Deutscher Kongress für Philosophie

#digital | denken

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Die Universität Münster war Gastgeberin des XXVI. Deutschen Kongresses für Philosophie. Vom 22. bis 26. September luden fast 600 Programmpunkte, darunter Einzelvorträge aus allen zentralen Gebieten der Philosophie sowie zahlreiche Diskussionsrunden, ein Digital Lab und ein Philosophy Slam, dazu ein, sich mit dem Leitthema "#digital|denken" auseinanderzusetzen. Rund 1.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutierten über Herausforderungen, mit denen der digitale Wandel sowie die Nutzung und Verbreitung Künstlicher Intelligenz (KI) die Philosophie konfrontieren. Für den hpd war Steffen Münzberg zwei Tage dabei.

Zwei Tage dürfte ich durch die Welt der Philosophie schweben. Der Kongress für Philosophie ging vier Tage, doch mein Urlaubstage-Budget ließ leider nur zwei Tage zu. Ich bin in die abstraktesten Diskussionen über das Wesen von Bewusstsein eingetaucht genauso wie in die ganz praktischen Herausforderungen, die ein Lehrer hat, wenn er versucht, Schüleraufsätze von künstlicher Intelligenz bewerten zu lassen.

Das Motto des Kongresses war: # digital | denken. Das Denken auf dem Kongress ging in mehrere Richtungen: Zum einen hinein in die digitalen Gehirne – Werden die digitalen Gehirne bald Bewusstsein haben? – zum anderen hin zu den Fragen "Wie verändert künstliche Intelligenz die Arbeit der akademischen Philosophen und der Philosophielehrer an den Schulen?"

Auf der Eröffnungsveranstaltung war ein Schwerpunkt die Ehrungen von Philosophielehrern und Schulen, die mit vorzüglichem Philosophieunterricht die Schüler begeistern. Für interessierte Schüler gibt es zum Beispiel eine weltweite Philosophieolympiade, dessen stolzer Sieger von 2024 Jesko Veenema auch auf die Bühne durfte.

An den Kongresstagen gab es eine große Breite an Vorträgen und Arbeitsgruppen, manchmal Dutzende parallel. Über die Themen all der klassischen Fachbereiche der Philosophie gab es etwas zu hören: Von der Philosophie der frühen Neuzeit, der Philosophie des Geistes, der Ethik und der Metaethik, der Erkenntnistheorie, dem Erbe Kants und noch von vielem vielem anderen mehr. Natürlich waren auch Feminismus und Diversität wichtige Themen. Die Evolution hingegen ist nie als Themengruppe aufgetaucht – weder die biologische noch die kulturelle Evolution. Es werden wohl noch viele Jahre vergehen, bis die akademischen Strukturen ein Plätzchen schaffen, sich offiziell mit Evolution zu beschäftigen. Ob dies nur an akademischer Trägheit oder an noch verbleibender Nähe zur Theologie liegt, möchte ich hier nicht weiter besprechen.

Das Hauptthema des Kongresses war aber Digitalitität und Künstliche Intelligenz. Viele Vorträge und Arbeitsgruppen beschäftigten sich damit, wie sich die Philosophie und die Philosophen in der digitalisierten Welt behaupten kann. Viele Philosophen, die Podcasts und youtube-Reihen machen, kamen zu Wort. Sie helfen, Philosophie und die Beschäftigung mit der Philosophie in die Welt zu bringen – ob nun als Unterstützung für Schüler, denen beim Schulstoff geholfen wird oder für allgemeininteressierte Normalos. Die Philosophen, die ihr Wissen per Social Media in die Welt streuen, können davon aber nicht leben und betreiben dies als zeitaufwändiges Hobby.

