Nach dem Urteil des Supreme Court zu "Roe v. Wade" warnten Organisationen wie Planned Parenthood vor einem Anstieg der Muttersterblichkeit in US-Bundesstaaten, die ein Abtreibungsverbot anstreben. Erste Daten des Gender Equity Policy Institute, die dem Nachrichtenportal Axios vorliegen, bestätigen diese Befürchtung: Mütter in abtreibungsfeindlichen Bundesstaaten sterben während oder nach der Schwangerschaft mehr als doppelt so oft an schwangerschaftsbedingten Komplikationen.
Ein unrühmlicher erster Platz
Eine Schwangerschaft in den USA war bereits vor der Entscheidung des Supreme Court, die Abtreibungsgesetzgebung wieder vollumfänglich an die einzelnen Bundesstaaten zu delegieren, gefährlicher als in anderen Industrienationen. Eine Untersuchung des Commonwealth Fund aus dem Jahr 2020 berechnete eine Muttersterblichkeit von 17 Toden pro 100.000 Lebendgeburten. Zum Vergleich: In Deutschland liegt diese Rate bei drei Toden pro 100.000 Lebendgeburten, am besten schneiden Neuseeland und Norwegen mit 1,7 beziehungsweise 1,8 Toden pro 100.000 Lebendgeburten ab.
Der Bericht identifizierte vor allem die weit unterdurchschnittliche medizinische Versorgung von Müttern während und nach der Schwangerschaft als treibenden Faktor. Jeder zweite Fall von Muttersterblichkeit trete binnen eines Jahres nach der Entbindung auf, zeigt die Untersuchung. Die Forschenden weisen darauf hin, dass die USA eine im Vergleich zu anderen Industrienationen stark unterentwickelte medizinische Versorgungslage aufweisen: In keiner anderen Industrienation gibt es, per capita betrachtet, so wenige Hebammen und gynäkologische Geburtshelfer*innen wie in den USA. Gerade an Hebammen, die postnatale Versorgung durchführen, herrscht in den Vereinigten Staaten ein gravierender Mangel. Auch die World Health Organization (WHO) nennt niedrigschwellig zugängliche Geburtshilfeangebote als einen der wichtigsten Faktoren zur Reduktion der Muttersterblichkeit.
Als "Muttersterblichkeit" definiert die WHO den "Tod durch jeden Umstand, der durch eine Schwangerschaft herbeigeführt oder verschlimmert wurde, während der Schwangerschaft oder binnen 42 Tagen nach deren Ende". Ein schwangerschaftsbedingter Tod, der mehr als 42 Tage, aber weniger als ein Jahr nach der Entbindung eintritt, wird als "späte Muttersterblichkeit" ("late maternal death") bezeichnet, zusammengenommen spricht die WHO von "komprehensiver Muttersterblichkeit".
Abtreibungsverbote töten
Eine jüngst durchgeführte Studie des Gender Equity Policy Institute, die zuerst bei Axios veröffentlicht wurde, untersuchte nun den Einfluss von Abtreibungsverboten auf die Muttersterblichkeit. Knapp sechs von zehn Frauen (59 Prozent) in den USA leben in Bundesstaaten, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen stark eingeschränkt oder de facto komplett verboten haben. Wie die Daten des Gender Equity Policy Institute zeigen, sterben diese Frauen mehr als doppelt so häufig während oder nach der Schwangerschaft, verglichen mit abtreibungsermöglichenden Bundesstaaten wie Kalifornien. Die Muttersterblichkeit in abtreibungsfeindlichen Bundesstaaten liegt mittlerweile bei 47,5 Toden pro 100.000 Lebendgeburten und damit höher als in Schwellenländern wie Mexiko, Argentinien oder Ägypten.
Der Bundesstaat Mississippi, in dem die Muttersterblichkeit bereits 2017 knapp 30 Prozent über dem US-Durchschnitt lag und der die höchste Rate an Säuglingstoden in den USA zu verzeichnen hat, steht exemplarisch für die Art und Weise, wie die Abtreibungsfrage von konservativen Politiker*innen diskutiert wird: schulterzuckend. Der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, Philip Gunn, begegnete dem Vorstoß einiger demokratischer Abgeordneter, die postnatale Versorgung des Programms "Medicaid" von 60 Tagen auf 12 Monate auszuweiten, mit Widerwillen. Es sei nicht klar, dass eine solche Maßnahme kostensenkend wirke, so Gunn. Auf die Frage, ob die Maßnahme nicht die Mutter- und Säuglingssterblichkeit senken könne, erwiderte Gunn: "Ich wüsste nicht, dass das Teil der Debatte ist".
Auch das Gender Equity Policy Institute weist auf die eklatanten Logikbrüche abtreibungsfeindlicher Bundesstaaten hin: In selbigen ist es "unwahrscheinlicher, dass sie Gesetze, wie beispielsweise Anspruch auf bezahlte Elternzeit, die die Situation von Müttern und Neugeborenen nachgewiesenermaßen verbessern, erlassen". Warum, das hat Phillip Gunn ja mit Nachdruck klargestellt.