Symposium zur Genitalen Autonomie

“Aber es steht doch in der Tora ….”

Das Symposium schloss mit dem Referat des Historikers Dr. Jérôme Segal (Koordinator eines Doktoratskollegs an der Universität Wien und Assistenzprofessor an der Universität Paris-Sorbonne), der über “Die Beschneidung aus jüdisch-humanistischer Perspektive” sprach. Als praktizierender Jude gab er dem häufig vorgebrachten Argument “aber es steht doch in der Tora” die Antwort, dass für Homosexualität und Ehebruch in der Tora die Steinigung verlangt werde und heute dennoch kein vernünftiger Jude mehr auf die Idee käme, Homosexuelle oder Ehebrecher zu steinigen.

Dr. Jérôme Segal
Dr. Jérôme Segal

Er verwies auf die vielen kritischen Stimmen, die das Judentum selbst seit langer Zeit gegen den Beschneidungsritus hervorgebracht hatte, insbesondere nannte er den großen jüdischen Gelehrten Maimonides, Sigmund Freud, aber auch Theodor Herzl und Franz Kafka. Er gab einen kurzen Überblick über Künstler, die v.a. als Filmregisseure (z.B. der jüdische Filmemacher Victor Schonfeld mit “It’s a Boy”, 1995) Beschneidung bereits offen kritisierten und betonte ihre Bedeutung als mögliche Vorreiter für die Reform innerhalb der jüdischen Community von innen heraus. Er betonte, dass es 70 Jahre nach der Shoah möglich sein müsse, Reformen im Judentum zu befürworten, ohne dass gleich Gefahren für die “jüdische Identität” beschworen werden müssten. Jude-Sein, so Dr. Segal, sei größer als jüdische Religion. Er führte aus, wie bereits in einem Gastkommentar für das österreichische Magazin Profil: “Nach der Halacha, dem rechtlichen Teil der jüdischen Überlieferung, kann man durchaus Jude sein, ohne beschnitten zu sein. Es zählt nur das Judentum der Mutter oder die Konversion.” Seine Forderung: die notwendige Trennung von Staat und Religion solle auch die Kinderrechte in den Vordergrund stellen.

Kölner Bürgermeisterin nicht erschienen

Hingegen der Ankündigung hielt die 1. Bürgermeisterin der Stadt Köln, Frau Elfi Scho-Antwerpes (SPD), kein Grußwort und blieb dem Symposium fern. Zur Begründung ihrer Absage wurden Termingründe genannt. Es verwunderte, dass nicht wie in solchen Fällen üblich eine andere Person ihre Vertretung übernahm. Auch die Anwesenheit eines Vertreters der Universität Köln wäre bei einer so hochkarätigen Versammlung internationaler WissenschaftlerInnen zu erwarten gewesen.

Beschneidungsbefürworter: Verweigerungshaltung

Die Veranstaltung zeigte in eindrucksvoller Weise und auf hohem Niveau - durch alle wissenschaftlichen Disziplinen - die gesamte Bandbreite der fundierten kritischen Argumentationen zur Jungenbeschneidung und deren gesetzlicher Erlaubnis durch das Beschneidungslegalisierungsgesetz vom Dezember 2012. Festzuhalten bleibt aber, dass auf dem Symposium niemand die Gegenseite vertrat und sich aus juristischer, medizinischer oder sozialwissenschaftlicher Perspektive für die Legalisierung von Beschneidungen aussprach. Obwohl das Podium ausgewogen angedacht war und daher ebenso Redebeiträge mit konträren Positionen angefragt waren, hatte sich niemand dafür gefunden, ein Elternrecht auf Beschneidung minderjähriger Jungen zu verteidigen.

Ein wissenschaftlicher Disput, wie er für eine solche Veranstaltung wünschenswert gewesen wäre, war so leider von vorneherein ausgeschlossen. Umso nachdrücklicher zeigte sich auf dem Symposium aber, wie sehr sich Menschen unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes darüber einig sind, dass der §1631d BGB nicht in ein modernes Rechtssystem mit einem ausgeprägten gesellschaftlichen Bewusstsein für Kinderrechte passt.

Religionsfreiheit kein Freibrief

Deutlich wurde auch: Religionsfreiheit kann heute kein Freibrief mehr für Gewalt gegenüber Jungen sein, die als Minderjährige ohne Einwilligungsfähigkeit beschnitten werden. Belastende körperliche, sexuelle und seelische Langzeitfolgen einer Beschneidung im Kindesalter sind belegt.

 

Hinweis:
Eine vollständige Videoaufzeichnung der Vorträge auf dem Symposium wird voraussichtlich in etwa einem Monat veröffentlicht.

Buchempfehlung/Zum Weiterlesen: Franz, Matthias (Hrsg.): Die Beschneidung von Jungen. Ein trauriges Vermächtnis. Vandenhoeck & Ruprecht, 2014. (Leseprobe) In dem Buch sind die Ausführungen etlicher ReferentInnen des Symposiums in Artikelform enthalten.