Das Kompendium wäre nicht vollständig, hätte sich Czermak in einem vierten Kapitel nicht auch den “wichtigsten nicht-christlichen Religionen” zugewendet. Obwohl nur sehr kurz gehalten, erfährt der Leser jedoch sehr fundierte Informationen und Bewertungen – und immer im Vergleich mit dem Christentum – über Judentum, Islam, hinduistische Religionen und Buddhismus. Gerade in diesem Kapitel wird dem deutschen Durchschnittsbürger sehr viel Neues vermittelt, es wird auch mit Vorurteilen über “die Anderen” und mit Illusionen (Dalai-Lama-Kult im “Westen”) aufgeräumt.
Im fünften Kapitel wird eine sehr kurz gefasste, dafür aber eine um so prägnantere “Gesamtbilanz des religiösen Denkens und Handelns” gezogen. Diese fällt für keine einzige der genannten Religionen positiv aus.
Dennoch stellt Czermak im letzten Kapitel die Frage aller Fragen: “Wo bleibt denn das Positive?”
Der Autor ist Wissenschaftler durch und durch, so dass er zwar die Religionen kritisiert und auch an den Religionsführern kaum ein gutes Haar lässt. Aber als ein der Aufklärung und dem Humanismus verpflichteter Wissenschaftler weiß Czermak, dass menschliche Individuen durchaus des Religiösen oder der Religion bedürfen können. Er weiß auch, das nicht wenige religiöse Würdenträger, vor allem an der Basis, versuchen, ihren geglaubten ethischen Idealen zu entsprechen und dies auch zu vorzuleben. Ihnen spricht der Autor seine Hochachtung aus, verurteilt keinen “Gläubigen” an sich. Dass aber Glauben und Handeln solcher Menschen immer wieder vom hohen Klerus missbraucht und für eigene Machtinteressen verfälscht wird, weiß Czermak ebenfalls. So wenn er bereits im zweiten Kapitel auf S. 218 über Westdeutsches nach dem 8. Mai 1945 schreibt:
“Es ist nicht übertrieben, die Reaktionen beider Kirchen in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit ihren unverfrorenen Geschichtslügen (aus dem Widerstand weniger Einzelner wurde der Widerstand der Kirchen) als unappetitlich zu bezeichnen.”
Ja, wo bleibt denn das Positive? Gibt es überhaupt etwas Positives?
Czermak geht an diese Frage ganz praxisbezogen, ganz universell, heran, wenn er die Religionen und insbesondere die christlichen Kirchen als Organisation daran misst, wie sie sich verhalten haben und wie sie sich (meist notgedrungen) noch verhalten zu diesen elementaren Aspekten menschlichen Zusammenlebens: Toleranz und Menschenrechte sowie Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Positives war und ist auch hier so gut wie nichts zu finden.
Auf die vielbeschworene christliche Nächstenliebe, angeblich höchster Wert dieser Religion, geht Czermak schon an anderer Stelle ein. Nicht Sonntagspredigten lässt er gelten, sondern tatsächliches Handeln. Was die christliche Priesterkaste unter Nächstenliebe wohl wirklich versteht, das sprach während des zweiten Weltkrieges der katholische Priester-Präsident des nazideutschen Vasallenstaates Slowakei, Monsignore Jozef Tiso, unverblümt aus und rechtfertigte damit den Massenmord an den Juden auch seines Landes:
“Ich frage so: Ist es christlich, wenn die Slowaken sich von ihren ewigen Feinden, den Juden, befreien wollen? Die Liebe zu unserem Nächsten ist Gottes Gebot. Seine Liebe macht es mir zu Pflicht, alles zu beseitigen, was meinem Nächsten Böses antun will.” (S. 231)
An diesem Beispiel wird sehr deutlich, was Christenführer unter dem schwammigen Begriff “Nächster” wirklich verstehen. Und auch, was es mit der angeblich ebenfalls christlich gebotenen Feindesliebe auf sich hat… Es gibt sie einfach nicht!
Abschließend wendet sich Czermak in diesem Kapitel auf gut zwölf Seiten noch dem Thema “Humanismus und weltliche Ethik” zu. Seinem diesbezüglichen Resümee ist voll zuzustimmen:
“Ein psychologisches Problem der rational begründeten säkular-humanistischen Werte ist freilich, dass sie kein Charisma aufweisen und das Gemüt nicht befriedigen. Wenn Religionen entzaubert sind, bleibt bei manchem doch etwas Sehnsucht. Wer also etwas ‘Höheres’ fürs Gemüt braucht, mag es unbehelligt in irgendeiner Religion finden. Aber er soll andere damit in Ruhe lassen. Es ist sicher auch nicht Aufgabe des pluralistischen Staates, die Suche nach einer Religion zu unterstützen oder gar das Ergebnis einseitig, auf Kosten anderer, zu privilegieren.” (S. 409/410)
Ein umfangreicher Anhang mit Anmerkungen, Quellenangaben und Hinweisen auf weiterführende Literatur rundet Czermaks überaus empfehlenswertes Kompendium ab.
Siegfried R. Krebs
Gerhard Czermak: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. 480 S. Hardcover. Tectum-Verlag. Marburg 2014. 24,95 Euro. ISBN 978–3–8288–3285–5
Siehe auch die Rezension des Buches von Armin Pfahl-Traughber
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