BONN. (hpd) Der Publizist Jörn Seinsch liefert in seinem Buch "Ein Gott der Liebe? Wie Theologen die Bibel verfälschen" mehrere Kapitel, die sich kritisch auf Teile und Themen des Alten und Neuen Testaments beziehen. So wichtig der Hinweis auch auf "schlimme Stellen" in den "Heiligen Schriften" ist, so gibt es zu dem Buch doch merkwürdige Begleitumstände und Deutungen.
Aussagen aus der Bibel wie "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!" (Matthäus, 7, 12) sind allgemein bekannt. Andere Textstellen wie "Die Engel werden kommen und die Bösen … in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt" (Matthäus, 13, 49f.) sind weniger bekannt. Insofern ist es gut, nicht nur die netten, sondern auch die weniger netten Stellen aus der "Heiligen Schrift" zu kennen.
Darauf will auch das Buch "Ein Gott der Liebe? Wie Theologen die Bibel verfälschen" von Jörn Seinsch aufmerksam machen. Merkwürdigerweise erfährt man auf dem Klappentext gar nichts über den Autor. Fragt man beim Verlag nach, dann erfährt der Interessierte: Steuerberater, geb. 1937, hat seinen bürgerlichen Beruf frühzeitig "an den Nagel gehängt", um sich ganz seinem Interesse an geisteswissenschaftlichen Themen zu widmen. Es geht also um eine Art Privatforscher, der über keine wissenschaftliche Qualifikation verfügt. Dies muss indessen nicht notwendigerweise gegen ein solches Buch sprechen. Gleichwohl ist Skepsis erlaubt.
Als sein Anliegen erklärt der Autor im Vorwort: Hier werde der Leser "nicht nur eine Bibel kennen lernen, wie er sie von Kanzel und Katheder nicht vernommen hat, er wird auch die spannende Frage verfolgen können, wie die berufenen Vertreter … die die Bibel im Einzelnen erläutert und kommentiert haben, damit umgehen" (S. 10). Dann folgen sieben Kapitel zu unterschiedlichen Teilen oder Themen des Alten und Neuen Testaments. Hierbei geht es entsprechend der Angaben im Inhaltsverzeichnis um Ezechiel, Die Landnahme, Esau und Jakob, Mitleid und Barmherzigkeit, die Psalter, die Tiere und die Offenbarung des Johannes.
In allen Ausführungen wird anhand von vielen Zitaten die problematische Botschaft der Bibeltexte verdeutlicht, wobei der Autor indessen immer zu einer wortwörtlichen Auslegung neigt. Anderen Deutungen, die sich in Schriften von Theologen finden, werden allzu schnell mit belehrendem Unterton und erhobenem Zeigefinger bei Seite geschoben. Der Geist des Entlarvens und Rechthabens verstört dabei aber immer wieder bei der Lektüre.
Mit besonderer Rigorosität kommtentiert Seinsch das Alte Testament. Da heißt es etwa: "Es handelte sich dabei um einen von Jahwe nicht nur geduldeten oder erlaubten, sondern ausdrücklich befohlenen Angriffs- und Ausrottungskrieg. Jede Verbrüderung oder Integration wird radikal abgelehnt und mit dem Tod bestraft, weil der heilige Samen nicht vermischt werden darf" (S. 79). Was hießt das dann aber für die Einschätzung des heutigen Judentums, das sich ja eben auch auf solche Beschreibungen wie im Alten Testament stützt? Welche Botschaft will der Autor hier vermitteln? Beachtenswert sind demgegenüber die Ausführungen zu "Der unheilige Jesus" (vgl. S. 114–132), wo ein kritisches Bild gezeichnet werden. Das kann man aber bei Autoren wie Franz Buggle genauer lesen. Dass in dem Kapitel zu den Tieren das Christentum per se für den schlechten Umgang mit ihnen verantwortlich gemacht wird, ist zumindest eine sehr einseitige Deutungen. Warum finden gegenteilige Auffassungen wie von Albert Schweitzer keine Aufmerksamkeit?
Auch wenn das Anliegen von Seinsch, die bedenklichen und inhumanen Stellen in den "Heiligen Schriften" stärker in das Licht der Aufmerksamkeit zu rücken, mehr als nur verständlich und wichtig ist, so legt man auch aus ideologie- und religionskritischer Perspektive den Band nach der Lektüre etwas irritiert zur Seite.
