II Die juristische Frage
II.a Das heutige System der Militärseelsorge verstößt gegen den Trennungsgrundsatz und ist verfassungswidrig.
Das Grundgesetz postuliert über die in es aufgenommenen Artikel der WRV eine klare institutionelle und organisatorische Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV). Ausnahmen von diesem Trennungsprinzip müssen daher grundgesetzlich festgelegt sein. Nur sofern es im Grundgesetz selber speziellere Regelungen zum Verhältnis von Staat und Kirche gibt, gehen diese dem allgemeinen Trennungsgrundsatz vor und sind, wie z.B. der in Art. 7 Abs. 3 GG geregelte Religionsunterricht, zulässig. Eine im Grundgesetz nicht geregelte, institutionelle Kooperation von Staat und Kirche ist dagegen verfassungswidrig.
Im Grundgesetz wird die Militär- und Anstaltsseelsorge in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV garantiert. Art. 141 WRV lautet in der jetzt noch im GG geltenden Fassung: “Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.”
Da nach Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 7 WRV die Weltanschauungsvereinigungen den Religionsgesellschaften gleichgestellt sind, haben auch erstere das Recht, in der Armee zur Betreuung ihrer Mitglieder zugelassen zu werden.
Nach Art. 141 WRV trifft den Staat die Pflicht, den Funktionsträgern der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Zutritt zu gewähren, soweit Einzelne oder Gruppen einen Bedarf nach Betreuung durch diese haben. Die Armee muss dabei auch die Möglichkeit garantieren, dass kultische Handlungen ungestört durchgeführt werden können. Sobald daher ein Soldat einen Bedarf nach jedweder Form von Betreuung durch einen Funktionsträger seiner Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft hat, ist diesem Zugang zu dem Soldaten zu gewähren – egal, wo dieser sich befindet –, und es ist ihm die Möglichkeit zu geben, den Soldaten religiös oder weltanschaulich zu betreuen.
Eine weitergehende Pflicht des Staates oder weitergehende Rechte der Religions-/Weltanschauungsgemeinschaften statuiert das Grundgesetz nicht. Das in Deutschland bestehende und erheblich weitergehende System der Militärseelsorge verstößt daher gegen den Trennungsgrundsatz und ist verfassungswidrig.[27]
Sofern in letzter Zeit in den Standardkommentaren zum Grundgesetz die Kommentierungen zu Art. 140 GG i.V.m. 141 WRV durch neue Bearbeiter erfolgt sind, halten diese durchgängig das derzeitige System der Militärseelsorge für verfassungswidrig, da es dem Grundprinzip des säkularen Staates, der klaren, institutionellen Trennung von Staat und Kirche, widerspricht: so Korioth in Maunz/Düring, Art. 140/141 WRV, RNr. 3, 14ff, Mager in Münch/Kunig Art. 140, RNr. 96 mit weiteren Nachweisen in Fußnote 347, Ehlers in Sachs, Art. 140/141 WRV RNr. 6f, Morlok in Dreier Art. 141 WRV RNr. 16.[28]
II.b Der “lebenskundliche Unterricht” in der Bundeswehr verstößt gegen den Trennungsgrundsatz und ist verfassungswidrig.
Neben der kultischen Betreuung ihrer Mitglieder erteilen die Militärgeistlichen den bereits erwähnten sogenannten “lebenskundlichen Unterricht”. Eine verfassungsrechtliche Grundlage dafür gibt es jedoch nicht. Es existiert noch nicht einmal eine einfachgesetzliche Grundlage. Der Unterricht erfolgt nur aufgrund eines ministeriellen Erlasses, der bereits erwähnten zentralen Dienstvorschrift ZDv 10/4.
Diese Institution ist eindeutig verfassungswidrig.[29] Auch hier wird das im Grundgesetz bestehende Verbot einer institutionellen Verknüpfung von Kirche und Staat durchbrochen, ohne dass es hierfür eine verfassungsrechtliche Grundlage, wie z.B. für den schulischen Religionsunterricht, gäbe.
II.c Juristische Schlussfolgerung
Der HVD strebt zu Recht in vieler Hinsicht eine Gleichstellung mit den Kirchen an. Eine Gleichstellung im Hinblick auf eine verfassungswidrige Kooperation anzustreben, muss jedoch generell abgelehnt werden. In einem solchen Fall ist die Gleichstellung nicht dadurch zu erreichen, dass sich der HVD an verfassungswidrigen Institutionen beteiligt, sondern dadurch, dass diese verfassungswidrige Institution abgeschafft und den Kirchen das verfassungswidrige Privileg einer staatlich institutionalisierten und finanzierten Militärseelsorge entzogen wird.
Es kann nicht Ziel des Verbandes sein, ein verfassungswidriges Kooperationsverhältnis dadurch zu stärken, dass auch Weltanschauungsgemeinschaften nunmehr an einem solchen Verfassungsverstoß teilnehmen. Vielmehr muss es Aufgabe des humanistischen Verbandes sein, dafür zu sorgen, dass der Verfassungsverstoß aufgehoben wird und im Hinblick auf die Stellung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Militär verfassungsgemäße Verhältnisse geschaffen werden. Dadurch könnte sich der Verband positiv gegenüber den Kirchen profilieren, anstatt beim Kirchen-Staats-Klüngel unkritisch mitmischen zu wollen.
(Der Aufsatz ist die leicht überarbeitete und gekürzte schriftliche Fassung eines auf der Tagung der Humanistischen Akademie Deutschlands »Der reflektierende Soldat« am 18./19. Oktober 2013 gehaltenen Vortrages. Die vollständige Fassung erscheint voraussichtlich noch dieses Jahr in einem die Tagung dokumentierenden Sammelband im Alibri Verlag.)
