Hilfe er sich selbst das Leben nehmen könnte, da die “Beihilfe zur Selbsttötung” in Spanien unter Strafe steht.
Immerhin vermittelt ihm der Verein “Würdevoll Sterben” die ebenso verständnisvolle wie reizvolle Rechtsanwältin Julia. Julia leidet unter CADASIL, einer unaufhaltsamen degenerativen Erkrankung des Gehirns, die zunächst zu gehäuften Schlaganfällen, dann zu Bewegungsstörungen, danach zu Demenz und schließlich zu einem unabsehbar langen Dahinvegetieren in einem Wachkoma führt.
Insofern beide gewissermaßen im selben Boot sitzen, finden Ramón und Julia schnell zueinander. Da sie endlich jemanden gefunden haben, der sie wirklich versteht, wird aus ihrer anfänglichen Zuneigung schon bald wahre Liebe. Körperlich bleibt ihre Liebe darauf beschränkt, sich eine Zigarette zu teilen. Gipfeln soll ihre Liebe aber darin, dass sie gemeinsam aus dem Leben scheiden.
Trotz ihrer Liebe zu Ramón bekommt es Julia aber plötzlich mit der Angst zu tun. Statt gegen ihr Schicksal aufzubegehren und gemeinsam mit ihrem Geliebten in den Tod zu gehen, zieht sie sich schuldbewusst und voller Selbstvorwürfe in ihr Haus zurück und kapituliert vor ihrer grausamen Krankheit.
So ist es letztlich Rosa, eine einfache Arbeiterin aus einer Konservenfabrik und alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die Ramón hilft. Nachdem Freunde ihm 200 mg Zyankali besorgt haben, mietet sie ein Hotelzimmer mit Blick auf das Meer. Für Ramón, ausgezeichnet gespielt von Javier Bardem, hat das Meer eine doppelte Bedeutung. Es ist sein Freund und sein Feind oder, wie Ramón zu sagen pflegt: “Das Meer hat mir das Leben gegeben und das Meer hat mir das Leben genommen.”
Um seine Freunde vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen, nimmt Ramón sein Sterben auf Video auf. Es zeigt ihn, wie er in die Kamera spricht, den Staat ein letztes Mal für seine illiberale Gesetzgebung anklagt und schließlich mit Hilfe eines Strohhalmes das Glas mit dem darin aufgelösten Zyankali leert.
Wie “Who’s Life Is It Anyway” und “Million Dollar Baby” setzt sich “Das Meer in mir” mit dem Thema Sterbehilfe auseinander. Wie die Reaktionen auf den Film zeigten, herrscht jedoch große Verwirrung darüber, um welche Form von Sterbehilfe es eigentlich geht. So ist dem Film in den Medien immer wieder nachgesagt worden, ein Plädoyer für die Euthanasie zu sein. Leider wird auch im Film selbst dieser Begriff bemüht. Tatsächlich geht es aber, wie eingangs kurz schon erwähnt, lediglich um die “Beihilfe zur Selbsttötung”.
Angesichts der Vielzahl von Formen der Sterbehilfe ist es freilich nicht verwunderlich, dass es immer wieder zu Verwechslungen kommt. Schließlich verliert man leicht die Übersicht, wenn abwechselnd von “aktiver Sterbehilfe”, “passiver Sterbehilfe”, “direkter Sterbehilfe”, “indirekter Sterbehilfe”, “freiwilliger Sterbehilfe”, “unfreiwilliger Sterbehilfe” und “nicht-freiwilliger Sterbehilfe” die Rede ist. Hinzu kommen zu allem Überfluss auch noch die “terminale Sedierung” und der “assistierte Suizid”.
Zwischen diesen verschiedenen Formen der Sterbehilfe zu unterscheiden, ist jedoch wichtig, da sie nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich ganz unterschiedlich beurteilt werden. So wird hierzulande etwa die aktive Sterbehilfe bestraft, während die passive Sterbehilfe straffrei ist. Benützen wir doch das Beispiel von Ramón Sampedro, um kurz die wichtigsten Unterschiede zu klären.
Wenn Ramón einen Arzt gebeten hätte, ihm ein tödliches Medikament zu spritzen, an dem er stirbt, hätten wir es mit aktiver Sterbehilfe zu tun gehabt. Diese Form der Sterbehilfe ist bislang nur in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg legal. In Deutschland wird sie auf Grund von § 216 des Strafgesetzbuches als “Tötung auf Verlangen” mit bis zu 5 Jahren Haft bestraft.
Wenn Ramón eine Lungenentzündung bekommen und seinen Arzt gebeten hätte, sie nicht zu behandeln, so dass er an den Folgen dieser Erkrankung gestorben wäre, hätten wir es mit passiver Sterbehilfe zu tun gehabt. Diese Form der Sterbehilfe ist inzwischen zumindest in allen westlichen Ländern legal. Tatsächlich wäre es sogar illegal, wenn ein Arzt einen Patienten gegen dessen ausdrücklichen Wunsch behandelt. Der Patient könnte ihn dann zu Recht wegen Körperverletzung anzeigen.
Dass es sich im ersten Fall um aktive, im zweiten Fall um passive Sterbehilfe handelt, liegt an dem Verhalten des Arztes. Im ersten Fall wird er aktiv, indem er Ramón mit Hilfe einer Spritze tötet; im zweiten Fall bleibt er dagegen passiv, indem er Ramón einfach nicht behandelt und ihn wunschgemäß sterben lässt.
Im Film geht es jedoch weder um aktive noch um passive Sterbehilfe. Was Ramón möchte, ist, dass man ihm ein tödlich wirkendes Medikament gibt, mit dessen Hilfe er seinem Leben selbst ein Ende setzen kann. Dies ist “Beihilfe zur Selbsttötung”, neuerdings oft auch “assistierter Suizid” genannt. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland straffrei, doch in Spanien, Großbritannien und vielen anderen europäischen Ländern nach wie vor verboten.
Besonders bekannt ist die Praxis des assistierten Suizids aus der Schweiz. Alljährlich reisen etwa 200 unheilbar kranke Menschen aus allen Ländern der Welt nach Zürich, um die Hilfe von “Dignitas” in Anspruch zu nehmen. Diese von dem Rechtsanwalt Ludwig A. Minelli gegründete Sterbehilfeorganisation besitzt rund 20 Kilometer vom Zürcher Flughafen entfernt ein idyllisch gelegenes Haus mit Garten und Teich, in dem die Patienten ihrem Leiden ein Ende setzen können, und zwar nicht mit dem mit Schmerzen einhergehenden Zyankali, sondern mit dem hochdosierten Schlafmittel Natriumpentobarbital, das hierzulande etwa auch zur Einschläferung von Hunden und Katzen verwendet wird.
Abgesehen von der Schweiz gibt es inzwischen auch drei US-Bundesstaaten, die den assistierten Suizid gestatten, und zwar Oregon, Washington und Vermont. Da Oregon sein liberales Gesetz, den so genannten “Death With Dignity Act”, bereits 1997 eingeführt hat, lohnt sich ein kurzer Blick auf die alljährlich veröffentlichten Statistiken des dortigen Gesundheitsministeriums.