Merkwürdig ist, dass für das Buch ausgerechnet in der Wochenzeitung Junge Freiheit, einem Forum für die "Neue Rechte", eine Anzeige direkt neben einer solchen für die "Alternative für Deutschland" erschien (Nr. 33/2015, S. 16). Eine Angabe zum Verlag steht da nicht, weil sie der Verlag selbst nicht aufgegeben hat. Welche Absicht verfolgt aber eine Anzeige mit bibelkritischem Inhalt in einem doch christlich-konservativ ausgerichteten Blatt? Betrachtet man manche Ausführungen gerade zum Alten Testament in diesem Kontext, so entstehen dann Fragen zum eigentlichen Anliegen des Autors. Insofern darf man dem Buch mit einer gewissen Distanz und Skepsis auch aus religionskritischer Sicht begegnen.
Jörn Seinsch, Ein Gott der Liebe? Wie Theologen die Bibel verfälschen, Marburg 2015 (Tectum-Verlag), 314 S., 19,95 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Verstehe ich diese Rezension so richtig, dass der Autor, sein Buch und eventuell auch der Tectum-Verlag antisemitische, rechtslastige Tendenzen aufweisen?
"In allen Ausführungen wird anhand von vielen Zitaten die problematische Botschaft der Bibeltexte verdeutlicht, wobei der Autor indessen immer zu einer wortwörtlichen Auslegung neigt. Anderen Deutungen, die sich in Schriften von Theologen finden, werden allzu schnell mit belehrendem Unterton und erhobenem Zeigefinger bei Seite geschoben."
Historiker gehen mit alten Textquellen (zu denen alle sogenannten "heiligen" Schriften zählen) so um, dass zunächst philologisch möglichst präzise der Text übersetzt wird, dann gibt es eine Einordnung in den zeithistorischen Kontext, um Begriffe und Wertungen besser nachvollziehen zu können. Ansonsten hat nur der wörtliche Text eine Berechtigung, zur Beurteilung herangezogen zu werden.
Woher soll ein heutiger Theologe die Berechtigung nehmen, einen über 2000 Jahre alten oder entsprechend jüngeren Text quasi frei zu interpretieren? Ist das Kamel, das durch kein Nadelöhr geht, nun eine raffinierte Metapher oder ein schlichter Übersetzungsfehler, weil eigentlich das Schiffstau gemeint ist, das durch kein Nadelöhr geht?
Nur diese sprachlichen Bereinigungen, wie sie z.B. Christoph Luxenberg mit der syro-aramäischen Lesart des Koran versucht, kann uns dem möglichen "Urtext" annähern, um ihn richtig zu verstehen. Und dann sollte man ihn nicht umwerten, was Theologen heute tun müssen, um die Kluft zwischen biblischen Texten und gelebter Praxis aushalten zu können.
Aber da diese Hermeneutik ohne jede Legitimation erfolgt, sondern einzig auf der (eventuell professoral vermittelten) Privatmeinung des einzelnen Theologen basiert, muss diese beliebig bleiben, austauschbar und Moden unterworfen. Das sieht man allein an der sich regelmäßig ändernden Exegesen einzelner Bibelstellen durch die Jahrhunderte.
Der große Reformator Luther, der wortgewaltige Bibelübersetzer und wirkmächtige Theologe hat seine selbst übersetzten - und teilweise frei nachempfundenen - Gotteszitate wörtlich verstanden.
Wie heute Theologen die gleichen Stellen interpretieren, mag interessant sein, wenn der betreffende Theologe beurteilt wird. Doch eine Allgemeingültigkeit haben diese Interpretationen nicht. In 100 Jahren wird man das sicher wieder anders sehen.
Also bleibt nur die Wortwörtlichkeit, da ja auch die beste Theologie nicht verhindern kann, dass "heilige" Texte wörtlich verstanden werden - siehe die Problematik mit dem IS, der den Koran nicht etwa missversteht, sondern wörtlich versteht.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Die heutige Exegese verbiegt regelrecht den ursprünglichen Inhalt, entwertet bestimmte Aussagen gänzlich, weil sie sich nicht mehr aufrechterhalten lassen. Gerade in Puncto Moral sind viele biblischen Geschichten wörtlich gelesen abstoßend, während einige der theologischen Rettungsversuche dieser Verse einfach nur lächerlich erscheinen.
