ITALIEN. (hpd) Kreuze an öffentlichen Orten – ein Thema, das seit Jahren die Gemüter in verschiedenen europäischen Staaten erhitzt und nur all zu oft den Weg bis zu den obersten Gerichten fand. Seit Herbst 2003 ist nun auch Italien Schauplatz eines erbittert geführten Streits: Dürfen Kruzifixe an den Wänden öffentlicher Schulen prangen?
Zum Hintergrund der aktuellen Konfliktes in Italien wegen der Urteils der Europäischen Gerichtshof für Menschrechte zum Abhängen der Kruzifixe in italienischen Schulen bringt der hpd den Bericht einer Juristin aus dem Jahre 2005, in dem die beständigen Konfliktlinien erläutert werden.
Ein Bericht von Carolin Zwilling
Der „Caso Ofena“ schlug im Oktober 2003 wie eine Bombe ein. Ein junger Richter an einem kleinen Landesgericht in den Abruzzen hatte angeordnet, die Kruzifixe aus allen Klassenräumen zu entfernen. Dabei traute er sich nur, die Verfassung wörtlich zu nehmen. Er erklärte zwei königliche Dekrete von Vittorio Emanuele [von 1924 und 1928 während der faschistischen Diktatur Mussolinis, Anm. hpd] für verfassungswidrig, die Kruzifixe für jeden Klassenraum vorschreiben.
Die Bevölkerung war empört und streikte. Der Hausmeister weigerte sich, die Kruzifixe abzuhängen. Der Bürgermeister ließ zum Schutz der Kinder vorübergehend die Schule schließen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Der Präsident des Landesgerichts setzte die Anordnung vorläufig aus und erklärte sich als Zivilgericht für unzuständig. Ebenso wie die katholische Kirche fordern Italiens Politiker, dass die Kruzifixe als Zeichen von Freiheit, Vertrauen und Hoffnung an die christliche Kultur Italiens erinnern sollen.
Für die Katholische Kirche ist das Kruzifix Zeichen von Freiheit, Vertrauen und Hoffnung
Schüler sollten ständig das religiöse Erbe ihrer Nation vor Augen haben. Die Lega Nord geht sogar noch einen Schritt weiter. Ihre Parlamentarier möchten die katholischen Symbole außerdem in allen Büros der öffentlichen Verwaltung, in Bahnhöfen, Flughäfen und allen diplomatischen Sitzen Italiens im Ausland sehen.
Muslime, Atheisten und Grüne empört
Dieser Forderung steht eine Opposition gegenüber, wie sie nicht unterschiedlicher zusammengesetzt sein könnte. Strenggläubige Muslime und Atheisten berufen sich jeweils auf Laizität und Neutralität. Die Partei der Grünen fühlt sich als politische Opposition dazu verpflichtet, grundsätzlich gegen Rom zu wettern.
Die Muslimische Union Italiens fordert z.B. im geschilderten Fall die Gleichbehandlung aller Religionen und Glaubensgemeinschaften, wie sie die Verfassung garantiere. Italien dürfe nicht nur die katholischen Glaubenssymbole anbringen lassen.
Aus den Reihen der Grünen hört man Vergleiche mit dem mittelalterlichen Kreuzzug gegen die „gefährlichen Islamisten“. Der Verfassungsgerichtshof hätte 2004 die Möglichkeit gehabt zu entscheiden, ob die königlichen Dekrete aus der faschistischen Ära noch mit den heutigen Verfassungsprinzipien vereinbar sind. Doch auch die höchsten Verfassungshüter folgten dem Beispiel ihrer Vorgänger und erklärten sich für unzuständig. Sie flüchteten sich in verfahrensrechtliche Feinheiten, die jedoch rechtlich nicht zu beanstanden sind. Damit bleibt der Streit offen. Das Lager der Befürworter feiert diese Entscheidung als grandiosen Sieg: christliche Kultur Italiens und nationale Identität sind gerettet. Die scharfe Kritik, die Universitätsprofessoren und Verfassungsrechtsexperten üben, verhallt. Eigentlich hätte gar nicht anders entschieden werden können, als es schon der junge Richter im „Caso Ofena“ getan hatte.
