Internationaler Gedenktag an Opfer der Gewalt durch Religion und Weltanschauung

Denkt an die Opfer – aber auch an die Täter

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Schon die Darstellung des gekreuzigten Jesus zeigt die Gewalt, die seit jeher mit Religionen verbunden ist.
Darstellung des gekreuzigten Jesus

Der Gedenktag zum Schutz religiöser Minderheiten ist den deutschen Bischöfen Anlass für einen engagierten Appell. Und uns Anlass für einen Aufruf – dass sich die Bischöfe dabei gern auch selbst bespiegeln sollten. Ein Kommentar.

Der heutige Freitag ist der "Internationale Gedenktag an Opfer der Gewalt durch Religion und Weltanschauung". Jeweils am 22. August erinnern die Vereinten Nationen daran, dass die Staaten Verantwortung für den Schutz religiöser und weltanschaulicher Minderheiten tragen. Die Deutsche Bischofskonferenz stellt sich voll hinter dieses Ziel. In einer Presseerklärung fordert der Vorsitzende der "Kommission Weltkirche" der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bertram Meier, diese Verfolgung dürfe nicht zum Randthema des internationalen Diskurses herabgestuft werden. "Religiös motivierte Gewalt nimmt weltweit zu. Die Nachrichten sind voll von Berichten über Angriffe und Anschläge auf Gläubige der verschiedensten Religionen."

Bischof Meier erwähnt Beispiele wie den Anschlag auf Gläubige der griechisch-orthodoxen St. Elias-Kirche im syrischen Damaskus vor zwei Monaten. Damals verloren 25 Menschen ihr Leben, weitere 63 wurden verletzt. "Während die neuen Machthaber des Landes den Christen dort eine freie und gleichberechtigte Teilnahme an der syrischen Gesellschaft zugesagt haben, zeigt der islamistisch motivierte Terroranschlag, wie prekär die Lage für religiöse Minderheiten in Syrien nach wie vor ist." Umso wichtiger sei es, sie zu unterstützen und ihre Menschenrechte zu schützen, so Meier. Das gelte gleichermaßen für die vom Völkermord des Islamischen Staates (2014) gezeichnete Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Nordirak.

Als weiteres Beispiel führt der Bischof ein Massaker an mindestens 21 Gläubigen der katholischen Gemeinde im Ostkongo Ende Juli 2025 an. Seine politische Forderung: "Gedenktage fordern zum Handeln auf. So sind wir dazu aufgerufen, religiöser Ausgrenzung, Polarisierung und Spaltung entschieden entgegenzutreten und uns für die Religionsfreiheit und die Menschenrechte aller einzusetzen." Er rufe die Verantwortlichen in der Politik und in den Glaubensgemeinschaften weltweit zum Handeln auf. Diese hätten einen entscheidenden Einfluss darauf, "ob weiterhin Hass und Gewalt geschürt werden oder ob die Hoffnung auf ein Leben in Frieden für alle Menschen, ganz gleich welchen Glaubens, gestärkt wird".

Der historische Rückblick zeigt, wie viel Gewalt überhaupt erst durch religiöse Dogmen entsteht

Gegen Forderungen wie diese kann niemand etwas haben. Doch wie glaubwürdig sind solche Appelle, solange die Kirchen selbst nicht konsequent mit Unrecht in den eigenen Reihen aufräumen? Auch die christliche Religion hat immer wieder auch Täter produziert. Der historische Rückblick etwa auf Kreuzzüge und Inquisition zeigt, wie viel Gewalt überhaupt erst durch religiöse Dogmen entsteht. Durch Intoleranz und die Vorstellung, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Diese reklamieren nicht nur autoritäre Regime etwa im Iran oder Afghanistan oder fanatische Islamisten für sich.

Aktuell lastet weltweit, aber insbesondere auch auf den christlichen Kirchen in Deutschland deren Umgang mit den massenhaften Missbrauchsfällen durch Priester und kirchliche Mitarbeiter. Tausende Kinder und Jugendliche wurden in Deutschland Opfer sexualisierter Gewalt innerhalb kirchlicher Strukturen. Es wurde vertuscht, verschleppt und bagatellisiert. Und in laufenden Prozessen feilschen die Rechtsvertreter der Kirchen um möglichst geringe Schadensersatzzahlungen an die Opfer oder berufen sich auf Verjährung, um sich ganz aus der Verantwortung zu stehlen. Wer als moralische Instanz auftritt, wie jetzt wieder an dem Gedenktag der Vereinten Nationen, darf nicht die eigenen Opfer vergessen oder nur mit halbherziger Aufarbeitung abspeisen. Institutionelle Gewalt unter dem Deckmantel des Glaubens und anschließende Vertuschung lassen kirchliche Appelle zu Menschenrechten und Gewaltfreiheit schal erscheinen.

Hinzu kommt eine strukturelle Doppelmoral: Während die Kirchen Missbrauchsskandale und Diskriminierungsvorwürfe im Inneren bewältigen müssten, genießen sie im säkularen Staat noch immer erhebliche Sonderrechte. Wie die 600 Millionen Euro jährliche Staatsleistungen, die nach verfassungsrechtlichen Vorgaben längst nicht mehr fließen dürften. Oder ein Sonderarbeitsrecht, aufgrund dessen kirchliche Arbeitgeber ihre Beschäftigten schlechter behandeln dürfen als "normale" Arbeitnehmer. Ganz zu schweigen vom staatlich geförderten Einfluss der Kirchen im Bildungswesen – von der Grundschule bis zur Universität.

Auch der deutsche Staat handelt nicht nur durch die Einräumung solcher Privilegien der Idee des Gedenktags zuwider.

Das tut er auch mit seinem anachronistischen "Gotteslästerungsparagrafen" 166 Strafgesetzbuch. Danach wird bestraft, "wer den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören." Der öffentliche Friede indes ist umso mehr gestört, je heftiger die Vertreter religiöser Bekenntnisse auf die gegen sie gerichtete Kritik reagieren. Je zorniger ihre Reaktion, umso schlechter für ihre Kritiker. Unser Rechtssystem belohnt gewissermaßen Intoleranz gegenüber Kritik.

Keine Frage: Der Gedenktag der Vereinten Nationen ist gut und richtig, um die Opfer religiös motivierter Gewalt sichtbar zu machen. Aber er ist nicht nur ein Appell an die Regierungen ferner Länder, sondern wirft auch bei uns die Frage auf: Wie ernst meinen es Staat und Kirchen, wenn es um Glaubensfreiheit, Gerechtigkeit und Opferrechte geht?„

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