Vielleicht werde ich mir das Buch besorgen, um zu sehen, ob dort wirklich antisemitisches Gedankengut anklingt, das rechtslastig interpretiert werden kann. Das wäre das einzige, was das Buch diskreditieren könnte. Doch kann ich mir schwer vorstellen, dass Heinz-Werner Kubitza ein solches Buch drucken würde.
Wolfgang am Permanenter Link
Ich empfehle als weitere Bücher: Hexenhammer, Von der Verwüstung westindischer Länder, Pfaffenspiegel, Handbuch des Inquisitors, Die Inquisition, Der Gotteswahn, Der Jesuswahn, Sex und Folter in der Kirche, Kirche im
Vergelts Gott??
MfG.
Wolfgang#
Atheist von Gottes Gnaden
Gerd Müller am Permanenter Link
Mein einziger 'lieber Gott' hat keine Milliarden Schwarzgelder, braucht auch keine von Katholenpopen geschändeten Kinder zu entschädigen,
Jörn Seinsch am Permanenter Link
Zur Besprechung meines Buches durch Armin Pfahl-Traughber nehme ich wie folgt Stellung.
2. Die Feststellung, ein kritisches Bild von Jesus könne man bei Buggle genauer "lesen", ist unzutreffend. Beispiel: Über den schlimmen Satz Jesu "Doch meine Feinde, die nicht wollen, dass ich ihr König werde - bringt sie her, und macht sie vor meinen Augen nieder!" (Lk 19,27) verliert Buggle (eine Feststellung, keine Kritik an ihm) 8 Zeilen, während mein Kommentar sich über eine Seite erstreckt.
Und wo findet man noch den Nachweis, dass Jesus selbst gegen alle Werte seiner eigenen Bergpredigt verstoßen hat? Doch davon abgesehen, das Spezifikum meiner Arbeit ist nicht wie bei Buggle die Frage, was Walter Jens dazu sagt, sondern - wie der Untertitel des Buches deutlich macht - , die gravierendere, wie die theologischen Fachleute (Exegeten) damit umgehen.
3. Abwegig ist auch der Einwand, das Christentum für den schlechten Umgang mit den Tieren verantwortlich zu machen, sei einseitig und Stimmen wie Albert Schweitzer fänden keine Aufmerksamkeit. Man hätte auch Eugen Drewermann und andere anführen können, aber die Frage ist dann, ob diese Personen durch oder trotz Christentum Tierfreunde waren. Im Übrigen habe ich betont, dass natürlich nicht jeder Jude oder Christ ein Tierquäler sei und Geistliche an der Gründung der ersten Tierschutzvereine beteiligt waren. Bedeutsamer aber ist, was der Papst bzw. die Amtskirche sagt, was im Katechismus und vor allen Dingen in der Bibel steht.
Albert Schweitzer wurde bei meinen Vorarbeiten durchaus herangezogen. In seinem Text "Philosophie und Tierschutzbewegung" schreibt er zwar auf die Frage, warum das Mitleid gegen die Kreatur nicht vom Christentum als Gebot aufgestellt worden sei, das jüdische Gesetz habe schon Bestimmungen der Fürsorge für die Tiere enthalten und Paulus habe im Römerbrief (8,18-24) sein tiefes Mitempfinden mit den Geschöpfen ausgesprochen. Beide Referenzen habe ich in meinem Buch besprochen, doch haben sie sich als nicht tragfähig erwiesen.
4. Schließlich insinuiert der Rezensent finstere Absichten, weil ich in einem "christlich-konservativem Blatt" eine Anzeige aufgegeben habe und die Anzeige neben einer solchen der AfD steht. Ich kann das Geheimnis enthüllen: Weil ich mir von einer Anzeige in einem "christlich-konservativen Blatt" mehr verspreche als in einem Atheisten-Blatt. Wenn er mir eine andere, christlich-konservative Zeitung nennt, wo ich für € 285 70.000 Leser erreiche, komme ich gerne darauf zurück.
Auf die Platzierung hatte ich keinen Einfluss, aber geht die "Herrschaft des Verdachts" so weit, dass die Anzeige einer politischen Partei trotz 33 mm Abstand mein Buch kontaminiert?