„Die nationale Flagge, das Kruzifix und das Bild des Königs“
Die historischen Veränderungen des zwanzigsten Jahrhunderts liefern selbst die Antwort auf die Frage nach katholischen Symbolen an öffentlichen Orten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war der katholische Glaube offizielle Staatsreligion. In den zwanziger Jahren benutzten die Faschisten Religion, um die Bevölkerung zu manipulieren. Heute ist der Staat verpflichtet, die religiösen von den zivilrechtlichen Angelegenheiten strikt zu trennen. Die Neutralität des laizistischen Staates steht im Mittelpunkt – und auch im Brennpunkt.
Die republikanische Verfassung befiehlt dem Staat seit 1949, die Vielfalt von Konfessionen und Kulturen zu schützen. Andere Glaubensgemeinschaften und atheistische Gruppen sind gleich wie die katholische Konfession zu behandeln, auch wenn sie nicht formal mit ihnen gleichgestellt sind. Italien ist jedoch nicht wie das laizistische Frankreich, das alles Religiöse aus dem Alltag verdrängt. Italiens Laizität bedeutet, aktiv den Ausgleich aller zu suchen. Als deren Folge schaffte Italien z.B. den Religionsunterricht als Pflichtfach 1984 ab (nur in Südtirol gilt die entgegengesetzte Regelung, dass sich der Schüler vom Religionsunterricht befreien lassen muss).
Der Streit, Kruzifixe ja oder nein, bewegt alle Gemüter. Jeder weiß emotional und spontan zu antworten: Werden Schüler durch die bloße Präsenz der Kruzifixe beeinflusst? Sollten nur Kruzifixe oder auch Kreuze verboten sein? Bedeutet Pluralität, dass Symbole aller Religionen aufzuhängen sind oder aber keiner einzigen? Heute stehen sich die beiden Lager unversöhnlicher denn je gegenüber und ein Kompromiss scheint in unerreichbare Ferne gerückt. In Ofena trohnt seit 2003 ein drei Meter hohes Metallkreuz auf dem Dorfplatz vor dem Schuleingang - als Warnung an die Kläger von damals, die Muslimische Union Italiens.
Mit freundlicher Genehmigung von Carolin Zwilling
Zuerst veröffentlicht in ACADEMIA, dem Wissenschaftsjournal des EURAC (Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung), Nr. 38, Juli 2005, S. 26-27.
Eine detalliertere juristische Seminararbeit der Autorin findet sich in: Das Kruzifix an italienischen Schulen.
Ein Blick über die Grenzen:
Deutschland: 1995 hat das Bundesverfassungsgericht ein Bayerisches Gesetz, dass die Anbringung von Kruzifixen vorsah, für verfassungswidrig erklärt. Seitdem können Schüler und Eltern in Bayern beantragen, dass die Kruzifixe abgehängt werden.
Frankreich: Seit 2004 verbietet das Laizitäts-Gesetz in den Schulen auch neben dem Tragen von Kopftüchern das Tragen jeglicher religiöser Zeichen, größerer Kreuze als Kettenanhänger oder jüdischer Kippa.
Schweiz: Bereits 1990 hat das Bundesgericht Kruzifixe aus Schulräumen wegen Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht verbannt.
Österreich: Kruzifixe dürfen in allen Schulen hängen, in denen die Mehrheit der Schüler Christen sind. Der Staat geht in allen Schulen von einer christlichen Mehrheit mangels Gegenbeweises aus, da eine statistische Erhebung über die Religionszugehörigkeit durch das Gesetz zum Schutz der persönlichen Daten ausgeschlossen ist.