Es gab sehr vieles zu erfahren zum Thema KI in Schulen. Eine Forschungsgruppe hatte kommerziell angebotene KI-Anwendungen für Schulen untersucht und kam zum Schluss, dass die untersuchte KI im Augenblick noch nicht so weit sind, wirklich durchgehend Erleichterungen für Lehrer und Schüler zu schaffen. In einer anderen Gruppe stellten die Lehrer Jens Schäfer und Markus Twittmann ein von ihnen entwickeltes Rollenspiel vor, in dem sich in der Zukunft ein Mensch und ein Roboter gegeneinander um einen Job bewerben. Die Vor- und Nachteile der jeweiligen Bewerber werden in dem Rollenspiel von den Schülern gezeigt und diskutiert. Ich durfte einmal mitspielen. Ich wurde zum „Anwalt“ des Roboters und mir fielen einige Argumente für den Einsatz eines gut entwickelten Roboters als Pflegekraft ein.

Aus persönlichem Interesse besuchte ich besonders die Vorträge, die sich mit Bewusstsein und KI beschäftigten. Wird den künstlichen Intelligenzen zugetraut, ein Bewusstsein zu entwickeln? Die westliche Philosophie hat sich ja noch nicht völlig von der These von René Descartes verabschiedet, dass es neben der Materie noch etwas immaterielles gebe, was die Materie im Gehirn denken lässt. Ich hatte Vorträge von Albert Newen, Wanja Wiese und Markus Rohloff besucht, die sich aus unterschiedlichen Richtungen dem Thema Bewusstsein und KI nährten. Es war die übereinstimmende Meinung, dass das Bewusstsein, wie wir es von Tieren mit zwei oder mehr Beinen kennen, nicht nur ein Gehirn braucht, sondern auch einen Körper, für den sich das Gehirn verantwortlich fühlt, um den es sich kümmert, den es wahrnimmt. Das Bewusstsein ist als Funktion der Körperpflege bzw. zum Zwecke des Köper-Überlebens entstanden. Bei Tieren gab es zuerst den Körper und erst viel später das Gehirn. Wie gehen wir aber an Wesen heran, die nur aus einem elektronischen Gehirn ohne Körper bestehen? Wie wird es, wenn diese elektronischen Gehirne Körper bekommen? Die Ansichten darüber, wie schnell es passieren kann, dass die KIs nicht nur denken, sondern auch irgendetwas fühlen können (phänomenales Bewusstsein) gingen weit auseinander. Ein Vortragender war der Meinung., dass es dazu eines maschinellen Körpers bedürfe, der an Komplexität mit dem eines Lebewesens vergleichbar sein müsse. Ein anderer Vortragender meinte, dass es uns sogar versehentlich bei der Weiterentwicklung der KI passieren kann, dass wir Menschen die KIs beim immer weiteren Verbessern mit Aufgaben und Fähigkeiten auszustatten, die den KIs irgendeine Form von Gefühl verschaffen. Die Schwierigkeit ist aber herauszufinden, wann dies passiert. Denn selbst bei Lebewesen, gibt es keine sicheren Indikatoren, wer fühlt und wer nicht. Bei Tieren hatten wir ja auch lange angenommen, Tiere seinen gefühllose Bio-Roboter. Ein Vortrag behandelte besonders die Schwierigkeiten, anhand von Verhaltensweisen der KIs auf Gefühle zu schließen. Denn wir müssen bedenken, dass die KIs viel besser lügen und täuschen können als Tiere. Und wenn wir glauben, herausgefunden zu haben, dass eine künstliche Intelligenz fühlen kann – was dann? Dann sollten wir sie mit Respekt behandeln. Wie das aber in Detail funktioniert, ist noch kein Thema der Philosophie, das ist derzeit noch ein Thema für Science Fiction Autoren. Aber wie lange noch?

In drei Jahren gibt es den nächsten Deutschen Kongress der Philosophie. Wer seinen Horizont erweitern möchte und sich von etwas Fachjargon und ständigem Gendern nicht abschrecken lässt, dem sei dieser Kongress als Urlaub von der Trivialität sehr empfohlen.

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