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Derzeit geben die Natomitglieder zusammen eine Billion Dollar für den Militärsektor aus. Deutschland gibt 33 Milliarden unmittelbar für das Militär aus. Hierzu kommen weitere, mittelbare Kosten. Der Gesamtbetrag wird auf über 45 Milliarden geschätzt (Quelle: sipri Jahrbuch 2012, Kurzfassung auf Deutsch S. 9). Der Haushalt des Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung liegt bei rund 6 Milliarden, von denen nur ein kleiner Teil unmittelbar in Entwicklungsprojekte fließt. ↩
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Vgl. Harald Welzer, Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt/M 2008. ↩
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Maybritt Brehm, Christian Koch, Werner Ruf, Peter Strutynski, Armee im Einsatz. 20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr, Hamburg 2012, S. 192f. ↩
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Michael Brzoska, Friedensmissionen: Erfolg und Scheitern, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 1, 2006, S. 1492–1498, hier S. 1495. Bürgerkriege sind mit militärischen Mitteln von außen nur sehr schwer zu begrenzen oder gar zu lösen. In Ruanda z.B. dürfte ein UN-Mandat sinnvoll gewesen sein. Da das Land aber für die Industrienationen des Westens strategisch uninteressant war, unterblieb eine solche in diesem Falle wirklich humanitäre Intervention jedoch. ↩
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Zur Militarisierung der EU-Außenpolitik vgl. Tobias Pflüger/Jürgen Wagner, Europas Kriege der Zukunft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 6, 2005, S. 715–724. ↩
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http://www.zaronews.com/zaronews-presseberichte/egon-bahr-schockt-die-schueler-es-kann-krieg-geben, Abruf 01.06.2014. ↩
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Norman Paech, Gerhard Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2013, S. 292; Zitat im Zitat von US-General A. M. Gray, 1991. ↩
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Brehm u.a., S. 18. ↩
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So das Gutachten des damaligen Justizministers der USA, William P. Barr, von 1989, vgl, Paech/Stuby, Völkerrecht, S. 288ff. ↩
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Paech/Stuby Völkerrecht, S. 296. Auch für den ISAF-Einsatz, der den “Endouring freedom” genannten Angriffskrieg der USA gegen die Taliban in Afghanistan unterstützt, gibt es kein UN-Mandat. Man lese das Gutachten von Norman Paech “Afghanistan-Krieg, Bundeswehreinsatz und Völkerrecht”, und den Wortlaut der UN-Resolution Nr. 1368 nach. Zum Irakkrieg vgl. den Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vom 26.02.2004, auszugsweise abgedruckt in Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 11, 2003, S. 366–373. ↩
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Vgl. Paech/Stuby, Völkerrecht, S. 296. ↩
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Brehm u.a., Armee im Einsatz, S. 26, mit Beispielen solcher Fälle. ↩
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Paech/Stuby, Völkerrecht, S. 301ff. ↩
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Peach/Stuby, Völkerrecht, S. 304f; vgl. den Bericht von Amnesty International über die Drohneneinsätze der USA in Pakistan, zu denen Deutschland aktiv Hilfe leistete. ↩
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Brehm u.a., Armee im Einsatz, S. 27ff., vgl. Wolf-Dieter Narr, Vom Kalten Krieg zur heißen Schlacht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 11, 2005, 1350–1356. ↩
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Brehm u.a., Armee im Einsatz, S. 71. ↩
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Vgl. die beispielhaften Untersuchungen der Militäreinsätze im Kosovo, Kongo, Libanon, Somalia und Afghanistan bei Brehm u.a., Armee im Einsatz, und das Fazit, S. 187. ↩
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Vgl. den Bericht unter http://www.tagesschau.de/inland/ruestungsforschung–100.html und den Kommentar des Vorsitzenden der “Stiftung Friedensbildung”, Rainer Braun, zu den gesellschaftlichen Gefahren dieser schleichenden Militarisierung unter http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1354672.html. ↩
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Heinrich v. Treitschke, Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin, Band 2, Leipzig 1889, S. 552. ↩
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Ralf Schöppner, Soldaten flechten keine Freundschaftsbändchen, diesseits online, http://www.diesseits.de/aktuelles-heft/1376085600/soldaten-flechten-keine-freundschaftsbaendchen ↩
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Groschopp, Humanismus und Pazifismus, S. 5. ↩
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Siehe: http://www.kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de/portal/a/kmba/!ut/p/c4- /04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK93Myc4tTUnOL47NykRL2c1KTUvOLsUv2CbEdFABvNfu0!/. ↩
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Siehe: http://www.eka.militaerseelsorge.bundeswehr.de/portal/a/eka/!ut/p/c4/- 04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK93Myc4tTUnOL41OxEvZzsUv2CbEdFAHiYJjA!/. ↩
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Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Unruhen_nach_Koran-Verbrennungen_in_Afghanistan_im_Februar_2012. ↩
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Siehe: http://www.zeit.de/online/2006/44/afghanistan-bundeswehr-totenschaedel. ↩
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Vgl.: Ulrike Scheffler, Sabine Würich: Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz, Berlin 2014. ↩
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Vgl. Thomas Heinrichs: Sowenig wie möglich und soviel wie nötig. Philosophisch-Juristische Überlegungen zum Verhältnis von Religion/Weltanschauung und Politik, in: Horst Groschopp (Hg.), Humanismus - Laizismus - Geschichtskultur, Aschaffenburg 2013, S. 34–58. ↩
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So auch schon 1964 Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 3. Auflage, Frankfurt/M. 1984, S. 249ff, Gerhard Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, Berlin, Heidelberg 2008, S. 221f. ↩
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Vgl. Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, S. 221, Heinrichs, So wenig wie möglich. ↩